: Eine vage Geste der Demut
„Unter einer Krone“: Eine Ausstellung in Dresden skizziert die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse zur Zeit der sächsisch-polnischen Union. Rüstkammer, Grünes Gewölbe und Mätressenporträts en masse – die Barock-Lobby kommt auf ihre Kosten ■ Von Susanne Altmann
Warschau war ihm eine Messe wert! Wie sich fast ein Jahrhundert zuvor der Franzose Heinrich von Navarra durch den Übertritt zum Katholizismus das Königreich sicherte, so verführte die Aussicht auf die polnische Krone auch den protestantischen Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen zur Konversion. Im Gegensatz zum Frankreich des siechen Hauses Valois war der Protestantismus im Sachsen des Jahres 1697 keine Religion mehr, die mit dem Schwert in der Hand verteidigt werden mußte. Ganz im Gegenteil blickte das größtenteils lutherische Sachsen mit wenig Wohlgefallen auf seinen Landesherrn. Dem eher toleranten August war Religion kein Dogma. Er sicherte den Landeskindern Glaubensfreiheit zu und machte sich daran, nun auch den Polen ein guter König zu sein.
Die Jahre der Regentschaft Augusts II. – wie sich Friedrich August I. als König nannte – und seines Sohnes Augusts III. beleuchtet nun im Dresdner Schloß die Ausstellung „Unter einer Krone“, die im Herbst schon im Warschauer Königsschloß zu sehen gewesen war. Die relativ kurze Allianz (1697–1763), instabil und von den Kriegen umwogt, wurde in der Geschichtsschreibung beider Länder bislang wenig positiv bewertet. Erst in jüngster Zeit haben polnische Historiker, insbesondere Jacek Staszewski, eine differenzierte Neubewertung jener Epoche unternommen.
Wie war es zu der Verbindung gekommen? Polen war Wahlmonarchie, und 1697 bewarben sich neben Friedrich August auch der Bourbonenfürst Conti und sogar ein polnischer Edelmann. Der französische Gegenkandidat, mit anfangs besten Chancen, wurde kurz vor seiner Ankunft in Danzig vertrieben. Die rechtzeitige Konversion Augusts und sein sächsisches Gold ließen die Waage dann zu seinen Gunsten ausschlagen. Die ebenso mächtigen wie oft uneinigen polnischen Adligen und Kirchenfürsten waren überzeugt.
„Unter einer Krone“ skizziert die politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Lage besonders in Sachsen. Vorwiegend mit Exponaten aus den Einzelgebieten und mit wohltuend wenig didaktischen Schriftsätzen werden Bergbau- und Hüttenwesen, Glas- und Textilindustrie als ökonomische Stützen des sächsischen Wohlstandes im ausgehenden 17. Jahrhundert vorgestellt. Militärische und politische Themen verlangen andere Ausstellungsstücke, und so erinnern die Räume in der Abfolge und Vielfalt deutlich an fürstliche Wunderkammern.
Eine der berühmtesten hatte am kursächsischen Hofe existiert, und daher stammen zahllose Stücke aus der vormaligen kurfürstlichen Sammlung. Im Laufe des 18. Jahrhunderts spaltete sich jenes Zeugnis unsystematischer Sammelfreude dann in Rüstkammer, mathematisch-physikalischen Salon, in die weltberühmte Gemäldegalerie und die Schatzkammer „Grünes Gewölbe“. Besonders in letzterer wurde das immense Repräsentationsbedürfnis des herkulischen Monarchen offenbar.
Wie auf einer noblen Perlenschnur reihen sich die Porträts von Mätressen des Königs. Auch fehlt nicht das legendäre und beurkundete Hufeisen, das er mit eigener Hand zerbrach. Unter derlei augenzwinkernder Mythenbildung verliert die Ausstellung jedoch nie ihre sachliche Mission aus den Augen. Immerhin festigte der Regent die sächsisch-polnische Union auch mit Hilfe einheimischer Adelsgattinnen beziehungsweise durch Verheiratung seiner unehelichen Kinder innerhalb der polnischen Nobilität.
