Vorwärts suchen

■ Strenge Erforschung von Grenzen und Körpern: Saburo Teshigawara begeisterte mit „Here To Here“ beim Sommertheater auf Kampnagel

Wie in weiter Ferne erstreckt sich ein lichter, weißumspannter Raum. Eine schwarze Kontur schiebt sich langsam hervor, um plötzlich in bedrohlicher Orientierungslosigkeit auf uns zuzuschnellen: Ein Mensch sucht in der Ferne nach einem Horizont.

Beim Sommertheater-Festival auf Kampnagel wohnte das Publikum von Freitag bis Sonntag einer abstrakten Genesis bei; einer brillanten Tanzperformance namens Here To Here zum Thema Menschwerdung, die Saburo Teshigawara konzentrisch choreographierte; einer zurückgenommenen Bewegungsanalyse, mit der der japanische Tänzer und Choreograph das Publikum begeisterte.

Die Bühne ist zu einem allseits mit Gaze umspannten hellen Kasten gestaltet, in den das Licht unterschiedlich einbricht. In diesem isolierten Universum herrschen die Elemente mittels Klang und Farbe. Der Tänzer tastet sich in ihnen voran. Teshigawara taumelt, flattert, fällt, zuckt wieder hoch, breitet die Arme aus und scheint zu fliegen – er erobert die Luft und sucht die Grenze. Verwirrt weicht er zurück in den Hintergrund. Der Wind heult furios klangvoll auf, die obere Wand senkt sich auf die Bühne herab und begräbt ihn und den Traum vom Fliegen.

Die Bewegungen dieses Tänzers sind streng und einfach, und doch drücken sie so viel aus. Begleitet von dumpfen Bässen, scheint Teshigawara abzutauchen in ein anderes Element und tastet sich schwerelos über den Meeresgrund. Schwingend, schwebend sucht er sich vorwärts in mutigen Schritten und scheuem Selbstzweifel. In spastischen Bewegungsabläufen erforscht er seinen Körper und gerät aus der Geraden. Nein, läßt sich aus der Geraden in alle erdenklichen Schrägen und Bewegungen sinken. Er probiert seine Fähigkeiten, geht bis an die Grenze seines Raumes und muß hier traurig einhalten. Sein Universum wird ihm nicht vertraut, seine Bewegungen bleiben immer isoliert und befangen.

Aber hinter der stofflichen Grenze wird jetzt ein Schatten sichtbar, und eine Hoffnung entsteht. Die Tänzerin Sayoko Yamaguchi taucht in scherenschnittartiger Anmut als göttliche Frau auf der Bühne auf. Zuerst zeichnet sie sich schemenhaft hinter dem Horizont ab und läßt eine Sehnsucht aufkeimen, bevor sie in vollendeter Schönheit Raum greift. Der Mann und die Frau werden sich nähern, sie werden sich fliehen und sich beeindrucken, aber sie werden ihre Distanz und ihre Einsamkeit nicht überwinden.

Alle Wege werden abgetastet, aber die Sprache bleibt stumm, auch der ekstatisch sich verausgabende Tanz, die tosend lauten Ausbrüche der Elemente führen sie nicht zueinander. In ihrem schweren, schwarzen Kostüm ist Sayoko Yamaguchi eingewickelt wie in eine tausendjährige Tradition, und am Horizont hinter den Wänden zeichnet sich die neue Kultur mit einem punkigen Schatten schrill ab. Die beiden Tänzer auf der Bühne könnten dazwischen einen Weg suchen. Sie erforschen jedoch nur ihre Grenzen und Körper und bleiben in der Isolation. Choreographiert wurde eine mögliche menschliche Entwicklungsgeschichte zwischen den vier Elementen.

Am Ende steht Teshigawara bewegungslos und sprachlos allein im Raum. Selbst wie er einfach da steht, ist faszinierend.

Elsa Freese