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„Da krieg' ich 'ne Macke“

Oktay Urkal, nach eigener Einschätzung der bekannteste Türke Berlins, holt seinen ersten Titel als Profiboxer  ■ Aus Berlin Gerald Kleffmann

Wenn es nach Oktay Urkal, 27, ginge, sollten Frauen beim Boxen zu Hause bleiben. Zumindest wenn er im Ring steht. „Weibliche Personen irritieren mich irgendwie. Vor allem in der ersten Reihe.“ Genau dort aber überraschte ihn am späten Samstagabend seine Mutter Ayse, die trotz ausdrücklichem Erscheinungsverbot ihres Sohnes im Berliner Sport- und Erholungszentrum aufkreuzte. Überrascht von diesem Besuch ließ er sich jedoch nicht nervös machen, auch nicht von seinem Gegner Craig Allen Houk (USA), und siegte souverän in seinem ersten Profi-Titelkampf im Superleichtgewicht um die WBC- Intercontinental-Meisterschaft. Technischer K.o. nach 2:50 Minuten in Runde 3.

Überrascht hat dies wiederum niemand, auch nicht die überwiegend 1.700 türkischen Fans. Ihr „Ali von Kreuzberg“, der als Amateur 250 seiner 280 Kämpfe gewann, bei den Olympischen Spielen in Atlanta Silber holte und als Profi eine makellose Bilanz – zwölf Kämpfe, zwölf Siege – aufweisen kann, brauche schließlich vor niemandem Angst zu haben, „selbst vor Mike Tyson nicht“ (Urkal). Sein Kontrahent Houk (33), kurzfristig für den verletzten Landsmann David Armstrong eingesprungen, konnte ihm sicherlich keine Furcht einflößen. Zu kraftvoll, zu kompakt, zu überlegen boxte Urkal. Houk, mit einer Teilnahme im Kampf um die WBO-Intercontinental-Meisterschaft 1995 als bestes Resultat seiner Karriere angetreten, machte das Beste in seiner Situation – und ging früh zu Boden. Nach drei Niederschlägen war der ungleiche Kampf zugunsten von Urkal beendet. „Oktay hat eine große Zukunft vor sich“, sagte Verlierer Houk, der mit Oberlippenbart und Pilzfrisur eher wie ein Tennislehrer als ein Boxprofi wirkte und gelernter Basketballschiedsrichter ist, anschließend brav auf der Pressekonferenz. „Er wird eines Tages Weltmeister.“

Ein Titel, für den Urkal alles gibt. Dafür lebt und arbeitet er, „selbst wenn mich das Training manchmal ankotzt“. Aber da müsse er durch, und außerdem: „Ein Bauarbeiter muß auch acht Stunden am Tag schuften. Später hat er vielleicht einen kaputten Rücken. Das kann mir genauso passieren.“ Für diese Einstellung lieben und verehren sie ihn in Kreuzberg, dem Berliner Stadtteil, in dem Urkal lebt und trainiert. Seine Fans nennen ihn „Cassius“, und wie sein großes Vorbild und Boxlegende Mohammed Ali versteht er die Show. Schnell kommen Sprüche wie: „Ich möchte sein wie er“, „Ich möchte auch seinen Namen“ oder „Ich will nie quatschen, was ich nicht halten kann.“ Als vor einer Woche im Trainingslager in Usedom Skinheads das Universum-Boxteam bedrohten, hätte er „ohne Probleme drei, vier von denen alleine weghauen können“. Und wenn er seine Familie länger nicht sieht, sagte er: „Da krieg' ich 'ne Macke“.

Urkal nennt sich selbst den „bekanntesten Türken Berlins“. Was durchaus zutreffen könnte. Der gebürtige Türke – seine Familie kommt aus der Nähe von Ankara – wird von seinen ehemaligen Landsleuten wie ein Held gefeiert. Sein Kampf gegen Houk war natürlich ausverkauft, das türkische Fernsehen live dabei, und sogar der türkische Generalkonsul Riza Erkmenoglu kam höchstpersönlich, um als erster zu gratulieren.

Daß ihm aber der Erfolg nicht zu Kopf steigt, dafür will Urkal selbst sorgen: „Ich möchte niemals hochnäsig und arrogant werden, nur weil ich viel Geld habe.“ Das sei zwar das „Größte, was man besitzen kann“, sagt er, aber auch, daß „ich so bleibe, wie ich bin“. Sein Manager Klaus-Peter Kohl wünscht sich vor allem, daß sein Schützling noch in diesem Jahr um einen „richtigen“ Titel boxen darf. „Zwei, drei Titelverteidigungen und dann ein Kampf um die Europameisterschaft wären optimal.“

Mit Fritz Sdunek, der bereits Michalczewski zum Weltmeister coachte, soll der internationale Durchbruch kommen. Der Titel in der WBC-Meisterschaft war es noch nicht – zu unbedeutend ist sein Stellenwert, vergleichbar mit der Vorstufe zu einer WM-Ausscheidung. Wahrscheinlich wird Urkal nach Hamburg ziehen, um sich im Universum-Hauptboxstall auf die nächsten Aufgaben vorzubereiten. Sollte er Kreuzberg verlassen, würden seine Fans sehr enttäuscht sein. Seine Mutter ist es bestimmt schon jetzt. Auf der Pressekonferenz deutete Oktay nämlich an: „Ich liebe meine Mutter abgöttisch, aber bei meinem nächsten Fight bleibt sie wirklich zu Hause.“

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