Mit der Axt kamen die Albernheiten

■ Kay Neumanns seniorentaugliche „Misery“-Inszenierung im Ernst Deutsch Theater

Was wäre ein Bestsellerautor ohne Ideen? Der Mann im Rollstuhl hat eine. Wenn er es irgendwie schafft, sich zum Telefon hinaufzuhieven, dann könnte er sich aus den Fängen seiner psychopathischen Pflegerin befreien. Quälend langsam, vor Schmerzen stöhnend, läßt er sich aus dem Rollstuhl gleiten. Quälend langsam, vor Schmerzen stöhnend, robbt er zum Telefontischchen, greift zitternd nach dem Apparat - und muß erkennen, daß dieser innen hohl ist.

Als Kinogänger erwartet man jetzt eine Großaufnahme vom verzweifelten Gesichtsausdruck. Aber nein, wir sind nicht im Film, sondern im Theater. Bei einem Psychothriller wie Stephen Kings Misery, der 1990 von Rob Reiner mit einer hervorragenden Kathy Bates in der weiblichen Hauptrolle verfilmt wurde, hat es das Theater doppelt schwer.

Kay Neumann versucht in seiner Inszenierung am Ernst Deutsch Theater, durch Zeitverzögerung Spannung zu erzeugen. Anfangs gelingt ihm das auch. Ganz ruhig sitzt Judy Winter als Anni Wilkes in ihrem abgelegenen Haus auf der Fensterbank und wartet, bis der schwerverletzte Bestsellerautor Paul Sheldon, dem sie nach einem Autounfall das Leben gerettet hat, aus seinen Fieberträumen erwacht. Ganz langsam steigert sich die unangenehme zur klaustrophobischen und gar lebensbedrohlichen Situation, in der die psychotische Annie den Autor mit brachialen Methoden dazu zwingt, ihren geliebten Fortsetzungsroman Misery weiterzuschreiben.

Doch je enger sich die Psychoschraube um den armen Paul dreht, desto stärker verlangsamt Neumann das Tempo - und erreicht das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt. Spannung schlägt in gepflegte Langeweile und unfreiwillige Komik um. Gleich zwei Tempokiller sind am Werk: die zahlreichen Umbauphasen, und das virtuose, aber wie auf Eis gelegte Spiel von Judy Winter und Thomas Fritsch. Selbst beim Höhepunkt der Geschichte, als Anni ihrem selbsternannten Hausschreiber einen Fuß amputiert, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln, will kein rechtes Grauen aufkommen. Im Gegenteil, als Anni mit der Axt ankommt, geht ein Kichern durch die Reihen.

Immerhin, die Gefahr eines Herzinfarktes besteht bei dieser seniorentauglichen Inszenierung kaum.

Karin Liebe