■ Vom Klang zur Schrift zum Städtebau: Stationen im Leben des Daniel Libeskind
: Im Dickicht des Architekten

Sein Jüdisches Museum in Berlin sieht aus, als wäre ein Blitz ins Gebäude gefahren und hätte das Haus in Stücke zerteilt. Und der Anbau für das British Museum in London wird mit gläsernen Zakken gespickt sein, während sich das Bauwerk wie eine Spirale emporwindet. Daniel Libeskind liebt den Bruch mit der konventionellen Formensprache der Architektur. Überhaupt vermittelt sich ihm das Bauen nicht so sehr aus der handwerklichen Tradition, sondern aus seinen Erfahrungen mit Musik, Literatur und Philosophie. Wenn er Gebäude entwirft, denkt er lieber an James Joyce oder Arnold Schönberg als an die Lehrmeister vom Bauhaus und des International Style.

Das Interesse an allen erdenklichen Stilen und Einflüssen quer durch die Kulturgeschichte macht Libeskind für die argwöhnischen unter seinen Kollegen zum bloßen Künstlerarchitekten, der nur experimentieren will, ohne sich um die ehrbaren Anliegen der Stadtplaner und Investoren zu scheren. Manche halten seinen fließenden Wechsel zwischen Formen, Materialien und geschichtlichen Verweisen gar für dekonstruktivistische Spielereien eines überdrehten Postmodernen.

Auf der anderen Seite begegnet man in Daniel Libeskind einem durch und durch geschichtsbewußten Menschen, einem Architekten, der seine Bauten im Dienst der Aufklärung versteht: Stets will er Orte und Plätze schaffen, an denen Menschen sich ein Bild ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart machen können. Für den Potsdamer Platz hat er sich deshalb auf Spurensuche begeben und eine Zeichnung der Topografie dieses Ortes erstellt – Berliner Leben aus 200 Jahren ziert nun das Titelblatt dieses taz-Magazins.

Der Wunsch nach Begegnung und Kommunikation liegt auch in der Biographie von Libeskind begründet. 1946 in Lodz geboren, wanderte er 1957 mit seinen Eltern nach Israel aus. Schon früh entwickelte Daniel Libeskind ein ungewöhnliches musikalisches Talent und gab bereits als Kind sehr erfolgreich in Israel Konzerte. In den sechziger Jahren siedelte er in die USA über und studierte Architektur an der Cooper Union School in New York, seinen Abschluß machte er 1971 an der Universität Essex in England. Zur Praxis fand der theoriebegeisterte Architekt erst viel später: Von 1978 bis 1985 war er zunächst Dekan der Architekturfakultät an der Cranbrook Academy of Art in Bloomfield Hills, Michigan, bevor er auf Einladung der Internationalen Bauaustellung nach Berlin kam. Dort wurden seine Entwürfe 1988 unter anderem in der Ausstellung „Berlin – Denkmal oder Denkmodell?“ präsentiert. Im gleichen Jahr gewann Libeskind auch den Wettbewerb für den Bau des Jüdischen Museums, so daß er 1989 endgültig nach Berlin umzog (in Los Angeles leitet er weiterhin ein Büro).

Zu den bekanntesten Projekten Libeskinds zählen derzeit neben dem im letzten Jahr fertiggestellten Jüdischen Museum und dem Londoner Museumsneubau (noch in der Realisierungsphase) das Felix-Nussbaum-Museum in Osnabrück (Fertigstellung in diesem Jahr) sowie die Urbanisierung des ehemaligen Geländes der SS-Kaserne Oranienburg, Sachsenhausen [siehe auch Seite IV dieser Ausgab].

Zugleich sind vor allem seine Entwürfe immer wieder Gegenstand von Ausstellungen, zuletzt im vergangenen November bei der Einzelretrospektive „Beyond the Wall 26.36“ im Niederländischen Institut für Architektur, Rotterdam.

Was bei Libeskind aber Architektur und Entwürfe immer wieder zusammenhält, ist die Schrift. So ist 1995 im Verlag der Kunst der Band „Kein Ort an seiner Stelle“ erschienen, in dem vor allem Libeskinds zahlreiche Visionen für Berlin versammelt sind. Unter den Linden etwa heißt dort „Über den Linden“, weil allein in der kompletten Umgestaltung die Wiederbelebung der Stadt funktionieren kann: „Nur indem die Barrieren der Planung und der Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts durchbrochen werden, kann es gelingen, eine Bresche in den Damm zu schlagen, der den Osten (auch schon vor der politischen Teilung) vom Westen trennte, damit die Energien Berlins wieder frei ins Leben der Stadt zurückfließen können.“ Das Buch schließt beinahe paradigmatisch mit dem Satz „Schöne Architektur Ohne Schönheit“. Es ist das Gespür für die Lebenswirklichkeiten, die Libeskinds Visionen von den Städten für das 21. Jahrhundert plausibel macht. hf