■ Vorschlag
: Was vom Situationismus übrigblieb – ein Vortrag über Guy Debord

Guy Debord war kein Mann der langen Rede, sein Metier war der kurze Prozeß. Wenn er ein Buch schrieb, wurde nicht kleinlich argumentiert und geschlußfolgert, sondern Thesen wurden an die Wand genagelt – 221 an der Zahl. Sein Hauptwerk „Die Gesellschaft des Spektakels“ von 1967 wurde oft als Vorwegnahme des Aufstandes vom Pariser Mai 68 bezeichnet, und genau so war es auch gemeint: als Erziehung der Erzieher, als zitierfähiges Brevier für revolutionäre Avantgardeure. Immerhin. Fast hätte es geklappt.

Mit dem Jahr 1968 mußte er dennoch irgendwie zufrieden gewesen sein, denn es war eines der ganz wenigen, in denen Debord keinen Abweichler aus seiner Situationistischen Internationale schmiß. Ein Schicksal, das in ihrem zehnjährigen Bestehen die meisten Mitglieder ereilte. Dabei war die situationistische Internationale einst zur Realisation emanzipativer Ideen ins Leben gerufen worden. Ihr Zweck sollte die „bewußte Organisation der Kreativität der Leute im alltäglichen Leben“ sein. Als des alltäglichen Lebens greifbarste Konkretion galt die Situation, und wenn man – situationistischer Katalysator – in der Lage wäre, immer die Situation herzustellen, die man brauchte, könnten auch alle „Ereignisse des Lebens“ frei konstruierbar sein! Wenn da nur nicht die Macht der alten Kräfte wäre, „die Freiheit des Marktes, abgemildert durch die Menschenrechte des Zuschauers“. Um sich davon nichts zementieren zu lassen, sondern vielmehr alles am situativen Fließen halten zu können, definierte Debord die Macht des Kapitalismus einfach als Spektakel, als „fetischistischen Schein reiner Objektivität“.

Das war vor 30 Jahren, Debord und die Seinen hatten das Glück, die Marschroute des Weltgeistes besser bestimmen zu können als wir Heutige. Geblieben ist mit „Die Gesellschaft des Spektakels“ gleichwohl ein harter Knochen. Im Rahmen eines Vortrages will ihn sich Andreas Benl heute abend vornehmen. Gefragt wird: „Taugt der Situationismus als letzte Rettung bewegungsmarxistischer und popkultureller Strategien?“ Oder auch: „War der Nationalsozialismus, wie von Debord suggeriert, lediglich eine rückständige Form des modernen Spektakels, oder verdienen auch in diesem Fall deutsche Besonderheiten verstärkte Aufmerksamkeit?“ Nils Michaelis

Heute, 19.30 Uhr, Kulturhaus Mitte, Rosenthaler Straße 51