Seine diplomatischen und militärischen Ziele, so der endgültige Sieg über Karl XII. von Schweden oder eine Verstärkung des polnischen Heeres, waren von weniger Fortune gekrönt. Auch sollte es nicht gelingen, für die Wettiner eine Erbmonarchie zu etablieren. Augusts Sohn hatte sich nach dem Ableben seines Vaters 1733 einer erneuten Wahl zu stellen.
Hier hätte mit Stanislaw I. Leszczyński fast ein Pole den Titel errungen; eine erneute Wahl favorisierte den Sachsen. Tatsächlich sollte ein unvoreingenommener Ausländer als Monarch helfen, die ewig schwelenden Differenzen innerhalb des polnischen Adels und mächtigen Klerus gering zu halten. Dem König selbst war durch diese verworrenen und wechselhaften Machtverhältnisse jedoch nur wenig politischer Spielraum gegeben, und so können Historiker heute die mutmaßliche Schuld der Wettiner Herrscher an der dunklen Periode und der Teilung Polens zumindest modifizieren.
Das Reisen der Höfe zwischen Dresden und Warschau zu Zeiten Augusts II. und das Exil des Sohnes während des Siebenjährigen Krieges führte auch nichtsächsische Hofkünstler nach Warschau. Bernardo Bellottos alias Canalettos Veduten, die minutiös mit der Camera obscura städtisches Treiben vor architektonischer Kulisse zeigen, existieren für Dresden wie für die polnische Residenz. Kein Wunder, daß die Werke des kosmopolitischen Italieners Herzstücke der Schau sind.
Wie alle anderen Pretiosen und Objekte figurieren auch sie in Dresden in einem höchst kargen Ambiente. Denn während das Warschauer Königsschloß als nationales Symbol und Glanzleistung weltberühmter polnischer Restauratorenkunst schon lange wiederhergestellt wurde, zeigt das Renaissanceschloß in Dresden noch immer viele Wunden und Narben.
Sicher eher unbeabsichtigt entsteht hier eine vage Geste der Demut im Hinblick auf die polnische Hauptstadt, deren Schätze deutschem Zerstörungswahn zum Opfer fielen. Ein kurzer Blick aus dem Fenster läßt in Dresden die nackten Steinwände und Betondecken vergessen: Als barocker Schrein erhebt sich die katholische Hofkirche. Chiaveri und Mattielli, Architekt und Bildhauer aus Italien, haben mit ihr dem Religionswechsel des Kurfürsten ein fast musikalisches Denkmal setzen dürfen.
Doch nicht nur für dieses Kunstwerk finden wir die direkte Ursache in Polen; auch die Ursprünge der protestantischen Dresdner Frauenkirche, deren Wiederaufbau heutzutage Politikum wurde, lassen sich darauf zurückverfolgen. In ihr zeigt sich das standhafte Bekenntnis von Bürgerschaft und protestantischer Geistlichkeit zu ihrem angestammten Glauben – gegen den Affront des Gesinnungswandels des Monarchen.
All diese Facetten der Historie, ob Krönungszeremoniell oder polnische Dissidenten im Sachsen des 19. Jahrhunderts, werden versucht, „unter eine Krone“ zu bringen: ein tapferes Unterfangen, das an Gigantomanie grenzt. Eine Geschichtskorrektur freilich, wie mancherorts zu lesen war, unternimmt dieser programmatische Kulturaustausch nicht. Doch tilgt er für jede Seite, und besonders für die zur Selbstgefälligkeit neigende sächsische Barock-Lobby, einige blinde Flecken. Ob das sächsische Geld, das heute in die polnische Republik eindringt, ebenso kostbare und zeitlose Resultate hervorbringen wird, bleibt zu fragen.
Bis zum 8. März 1998 im Dresdner Schloß, Georgenbau. Katalog mit Essays von Jacek Staszewski, Werner Schmidt, Karl-Heinz Blaschke u.v.a., 450 Seiten, 49 DM
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