Press-Schlag: „Keinen unterschätzen“
■ Erwartet schwere EM-Gegner für Vogts: Türkei, Finnland, Nordirland, Moldawien
Noch jede Fußball-Auslosung in Deutschland hat bekanntlich alle Merkmale einer Groteske gezeigt: Ausnahmslos werden immer die anerkannt leichtesten Gegner aus den Lostöpfen herausgegrabscht. Dies gilt unter Fachleuten längst als Beweis für die Bestechlichkeit aller Glücksfeen und sonstiger Schicksalsbewerkstelliger.
Als platte Tarnung der Einflußnahme malen alle Verantwortlichen (allen voran Vorturner Vogts) immer das nahende Grauen an die Wand: Schwerste Aufgabe, uiuiui!!! Leichte Gegner gibt es gar nie nicht mehr, nein, nein, nein! Die Breite an der Spitze ist leistungsmäßig eng zusammengerückt respektive aneinandergekuschelt, o ja, ja!!!
Gern schlägt „ein“ (Vogts) Vogts, wie bei der WM-Auslosung im Dezember, sogar einen dialektischen Salto: „Es hätte schwerer kommen können, aber es hätte auch leichter kommen können.“ Einmal, einmal nur, hätte es doch, wie bei der gestrigen Auslosung für die Euro 2000 in Holland und Belgien, anders werden können. Vielleicht eine prickelnde schwere Gruppe mit Frankreich, Schweden, Ungarn und den seit 1968 immer wieder sehr beliebten Albanern. Oder wenigstens eine lustige Gruppe mit Österarm, Lettauen, Littiland und San Marino.
Was aber kam in diesem Toto-Lotto für die DFB-Betriebssportmannschaft zunächst heraus? Das Freilos. Der Horror schlechthin. Ein besonders schwerer Schicksalsschlag. Denn über das Freilos weiß man sehr wenig, was es besonders unberechenbar macht. Spielt es mit Viererkette? Wird es sich gemeinerweise mit 10 Leuten hinten hineinstellen? Sind seine Fans Hooligans?
Freilos heißt: Der nächste Spielausfall ist der schwerste. Das bedeutet: noch weniger Zeit für den stirn- und wangengefalteten Bundestrainer, um seine Buben übungsbedingt um sich zu scharen. Zweimal weniger Kräftemessen. Und zweimal weniger dicke Kohle machen für den DFB.
Der ist nämlich auf dem besten Wege, wieder die juristisch abgesicherte Alleinherrschaft über die milliardenschweren Übertragungsrechte zu bekommen. Die Bonner CDU/CSU- Bundestagsfraktion macht sich stark für eine dreiste Lex DFB, mit der das knebelnde Kartellrecht für Großunternehmen mit dem Tarnnamen „Sportverein“ ausgehebelt wird, weil diese, so Friedhelm Ost in perfektem Egidius-Braun-Duktus, „in Erfüllung ihrer vorrangig gesellschaftspolitischen Verantwortung auch der Förderung des Amateur- und Jugendsports verpflichtet sind“.
Wir wissen noch nicht, ob Friedhelm Ost bei der deutschenfreundlichen Manipulation der Lostöpfe beteiligt ist, aber wir wissen jetzt, wie sie das machen: Hollands Größter, Johan Cruyff, der Ausloser gestern, hätte den Moffen mit Sicherheit premierös den blanken Horror zugelost. Aber da kam Lennart Johansson, der Uefa- Boß und Freund von Egidius Braun, puschte Cruyff im letzten Moment von den Loskugeln, griff höchstselbst in den Pott und hatte zielsicher die „Germany“-Kugel in der Hand, als es um die lockende Lachnummer-Gruppe mit Türkei, Finnland, Nordirland und Moldawien ging.
Unglaublich! Warum protestiert da niemand!
Der National-Vogts legte augenblicklich grinsend das Köpfchen schief. Später statemente er von den erwartet schweren Gegnern, man wolle „bei allem Losglück“ sicher „keinen in der Qual-kation unterschätzen“, denn alle „haben aufgeholt“. Gefehlt zum Glück hat als Gegner nur, wie ihn ZDFs Nils Kaben nannte, „der Zwergenstaat Andorra“. Vielleicht wachsen die aber noch: „Fußball“, so Kaben, ist schließlich, „eine schnellebige Zeit.“ Na denn. Bernd Müllender
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