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■ Sommertheater: Das Gastspiel von Xi Ju Che Jian blieb leider fremd

Das Problem ist alt und beim Sommertheater zum letzten Mal komprimiert im Movimentos-Jahr 1992 aufgetreten: Lassen sich Theaterproduktionen aus fernen, finanziell leistungsschwachen und nicht im internationalen Theaterzirkus agierenden Kulturen einem mitteleuropäischen Publikum vorführen, ohne daß man beide Parteien damit verdrießt? Die Gruppe, weil sie sich zwangsläufig unverstanden fühlen muß, das Publikum, weil es sich daran langweilt, daß es Theaterformen präsentiert bekommt, die im europäischen Kontext des Überflusses leider nicht Schritt halten können mit der formalen Innovation. Die Reaktionen der Zuschauer sind dann im Regelfall Schulterzucken, im schlechten Fall eine Mischung aus Mitleid und – was am allerschlimmsten ist – Exotik-Begeisterung.

Gedient ist mit derartigen „Entdeckungen“ eigentlich niemandem. Dem durchschnittlich selbstgerechten Publikum verstärkt es nur die Vorurteile über die niedrige Klasse der Kunst außerhalb der „ersten Welt“, und die Compagnien dürften – so sie das Bühne-Publikum-Verhältnis realistisch einschätzen – über falsche Begeisterung ebenso befremdet sein wie über kühle Ignoranz.

Die Performance der volkschinesischen Gruppe Xi Ju Che Jian – angeblich die einzige Avantgarde-Theater-Gruppe in Peking – hatte dann am Dienstag mit eben diesem Befremden zu kämpfen. Ihre Szenen- und Textcollage File 0 kreuzt die stehend und monton vorgetragenen Erinnerungen eines der Schauspieler an seine Kindheit, insbesondere an seinen Vater, mit einem Gedicht des chinesischen Schriftstellers Yu Jian, der die Erfassungs- und Aktenmentalität einer allmächtigen Bürokratie in eine maschinenhafte Lyrik verwandelt.

Wenige symbolische Handhabungen begleiten den eineinhalbstündigen Textvortrag, der zwischen Mensch und Tonband (für das Gedicht) hin und her gereicht wird. Ein Lehrfilm über eine Operation am offenen Herzen eines Kindes läuft hinter den Zuschauern, ein weißes Tuch überweht eine traurig sitzende Frau, ein Arbeiter schweißt Stangen an Metallfüße, eine Frau spießt später Äpfel und Tomaten auf die Spitzen und diese werden schließlich in einer Zornesorgie in den Ventilator einer Windmaschine geschleudert.

Löst sich hier nun die Unvereinbarkeit von Natur und Kultur in der sozialistischen Gesellschaft in einem Gewalt-, einem Befreiungsakt? Referiert die Starre der Komposition und der Regie auf Vorgänge des chinesischen Alltags oder eine Theatertradition, deren fehlendes Verständnis uns ein Erkennen von Bezügen unmöglich macht? Ist das pointenarme, sprachlich simple Erinnerungsreferat über den enttäuschten Stolz eines Kindes an seinen Vater in einem Kontext chinesischer Erzähltradition anders deutbar als für uns, denen ein Spannungsbogen, eine Anstrengung fehlt? Spielt dieses Stück mit Assoziationen, die nur der haben kann, der die unmittelbaren Lebensumstände im heutigen Volkschina kennt?

Es sind weniger Fragen politischer Natur oder ein fehlendes Abstraktionsvermögen für einfachste menschliche Probleme, die es einem nahezu unmöglich machen, eine ernsthafte Beurteilung dieses Theaterstückes zu liefern. Es ist vielmehr das Gefühl, daß man ein so stark atmosphärisches Stück wie File 0 ohne eine Kenntnis der gesellschaftlichen Atmosphäre, aus der heraus es entstanden ist, nicht glaubhaft erfassen kann.

So findet ein Dialog der Kulturen, dessen Stiftung ja wohl die Absicht bei derartigen Einladungen sein dürfte, eher unter negativen Vorzeichen statt. Denn was nach Abzug aller Voraussetzungen, die man nicht hat, auf einer Bühne in Hamburg Barmbek von der ursprünglichen Dichte und den intellektuellen Absichten übrigbleibt, ist getragenes Avantgarde-Theater, dessen mangelnde Eindrücklichkeit zum schnellen Vergessen einlädt. Und das ist gemeinhin das Ende jedes kulturellen Dialogs.

Till Briegleb

Noch bis Sa., 21.30 Uhr, k1