Die japanischen Rentner ächzen unter der Krise

Die verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierung Hashimoto fordert immer größere Opfer von der Bevölkerung  ■ Aus Tokio André Kunz

„Dieses Jahr habe ich seit langem wieder in zwei Shinto-Schreinen gebetet.“ Toshihiko Maeda bringt die „Omikuji“ oder Orakelzettelchen mit den Voraussagen für das neue Jahr und zeigt besorgt auf die Passage über die finanzielle Situation in der Familie. „Es wird knapp dieses Jahr. Ich muß wahrscheinlich eine Teilzeitarbeit suchen“, sagt der 63jährige.

Der ehemalige Buchhalter ist noch nicht einmal zwei Jahre im Ruhestand, und schon reichen die Einnahmen aus den Ersparnissen und Pensionsgeldern zusammen mit der Rente nicht mehr aus, um einen bescheidenen Lebensstandard für sich und seine 60jährige Frau zu sichern.

Am meisten ärgert sich Toshihiko über die Banken. Seine rund 200.000 Mark Ersparnisse und Pensionsgelder liegen in der Regionalbank zu einem historisch tiefen Zins von 0,4 Prozent. Zieht er noch die Kontoführungsgebühr und Steuer ab, dann bleiben Toshihiko jährlich gerade mal 200 Mark übrig. Mit solchen Minierträgen auf ihr Erspartes müssen sich in Japan mehr als zwanzig Millionen RentnerInnen abfinden.

Für die Schwächsten in dieser Gesellschaft besteht das japanische Bankenproblem nicht erst seit dem Ausbruch der derzeitigen Finanzkrise in Ostasien. Die Niedrigzinspolitik der Notenbank hält schon über zwei Jahre an, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Nun sollen die gebeutelten Steuerzahler auch noch die Finanzinstitute unterstützen, die nach Jahren verfehlter Kreditpolitik im In- und Ausland vor dem Kollaps stehen. 420 Milliarden Mark will die Regierung Hashimoto in den kommenden zwei Jahren in die Geldindustrie pumpen und damit das Überleben des japanischen Finanzsektors sichern, der allein im Inland mit faulen Krediten von umgerechnet 1.000 Milliarden Mark kämpft.

Noch ärger sieht die Situation aus, seitdem die asiatischen Nachbarn ins Trudeln gekommen sind. In diese Länder haben die japanischen Banken gemäß der Statistik der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel (BIZ) nicht weniger als 256 Milliarden Dollar ausgeliehen.

Was in Japan von der öffentlichen Hand nun für jahrelange Fehler in der Finanzindustrie aufgebracht werden muß, fehlt schon jetzt und vor allem in der Zukunft für Sozialausgaben. Die aber sind dringend notwendig, um für die rasante Überalterung der Bevölkerung vorzusorgen. Bereits in sechs Jahren wird Japan weltweit den größten Anteil von über 65jährigen aufweisen, und bereits in 25 Jahren wird jede dritte Japanerin über 65 Jahre alt sein.

„Die finanzielle Last für die Erwerbstätigen wird erdrückend hoch“, sagt Naohiro Ogawa, ein renommierter Experte für Altersfragen von der Nihon-Universität in Tokio. Unterhalten heute noch sechs Erwerbstätige einen Rentner, so müssen in 25 Jahren zwei Erwerbstätige dasselbe leisten. „Finden wir nicht radikal neue Rezepte, dann kollabiert der Staatshaushalt wegen der Explosion der Sozialausgaben.“

Was Sozialwissenschaftler in Japan anmahnen, verhallt ob der gegenwärtigen Panikstimmung an den Finanzmärkten. Die Stabilisierung der asiatischen Finanzmärkte – koste sie, was sie wolle – steht im Vordergrund, da sonst eine weltweite Finanzkrise droht. Aber statt grundlegende Reformen anzugehen, die das japanische Geldgewerbe für die eigene Bevölkerung profitabler gestalten würden, wirft die Regierung nur mit Steuergeldern für in Bedrängnis geratene Banken um sich. „Am Ende werden wieder schwache Banken gestützt, die mit Spezialinteressen der Liberaldemokratischen Partei verbunden sind“, sagt ein Bankanalyst eines europäischen Wertpapierhauses in Tokio. Er verweist auf die mächtige Norinchukin- Bank, die eng mit der regierenden LDP und dem Finanzministerium verbunden ist.

Mit Blick auf die Rentner scheint die japanische Regierung noch immer mit den Vorteilen der traditionellen Familienstruktur auf der Insel zu rechnen. Denn noch heute leben 53 Prozent der Rentner mit ihren Söhnen und Töchtern zusammen. Die Pflege der Alternden gehört weiterhin zu den traditionellen Pflichten der Hausfrau. Doch für die Zukunft könnte sich die Regierung mit dieser rückwärts gewandten Sicht verrechnen. „Gegenwärtig beobachten wir einen Wertewandel bei jüngeren Frauen, die berufstätig sind“, sagt die Soziologin Yuko Kawanishi von der Temple-Universität in Tokio. Denn die nächste Generation von Müttern will möglichst schnell wieder zurück an den Arbeitsplatz, sagt Kawanishi.