Les intellos machen mobil

■ Bernard-Henry Lévys Algerienreport hat Frankreichs Intellektuelle mobilisiert. Es überwiegt Genugtuung, daß Algerien thematisiert wird

Nicht mehr ganz „neue“ Philosophen, Journalisten, Politiker, die gegenwärtig in der zweiten Reihe stehen, und andere Gewissenträger unter den französischen Intellektuellen haben Algerien entdeckt. Wie bei früheren Gelegenheiten und anderen Ländern wollen sie jetzt wieder eine Kampagne eröffnen. Den Auftakt dazu machte der Philosoph und Medienstar Bernard-Henry Lévy mit einer Reportage über „in Algerien gesehene Dinge“, die Anfang des Monats in Le Monde erschien und in dieser Woche von der Zeit nachgedruckt wurde. Weitere Initiativen sollen folgen. Erklärtes Ziel: Die UNO soll den „islamistischen Terrorismus“ als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anerkennen. Von sofortigen Verhandlungen zwischen den algerischen Konfliktparteien wollen sie nichts wissen. Sie setzten vielmehr auf internationale Lösungen.

Am kommenden Mittwoch wollen die intellos mit einer Veranstaltung in der Pariser „Mutualité“ ihre öffentlichen Aktionen beginnen. Neben der algerischen Abgeordneten Khalida Messaoudi und dem El Watan-Chefredakteur Omar Belhouchet sind dazu auch zwei nicht namentlich genannte Frauen geladen, „die Gefangene der GIA waren“. Umgeben sind die AlgerierInnen von einer Gruppe von 18 französischen Intellektuellen und von Politikern fast aller Parteien. Mit wenigen Ausnahmen sind es dieselben, die auch gegen den Bosnienkrieg Kampagne gemacht haben. Unter ihnen neben Lévy der einstige Justizminister Robert Badinter, der einstige Kulturminister und Mitterrand-Freund Jack Lang sowie der inzwischen ins Lager der Konservativen übergewechselte Öko- Politiker Brice Lalonde und der Ex-Wirtschaftsminister Alain Madelin.

Lévys Bericht in Le Monde, in dem er Szenen aus Algerien beschrieb, das er im Dezember in Begleitung algerischer Gendarmen bereiste, hat Aufsehen erregt. Das lag weniger an den darin enthaltenen Informationen, die zumeist lange bekannt und vielfach veröffentlicht waren. Der Name des Autors und die Plazierung und Länge seines Textes haben Wirkung gezeigt: Der Philosoph bekam in der angesehensten Tageszeitung Frankreichs vier Seiten Platz an zwei aufeinanderfolgenden Tagen.

Das allein hatte den Charakter eines Fanals. Algerische Journalisten, von denen mindestens 200 in den letzten Jahren nach Frankreich geflohen sind, und algerische Schriftsteller hatten bislang keine Gelegenheit, derartig breit über die Lage in ihrem Land zu berichten. Die Frage: „Warum Lévy und nicht wir?“ ließ deswegen nicht auf sich warten. Meist allerdings wollen die algerischen Flüchtlinge nicht namentlich zitiert werden und zeigen sich „froh“ darüber, „daß überhaupt über Algerien gesprochen wird“.

Ein algerischer Filmemacher brach diese Regel und schrieb in der Zeitung Libération Anfang der Woche einen bitterbösen Artikel über die „Strategie der Aasgeier“. Darin wirft Djelloul Beghoura den „moralischen Gewissen“ Frankreichs vor, sie nutzten die „Leichenfelder in aller Welt“, um sich „mal wieder in Erinnerung“ zu bringen. Die von ihnen selbst genannte „Pflicht zur Einmischung“ bezeichnet Beghoura als Vorwand, während sie tatsächlich „das Elend der vietnamesischen Boat people, die Hungerepidemien in Äthiopien und und die Tragödien in Somalia, Bosnien und Ruanda“ als Karrierebausteine benutzten.

„Ich mache die Dinge, die mir wichtig erscheinen“, sagte Lévy, „und wenn ich den Eindruck habe, daß niemand sonst sie an meiner Stelle tut.“ Wie damals, als er „Bosna“ drehte, denkt Lévy auch jetzt über einen Kinofilm nach. Auf Lévys Bericht aus Algerien werden weitere Artikel französischer Intellektueller folgen. Seit einigen Tagen ist auch der Philosoph André Glucksmann in Algerien unterwegs, um seinerseits den Massakern nachzurecherchieren. Im Gegensatz zu Lévy ist Glucksmann zwar nicht in Algerien geboren, aber er arbeitet schon seit Jahren über das Land. Er ist seit 1992 an der Seite von algerischen Intellektuellen engagiert und hat schon oft über den islamistischen Fundamentalismus geschrieben, den er als das dritte totalitäre Ereignis dieses Jahrhunderts bezeichnet — nach Faschismus und Kommunismus. Neben Medienprojekten bereiten französische Intellektuelle zusammen mit der italienischen Zeitschrift una città eine an die UNO gerichtete Petition vor, die verlangt, die Massaker der Islamisten als nicht verjährbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen. Deutsche sind nicht an den Initiativen der intellos beteiligt. Aber Lévy sucht die Zusammenarbeit. „Ich würde gerne mit Günter Grass und Peter Schneider zusammenarbeiten“, sagt er, „das sind Intellektuelle, die ich schätze.“ Dorothea Hahn