Frau Missionar in der Südsee

■ Sybille Knauss' Heldin agiert auf einem kolonialen Außenposten. Ergebnis: Kein Exotismus, sondern ein kluges, kritisches Buch

Es war einmal eine Zeit, da der deutsche Kaiser ein Reich haben wollte, in dem die Sonne nie unterging. Und so erstand er von den Spaniern, die gerade die Philippinen an die Amerikaner verloren hatten und sich daher aus dem Pazifik zurückziehen wollten, eine weit verstreute Gruppe winziger Inseln und Atolle in der Stillen Südsee – dort, wo jeden Tag die Sonne scheint, während das Mutterland schläft.

Als er 17 Millionen Reichsmark 1899 für die Karolinen hinblätterte, dachte Wilhelm II., ein Schnäppchen gemacht zu haben. In Wirklichkeit hatte er Gebiete ohne jedes Ausbeutungspotential erstanden – in wirtschaftlichen Kategorien gesprochen: Kolonialschrott. Die Spanier zogen erleichtert ab, und so mußte auf jeder bewohnten Erhebung in der Millionen Quadratkilometer großen Wasserfläche die deutsche Fahne gehißt und nach Möglichkeit auch deutsche Ordnung hergestellt werden, denn man konnte die eingeborenen Heiden ja nicht sich selbst überlassen. (Bis auf den heutigen Tag hat sich das nicht geändert: Nach den Deutschen kamen im 1. Weltkrieg die Japaner und im 2. die Amerikaner.)

Ponape heißt eine jener Mini- Inseln, auf die eine kleine Gemeinschaft deutscher Zivilisationsboten entsandt wurde. Neben zwei Verwaltungsbeamten, einem Agrarexperten, einem Arzt und einem Offizier (Soldaten heuerte man nach Bedarf in den nahegelegenen Kolonien der befreundeten Niederlande an) wurden dort auch zwei Missionare stationiert.

Wenn irgend möglich, wurden Missionare mit Frauen entsandt, deren wichtigste Aufgaben darin bestanden, die eingeborenen Mädchen zu unterrichten – im Nähen von „anständiger“ Bekleidung – und gleichzeitig die Missionare vor Versuchungen zu schützen.

Lina (von Karoline) heißt die Heldin in Sibylle Knauss' neuem Roman „Die Missionarin“. Sie wurde lutherische Ordensschwester, eine der wenigen „anständigen“ Möglichkeiten, der klaustrophobischen Enge ihres Heimatstädtchens Altena im Sauerland zu entfliehen. Halb freiwillig und überstürzt meldet sie sich als Reservistin für den Posten auf Ponape, nachdem die Ehefrau des dortigen Missionsleiters im Wochenbett verstorben ist und jetzt auch noch die Zwillinge des Herrn Pfarrer bei der eingeborenen Amme als „kleine Wilde“ aufzuwachsen drohen.

Lina hat viele der typischen Merkmale der Heldinnen von Sybille Knauss – eine der großen, unterschätzten Autorinnen im deutschen Sprachraum. Bereits in ihrem ersten, von der Kritik viel gelobten Roman „Ach Elise oder Lieben ist ein einsames Geschäft“ hat die Autorin die Eigenschaften beschrieben, die Frauen nie zeigen sollten: Opferbereitschaft, Unterwerfung unter Konventionen, die dazu da sind, Frauen kein freies Leben zu lassen.

Schwächen und taktische Fehler, die im Kampf der Geschlechter gemacht werden, seziert Sibylle Knauss haarscharf – jedoch nie penetrant, sondern stets knapp und traumhaft stilsicher. Und natürlich mit göttlicher Weissagekraft, denn die Autorin steht stets neben ihrer Heldin wie eine Schicksalsgöttin, die in kluger Voraussicht eingreifen möchte, aber der irgendwie – ganz im polytheistischen Geiste – die Allmacht fehlt, um ihre Heldin vor dem eigenen Übermut zu schützen.

Dieser Übermut ist hier nichts anderes als ein Ausleben der nobelsten Eigenschaften: Liebe, Aufrichtigkeit, Opferbereitschaft. Aber weil der scharfe Blick auf die familiären und gesellschaftlichen Umstände fehlt, führt ein uneigennütziges Leben mit den besten Vorsätzen unweigerlich ins Unglück.

In „Die Missionarin“ reichert Sibylle Knauss dieses ihr Thema an mit wunderbaren „ethnologischen“ Vergleichen zwischen Werbungs- und Paarungsriten, Arbeitsethos und Feiertagen der Eingeborenen in Ponape bzw. Altena.

Am Ende kommt alles, wie es kommen muß: ein blutiges Desaster. Die Deutschen wollen die Eingeborenen mittels Zwangsarbeit auf Vordermann bringen; diese wehren sich; die Truppe massakriert; die Missionare kommen in Gewissensnot; ein Teil der Eingeborenen wird zwangsumgesiedelt, wobei auch die deutschen Zwillinge getrennt werden; der Missionsauftrag ist gescheitert.

Die dramatischen historischen Ereignisse vermittelt Sibylle Knauss brav, eher als Pflichtübung. „Die Missonarin“ ist kein klassischer historischer Roman, in dem die Handlung die Spannung erzeugt. Bei Sibylle Knauss liegt das Überraschungsmoment in den moralischen Entscheidungen. Die zentrale Frage ist, wie die Heldin reagiert auf die Wendungen ihres Schicksals. Die kulturellen Vergleiche aber geben dem Roman das Kolorit. Andrea Goldberg

Sibylle Knauss: „Die Missionarin“. Hoffmann & Campe 1997, 365 S., 39,80 DM