■ Nachschlag: Das Telefon als Lustobjekt – „Gut verbunden“ im Pfefferberg
Wer schon immer geahnt hat, daß Telefonieren auf offener Straße eine Obszönität darstellt, findet in „Gut verbunden“ die Bestätigung. Das Stück über lange Leitungen und kurze Befriedigung wurde von Jacalyn Carley und Bardo Henning nach Telefonnummern komponiert und nach Beate Uhse illustriert. Mit dieser vergnüglichen Premiere enden die Tanztage auf dem Pfefferberg, deren Programm bis dahin zwar viel choreographischen Erkundungsdrang, aber wenig Fesselndes bot.
Schon lange hatte Jacalyn Carley, die sich mit ihrer Gruppe Moving Wor(l)ds aus der Tanzfabrik gelöst hat, die Zusammenarbeit mit Hennings Big Band „Experimenti Berlin“ angepeilt. Die Tücken der Förderung aus dem Senatstopf für freie Gruppen stießen ihre Konzepte mehrmals um, bis die Realisierung jetzt möglich wurde. Die Wurzeln des Stücks liegen in den 30er und 40er Jahren, als Big Bands und Tanzböden die sexuelle Neugierde in vielfacher Gestalt an die Öffentlichkeit ließen. Seit damals haben die Künste der Verführung nicht unbedingt an Verfeinerung gewonnen. Mit den Abziehbildern aus dem Erotik-Kaufhaus versucht das Stück nun nicht, der Sexindustrie die Leviten zu lesen oder über die Verkrüppelung des Begehrens zu psychologisieren. Tatsächlich spielt der sonst im Tanztheater oft bemühte Anspruch, hinter die Maske zu dem authentischen Kern der leiblichen Erfahrung vorzudringen, keine Rolle. Das offensichtliche Festhalten an der Oberfläche aber hat Vorteile: Nur Comicfiguren können diese Dynamik ungestraft erleben.
In die Dreidimensionalität gesetzt, wird aus den Klischee-Situationen von Beichte und Doktorspielen ein grotesker und witziger Reigen ohne Peinlichkeit. Da entwickelt die „Verführerin“ (Lydia Klement) aus dem Lecken der Fingerspitzen geschmeidig wilde Arabesken, die den Raum selbst mit Punkten der Erregung überziehen. Das Mädchen im Schottenrock (Britta Schönbrunn) tanzt mit dem Trotz und der Kantigkeit derer, die sich noch an keinem Widerstand abgeschliffen hat. Ihre Bewegungsmuster verflechten sich zu einer Dichte, die keine Leere oder Langeweile aufkommen läßt.
Das ironische Spiel mit einem Material, das schon viele Zeiten und Gesellschaften durchquert hat, prägt auch die Musik. Die zehn Musiker baden uns in rauschenden Hochzeiten, ziehen durch scheppernde Trauermärsche, vorbei an verlassenen Jahrmärkten und nähren die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Fest.
Geblieben ist nur das Klingeln von Telefonen und obskuren Monologen, in die sich einzelne Instrumente verrennen. Die Stadt wäre wirklich um ein erbauliches Vergnügen gebracht, sollte es dieser Produktion nicht gelingen, weitere Spielorte in Berlin zu finden. Katrin Bettina Müller
20. und 21.1. um 20.30 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen