"Das war ein Geschäft"

■ Bommi Baumann (49), Ex-Mitglied der "Bewegung 2. Juni", wurde 1973 kurzfristig von der Stasi festgenommen. Er lieferte dem Mielke-Ministerium auch Informationen über führende RAF-Mitglieder

taz: Was haben Sie denn heute gemacht?

Bommi Baumann: Ich hab' lange geschlafen, wie jeder anständige Christenmensch auch.

Vor 25 Jahren haben Sie eifrig bei der Stasi über die Bewegung 2. Juni ausgepackt. Heute kommt es heraus, und das bewegt Sie nicht?

Das ist ein Vierteljahrhundert her. Außerdem war es schon bei meiner Verhaftung 1981 bekannt, daß ich damals bei der Stasi ausgesagt hatte.

So nonchalant gehen Sie mit Till Meyer, ihrem damaligen Weggefährten, nicht um. Weil er für die Stasi spitzelte, nennen Sie ihn „Verräter“.

Es ist eine Sache, ob ich in die DDR gehe und freiwillig für sie arbeite, oder ob ich im Knast sitze und mich mit meiner Aussage freikaufe. Mir drohte im Westknast schlichtweg „lebenslänglich“. Die DDR hätte mich ausgeliefert, wenn ich nichts gesagt hätte. Schließlich war ich in die DDR mit falschem Paß eingereist.

Der Paß war schlecht gefälscht. Hatten Sie es darauf angelegt, länger in der DDR zu bleiben?

Ich war auf der Durchreise, ich wollte nach Istanbul, aber da ging mir das Geld aus. Ich habe nie daran gedacht, mich in die DDR abzusetzen. Ich bin dort groß geworden. Außerdem war ich bei meiner Festnahme schon ein Jahr lang vom 2. Juni weg. Wem gegenüber hätte ich verpflichtet gewesen sein sollen?

Das erklärt schwerlich, warum Sie geplaudert haben.

Die wußten doch alles. Vor meiner Festnahme hatte doch bei der Westberliner Polizei schon Heinz Brockmann ausgesagt. Die Stasi wußte alles darüber.

So ließen Sie alle moralischen Bedenken fahren?

Die Stasi hatte meine Fingerabdrücke von der Westberliner Polizei, anhand derer hatten sie mich identifiziert. Die wußten ganz genau, wie der Stand der Dinge ist. Außerdem hatten sie noch andere Leute in der Szene. Die Stasi fragten bei meinen Aussagen immer dezidiert nach. Denen irgend etwas zu erzählen, war schlechterdings unmöglich.

Sie waren für die DDR kein Klassenfeind. Fiel es Ihnen deswegen leicht, eine Bericht von 97 Seiten zu schreiben?

Dazu bin ich angehalten worden. Das war das Geschäft. Wenn ich nicht darauf eingegangen wäre, hätten sie mich an den Westen ausgeliefert. Konkret mußte ich über die Strukturen, über die ich Bescheid wußte, aussagen. Ich habe gesagt, welche Bewaffnung der 2. Juni hatte und wer alles dabei ist. Das wollten sie schriftlich haben, um mich weiter erpressen zu können. Dieser Druck reichte. Außerdem war damals doch Kalter Krieg. Die mußten wissen, was in der Frontstadt Berlin passiert. Und im Kalten Krieg ist der Feind meines Feindes mein Freund. Da war mir doch das sozialistische Lager näher als das westliche.

Die Stasi wußte, daß der 2. Juni Geld und Waffen von der RAF bekommen hatte. Woher?

Die hatten ihre informellen Mitarbeiter in der Szene. Ich habe einen ganzen Packen Aussagen von Personen, in denen Dinge und Leute genannt werden, von denen ich nie gehört habe. Also, die Stasi hatte ihre Leute in unseren Strukturen sowieso drin. Daher war es sehr schlecht zu sagen: Ich weiß nichts.

Kennen Sie diese Informanten?

Nein. Aber ihre Aussagen sind absolut richtig.

In Ihren Porträts über Mitglieder der RAF schreiben Sie, Ulrike Meinhof vertrete einen „überspannten Antifaschismus“. Wie kamen Sie zu solchen Einschätzungen?

Es war überspannt zu sagen, die Bundesrepublik sei ein faschistischer Staat. Aber heute würde ich sowieso viele Sachen anders sehen und auch die Leute von der RAF anders beschreiben. Da liegen 25 Jahre dazwischen – und das Verhältnis zwischen 2. Juni und RAF. Wir hatten zwar Kontakte, die waren ziemlich gestört. In meinen Charakterisierungen wird das sehr deutlich. Heute würde ich Gudrun Ensslin positiver darstellen. Heute bin ich eigentlich stolz, daß ich diese Frau damals erlebt habe. In 25 Jahren ändert man seine Betrachtungsweise.

Ihre Stasi-Aussagen sind heute irrelevant?

Die Leute, mit denen ich zu tun hatte, die wußten, daß ich bei der Stasi ausgesagt hatte. Was die Öffentlichkeit über mich sagt, hat mich noch nie interessiert.

Bereuen Sie Ihre Offenherzigkeit?

Was hab' ich denn zu bereuen? Das war eine Zwangssituation, in der du dich nicht mehr wie ein Held verhalten kannst. Interview: Annette Rogalla