Berliner Luft im Wertewandel

Die „klassischen“ Berliner Luftschadstoffe sind zurückgegangen. Kein Grund zur Entwarnung: Der Autoverkehr produziert jährlich rund 750 Tonnen Ruß  ■ Von Volker Wartmann

Zunächst einmal die gute Nachricht: „Die Berliner Luft ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht wesentlich besser geworden“, sagt Klaus Kutzner, Referatsleiter Luftreinhaltung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Die Belastung durch die „klassischen“ Berliner Luftschadstoffe ist in erheblichem Maße gesunken. Ursachen des typischen Berlin-Smogs waren damals hauptsächlich die Emissionen aus Kachelöfen und aus kleinen und großen Kraftwerken. Die meisten kohlebefeuerten Wohnungsheizungen sind inzwischen auf Erdgas umgestellt und viele ehemals mit Braunkohle betriebene Kraftwerke im Umland Berlins stillgelegt oder saniert worden.

So liegt die Schwebstaubbelastung heute etwa 30 Prozent niedriger als 1979. Gründe dafür sind der per Verordnung erzwungene Einsatz von Entstaubungstechnik bei großen und mittleren Anlagen in ganz Berlin und im Umland. Weiterhin trug die schrittweise Umstellung der Feuerungsanlagen von Kohle auf umweltfreundlichere Brennstoffe zu dieser Reduktion bei. Die Schwefeldioxidbelastungen nahmen im gleichen Zeitraum sogar um 70 Prozent ab. Die Ursache hierfür ist in erster Linie die Umstellung der Heizungen von Haushalten und Gewerbe von Kohle auf Erdgas, Fernwärme und leichtes Heizöl und die Begrenzung des Schwefelgehaltes in den Brennstoffen. Infolge dieser Entwicklung trat seit Januar 1991 keine Smogsituation mehr auf, so daß die Wintersmogverordnung für Berlin wahlkampfgerecht im Herbst 1995 aufgehoben werden konnte.

Die nach wie vor ungelöste Aufgabe in Sachen Luftverschmutzung ist und bleibt hauptsächlich der Kfz-Verkehr. Jedoch nicht nur der Klimakiller Kohlendioxid und das Sommerozon sind verkehrsverursachte Problemstoffe. In der Stadt konzentrieren sich große Mengen an kanzerogenem Benzol sowie Stickoxide und Dieselruße in gesundheitsgefährdendem Ausmaß. „Der bei weitem kritischste Luftschadstoff im innerstädtischen Bereich ist Dieselruß“, so Kutzner. Seit knapp 20 Jahren weiß man, daß Ruß – wissenschaftlich: Kohlenstoff – ein kanzerogener Stoff ist. Feine Rußpartikel gelangen über die Atemwege in die Lunge und können dort Krebs auslösen.

Rund 750 Tonnen Kohlenstoff werden nach offiziellen Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie durch den Verkehr in Berlin jährlich emittiert. Etwa 400 Tonnen Kohlenstoff stammen dabei aus den Auspuffen dieselbetriebener Kraftfahrzeuge. Fast genausoviel Ruß wird durch Reifenabrieb freigesetzt: 350 Tonnen der in der Luft enthaltenen kleinen und daher besonders wirkungsrelevanten Kohlenstoffpartikel sind Bestandteil aus dem jährlichen Reifenabrieb von insgesamt 1.100 Tonnen.

Von den insgesamt jährlich in Berlin freigesetzten 750 Tonnen Ruß entstammt ein gutes Drittel aus dem Abgasen von Diesel-Pkw und dem Reifenabrieb aller Pkw. Wiederum 100 Tonnen Kohlenstoff durch den Ausstoß von Dieselabgasen und Reifenabrieb werden durch den leichten Lieferverkehr zur Luftverschmutzung beigesteuert. Busse tragen durch ihre Auspuffabgase und Reifenabrieb mit 60 Tonnen Kohlenstoff zur Luftbelastung bei. Den Löwenanteil an Rußen durch die Verbrennung von Dieselkraftstoff und Reifenabrieb produzieren die schweren Lkw: rund 330 Tonnen pro Jahr.

Zehn Prozent aller in Berlin zugelassenen Pkw sind Diesel-Pkw, im Bundesdurchschnitt sind es 15 Prozent. „Nach dem Wegfall der Wintersmogverordnung ist auch in Berlin eine Angleichung an den Bundesdurchschnitt zu erwarten“, so Hermann Blümel, Verkehrsexperte bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Laut dieser bis 1995 geltenden Verordnung waren dieselbetriebene Pkw und kleine Liefer-Lkw die ersten Kraftfahrzeuge, die von möglichen Fahrverboten betroffen waren. „Darum waren bis 1995 rund die Hälfte aller zugelassenen Liefer-Lkw in Berlin benzingetrieben, ein in Deutschland einmalig hoher Anteil“, so Blümel. „Seit 1995 jedoch werden nahezu ausschließlich Diesellieferwagen angeschafft.“ Die Folge für die Berliner Luft: Die technischen Verbesserungen bei Dieselfahrzeugen werden durch ihre Zunahme wieder kompensiert.

Aber nicht nur verhältnismäßig steigt der Anteil der Diesel-Kfz an. Auch der absolute Fahrzeugbestand in Berlin wird weiter zunehmen. Von 1988 bis 1995 stieg die Zahl der Kfz um 18 Prozent, bei Pkw betrug die Zunahme sogar über 21 Prozent. Die Kfz-Dichte in Berlin lag 1995 bei 395 Kfz pro 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: In München kommen statistisch gesehen 575 Kfz auf 1.000 Einwohner. „Es ist zu erwarten, daß der Kraftfahrzeugbestand in Berlin in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird“, so Blümel.

Trotz der besorgniserregenden Situation und düsterer Perspektiven scheinen einschneidende Eingriffe in den Verkehrssektor für die Politik ein Tabuthema zu sein. „In der Luftreinhaltepolitik konnten im Verkehrssektor bisher nur Teilerfolge erzielt werden“, so Referatsleiter Kutzner. „In diesem Bereich muß in Zukunft noch viel passieren.“ In rund 15 Prozent der Hauptverkehrsstraßen der Stadt sind die ab 1.Juli 1998 geltenden Konzentrationswerte für Ruß überschritten. „Aufgrund dieser Situation müßte der Verkehrssenator ein Fahrverbot für Diesel- Pkw in der Innenstadt aussprechen, wenn er sich an den Senatsbeschluß aus dem Jahr 1994 hält. Die bundesrechtliche Regelung verpflichtet den Verkehrssenator zumindest zur Prüfung eines Fahrverbotes“, erläutert Blümel. Daß die Senatsverwaltung für Verkehr diesen Schritt jedoch tatsächlich gehen wird, ist nicht zu erwarten: Die für die Kennzeichnung sauberer Kfz erforderliche, im Rahmen des Sommersmoggesetzes 1996 eingeführte Plakette wurde stillschweigend wieder aus dem Verkehr gezogen.