Rückkehr mit einem Paukenschlag

■ Seit gestern sitzt Rußlands Präsident wieder im Kreml. Und nimmt gleich Maß. Vizepremiers verlieren erneut Kompetenzen

Moskau (taz) – Nach einer schweren Infektion und längerem Erholungsurlaub kehrte Rußlands Präsident Boris Jelzin gestern an seinen Schreibtisch im Kreml zurück. Die Imagemaker des Patriarchen waren während seiner mehrwöchigen Abwesenheit nicht untätig geblieben, um der Öffentlichkeit ein aktives Staatsoberhaupt zu präsentieren. Ob sie ihn auf Langlaufskier stellten oder mit einem Snowmobil herumkurven ließen – die Zweifel an des Präsidenten Rüstigkeit konnten sie dennoch nicht ganz ausräumen. Seit seiner Wiederwahl im Juli 1996 meldete sich der Kremlchef immerhin mehr als sechs Monate krank.

In welch vortrefflicher Verfassung sich Jelzin indes befindet, wollte er sogleich beim ersten Arbeitstreffen mit Premierminister Viktor Tschernomyrdin und den jungen Vizepremiers Anatoli Tschubais und Boris Nemzow demonstrieren. Erwartungsgemäß hielt er der Regierung eine Standpauke, den Auftrag, Lohnschulden des Staates bis zum Jahresende abzutragen, nicht gewissenhaft erledigt zu haben. Den Einwand des Premiers, die Regierung hätte alles ausgeführt wie aufgetragen, bürstete Jelzin rundweg ab. Nach dem Motto: „Keine Ausreden“.

Allerdings war dem Kremlchef auch gar nicht an einer gerechten Bewertung der Leistungen gelegen. Seit längerem leidet die konkrete Politik in Rußland an dem Bestreben des Präsidenten, sein Image aufzumöbeln und die verschiedenen Interessenkartelle in einem rivalisierenden Gleichgewicht zu halten. Jelzins Führungsstil des „teile und herrsche“ fördert das interne Gerangel, während die häufigen Umverteilungen der Kompetenzen innerhalb der Regierung unterdessen dazu geführt, daß von einer zielgerichteten Reformpolitik schon seit Monaten nicht mehr die Rede sein kann.

Erst am Wochenende hatte Jelzin den Vizepremiers Nemzow und Tschubais erneut Zuständigkeiten entrissen. Boris Nemzow, noch vor einem Jahr Jelzins inoffiziell designierter Nachfolger im Präsidentenamt, verlor die Oberaufsicht über den Öl- und Energiesektor. Ursprünglich bestand seine Aufgabe darin, den Energiebereich zu entflechten, transparent zu machen und dafür zu sorgen, daß Rußlands einträglichste Valutaquelle den finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Fiskus auch nachkommt. Nach anfänglichen Erfolgen gelang es der Kartellnomenklatura offenkundig, weitere Eingriffe in ihren Vermögensstand zu verhindern. Premier Tschernomyrdin wurde jetzt beauftragt, sich um den Energiesektor zu kümmern.

Als ehemaliger Chef des Energiekonzerns „Gasprom“ gilt er als dessen Lobbyist. Anatoli Tschubais versetzte der Präsident diesmal nur einen symbolischen Hieb. Nachdem der stellvertretende Regierungschef im November den Posten des Finanzministers verloren hatte, soll er nun auch auf die Koordination der staatlichen Massenmedien verzichten. Im Gegenzug erhält er den wohl undankbarsten und dreckigsten Job: Die Kontrolle des Steuerwesens, der Steuerpolizei und des Zolls.

Damit wären aber auch Gerüchte widerlegt, Jelzin wolle sich der jungen Reformer ganz entledigen. Gewinner der Neuverteilung ist trotz der gestrigen theatralischen Kritik Viktor Tschernomyrdin. Das Finanz-, Innen- und Außenministerium sowie der Geheimdienst, das Verteidigungsministerium und eine ganze Reihe anderer Institutionen sind nun dem Premier direkt unterstellt, der dadurch einen nicht unbeträchtlichen Teil der Zuständigkeiten des Präsidenten übernimmt. Beobachter mutmaßen, damit hätte Jelzin die Suche nach seinem Nachfolger im Jahr 2000 womöglich entschieden. Klaus-Helge Donath