Alltag im Kugelhagel

■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 9: Winfried Scharlau über Angst und Leidenschaft Von Silke Mertins

„Ich gehöre nicht zu denen, die so nervenstark sind, keine Furcht zu empfinden.“ Der heutige Weltspiegel-Moderator Winfried Scharlau ist nie ein kaltblütiger Kriegsreporter gewesen, der unbeeindruckt von Raketeneinschlägen und Kugelhagel an vorderster Front steht und von einem Schlachtfeld zum nächsten zieht. Als er 1967 für den NDR nach Vietnam kam, faszinierte ihn vor allem „die Gesellschaft, die selten offener ist als in einer Krisensituation“.

Und dennoch: „In einem Moment der Geschichte tätig zu werden, der zwar durchaus gefährlich ist, in dem sich aber das Interesse der Weltöffentlichkeit auf diesen Konflikt fokussiert, ist eine große Herausforderung.“ Journalisten, die sich aus Ängstlichkeit scheuen, in ein Krisengebiet zu gehen, „spreche ich die richtige Leidenschaft für diesen Beruf ab.“

Den Unterschied zwischen „incoming“ und „outgoing“ Raketen, den mußte Winfried Scharlau anläßlich seines ersten Einsatzes im Krisengebiet Vietnam ebenso lernen wie die militärische Rangfolge. Und er mußte sich daran gewöhnen, daß man sich in der Welt „draußen“ in einem Koordinatenfeld bewegt, in dem alles anders ist. Wenn er morgens noch im Dreck liegend zwischen den Fronten Bilder einzufangen versuchte, ließ er mit der Dusche im Hotel all das zurück. „Das sind zwei Leben, die man nebeneinanderher führt.“ Nach Feierabend, „dieser Teil wird von den Kollegen selten beschrieben“, wird gefeiert und gesoffen, schlicht „extrem gelebt“.

Scharlau, der in seinen Filmen immer mehr mitteilen wollte als Leichenzahlen und Bombeneinschläge, fragt sich dennoch, ob Bilder und Worte die Wirklichkeit des Krieges ausdrücken können: „Wieviel von der Grausamkeit, von der Gefahr, von Blut, Schweiß und vollgeschissenen Hosen kann man überhaupt vermitteln?“

1974 war der damals 40jährige der erste deutsche Fernsehjournalist, der im kommunistischen Nordvietnam drehen durfte. „Ich habe einen Film gemacht, der von großer Symphatie für die Nordvietnamesen geprägt war.“ Trotzdem hat er sich nicht, wie viele seiner amerikanischen Kollegen, die das in der kritischen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Regierung für richtig hielten, als Propagandist nordvietnamesischer Politik mißbrauchen lassen.

„Eines der Symbolbilder dieses Krieges waren die Reste einer bombardierten kleinen katholischen Kirche; der Beweis für den puren Barbarismus der Amerikaner, die nicht einmal Kultstätten schonten. Ich bin dort gewesen, und die Wirklichkeit war, daß 100 Meter neben der Kirche ein großes Basislager der Armee stand, mit Vietkong-Fahne und allem. Der uns begleitende Offizier guckte persönlich durch die Kamara, um sicherzustellen, daß auf dem Bildausschnitt das Lager nicht zu sehen war. Doch wenn man selbst gesehen hat, wie es dort aussah, darf man sich nicht zum Kronzeugen dieser Anklagen machen lassen und schweigen. Schon gar nicht wider besseres Wissen.“

So hatte Scharlau zwar nicht die Bilder, aber die Möglichkeit, in seinem Text die gewollte Nachbarschaft von zivilen und militärischen Gebäuden zu geißeln. „Das halte ich für die Pflicht eines Journalisten, auch wenn man die Position Nordvietnams teilt, und ich habe sie geteilt. Als Journalist habe ich eine Parteilichkeit, und die ist für die Fakten.“ Der Preis: Sieben Jahre lang stand Scharlau auf der schwarzen Liste in Hanoi.

Ein Krieg ohne Zensur, so glaubte der heute 61jährige Scharlau noch bis 1989, ist nicht zu führen. Wenn man den Menschen zuhause „so wahrheitsgemäß, so realitätsnah wie möglich berichten kann und die Grausamkeiten nicht ausgeblendet werden“, würde die Weltöffentlichkeit den Krieg nicht dulden. „Das war unsere Erfahrung aus Vietnam.“ Der Falkland-Krieg, Operationen wie Granada oder der Golfkrieg, die unter Ausschluß der Medien stattfanden, waren die erneute Bestätigung, „daß ein wirklich transparent gemachter Krieg von den Menschen nicht ertragen wird und deshalb nicht zu führen ist.“

Doch der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, „wo uns seit vier Jahren vorgeführt wird, daß die Medien zeigen können, was sie wollen, und es geht trotzdem weiter“, ist die „große Enttäuschung meiner Generation. Das war vielleicht die letzte Illusion, die wir hatten.“

Während einerseits Kinder mit amputierten Gliedmaßen, Flüchtlingselend und zerschossene Häuser keinen Eindruck auf die Öffentlichkeit mehr machen, läuft gleichzeitig eine Riesenkampagne „Unser Schiff für Mururoa“. Klar, das kann man schön vermarkten, zwei Leser dürfen auch noch mitfahren, und zur Not tut man sich aus moralischer Empörung Rotkäpchensekt aus den neuen Bundesländern statt Champganer an. Und während der Stern auf den Verkaufsknüller in Form eines Interviews mit dem französischen Präsidenten Jaque Chirac lauert, kann Winfried Scharlau angesichts so viel moralisierender Verlogenheit „gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte“.

taz -Serie Grenzgänger, Teil 10: Ins Koma Radeln. Portrait des Hamburger Marathon-Bikers Claus Czycholl auf der Suche nach „dem großen Flash“. Donnerstag, 24. August