Genmanipuliertes Zuckerbrot und Peitsche

Im Rahmen der Grünen Woche wird auf dem Biomarkt ein Thementag „Gentechnik“ veranstaltet: Manipulierte Lebensmittel sind auf dem Vormarsch ins Supermarktregal. Ökobauern wollen notfalls mit eigener Saatzucht Gen-Abstinenz garantieren ■ Von Esther Kogelboom

Naturkost bietet nicht nur eine gesunde und vielfältige Ernährung. Bei der Erzeugung ökologischer Lebensmittel wird auch garantiert auf Genmanipulation verzichtet. Damit das so bleibt, seien kostenintensive Alternativverfahren wie eine eigene Saatzucht und Hefeproduktion erforderlich, prophezeit Marita Odia vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), die den Thementag „Gentechnik“ auf dem Biomarkt organisiert. „Die Unsicherheit gegenüber neuen Möglichkeiten in der Manipulation unserer Lebensmittel erzeugt Ängste bei der Bevölkerung“, so Hans-Werner Goll, Vorstandssprecher bei neuform.

Jens Katzek vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) folgert: „Wenn die Industrie sich weiterhin gegen eine Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln wendet, wird sie niemals eine Akzeptanz dieser Produkte erreichen.“ Wenn es nach Katzek ginge, blieben die genetisch veränderten Fressalien sowieso besser im Regal: „Die möglichen gesundheitlichen Risiken sind für den Verbraucher noch nicht abschätzbar.“ Auch den Nährwert der Designerprodukte sieht Katzek kritisch: „Es wird viel darüber gesprochen, daß gesündere Lebensmittel mit Hilfe der Gentechnik hergestellt werden sollen, die auch noch billiger sind. Doch die Realität sieht anders aus: Über 60 Prozent der weltweiten Freisetzungen folgen dem Ziel, Pflanzen gegenüber Herbiziden resistent zu machen.“

„Weltweit wurden 1997 auf 12,7 Millionen Hektar genmanipulierte Pflanzen kommerziell angebaut. In Europa beginnt der Anbau voraussichtlich erst im Lauf des Jahres 1998“, schreibt der Spiegel 2/1998. Spitzenreiter sind demnach die USA mit 8,1 Millionen Hektar, gefolgt von China (1,8 Millionen Hektar), Argentinien (1,4 Millionen Hektar) und Kanada (1,3 Millionen Hektar). Lediglich bei einem Prozent würden die Haltbarkeit oder der Nährstoffgehalt verändert.

Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe gegenüber der Wirtschaftswoche (Nr.3/8.1. 98): „Heute danach zu fragen, ob wir Gentechnik im Essen haben wollen oder nicht, ist lächerlich – die Entscheidung ist längst gefallen. In zwei oder drei Jahren“, so prognostiziert Brabeck-Lemathe, „werden wir auf der ganzen Welt keine gentechnikfreien Rohwaren mehr bekommen. Die Landwirte reißen sich ja förmlich um das neue Saatgut, weil sie in der Regel um fünf Prozent höhere Erträge erzielen, obwohl sie gut ein Viertel weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel brauchen.“

Zum Thema Deklaration meint der Nestlé-Chef: „Wir haben eingesehen, daß die Verbraucher gerne wissen möchten, was sie essen.“ Deshalb kennzeichne Nestlé seine Produkte nach selbst auferlegten Kriterien, weil die Europäische Union (EU) sich immer noch nicht über konkrete Ausführungsbestimmungen für ihre Novel- Food-Verordnung und die Kennzeichnungsrichtlinie einigen könne. Das Ziel des Konzerns laute nicht etwa Gewinnmaximierung, sondern: „Wir wollen Menschen auf der ganzen Welt nahrhafte, gesunde und hygienisch einwandfreie Lebensmittel anbieten“, das sei gerade in den ärmeren Regionen dieser Welt wichtig.

Jens Katzek vom BUND hält dagegen: „Die Vorteile für den Verbraucher in der Dritten Welt halten sich in Grenzen.“ Eine Untersuchung des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag zeige deutlich, daß Gentechnik den Hunger in der Dritten Welt nicht stillen werde. Klaus-Dieter Jany von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung argumentiert in dem Reformhaus-Blatt Themen, daß Produktionssteigerung grundsätzlich nicht nur negativ zu sehen sei; in 50 Jahren müsse schließlich die doppelte Anzahl von Menschen ernährt werden. „Anders als gegenwärtig wird dann die Verteilung der Lebensmittel nicht mehr das Hauptproblem sein, sondern die geringe Menge.“ Die Anbaufläche könne schließlich nicht beliebig gesteigert werden. Jany fordert deshalb, daß bereits heute Verfahren zur Produktionssteigerung und -sicherung unter umweltschonenden Bedingungen entwickelt werden. Dazu könne die Gentechnik zumindest teilweise beitragen, indem sie „gemeinsam mit der konventionellen Züchtung zum Beispiel transgene Pflanzen liefert, die primär höhere Erträge erbringen oder resistent gegen Schadinsekten, Virus- und Pilzerkrankungen sind und somit auf gleicher Anbaufläche höhere Erträge sichert“.

Jochen Bielefeld, neuform-Mitarbeiter, warnt vor dem Einsatz von Totalherbiziden. Immer mehr Wildkräuter, darunter auch Heilpflanzen, werden von den „Pflanzenschutzmitteln“ bedroht. Bielefeld: „Parallel dazu droht die Sortenvielfalt pflanzlicher Lebensmittel zurückzugehen, weil die Gentech-Industrie zwangsläufig auf Rationalisierung setzt und sich auf wenige hochprofitable Nutzpflanzensorten beschränken wird.“

Eine nachhaltige Landwirtschaft müsse konsequent ökologisch wirtschaften, natur- und umweltverträglich sein und gerade den kleinen und mittleren Bauern ein vernünftiges Einkommen sichern. Der agrarpolitische Sprecher des BUND, Hubert Weiger, diagnostizierte bereits anläßlich der Grünen Woche 1997: „Die Agro-Industrie hofft auf das große Geschäft mit genmanipuliertem Saatgut und maßgeschneiderten Pestiziden. Das Nachsehen haben die Umwelt, die Verbraucher und die Bauern, die man mit dem Zuckerbrot eines vereinfachten Pflanzenanbaus ködert und die Peitsche der wirtschaftlichen Abhängigkeit erst später spüren läßt.“