Wir sind alle immer Kandidaten

Die SPD-Ministerpräsidenten kamen nach Bonn, um neue Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorzustellen. Dafür interessierte sich „kein Schwein“  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Im Saal der Bonner Bundespressekonferenz wurden selbst die Stehplätze knapp. Den Sitzenden versperrten Kameras den Blick auf die SPD-Ministerpräsidenten, die fast alle zusammen mit Fraktionschef Rudolf Scharping erschienen waren. „Oh, Schröder kommt als erster“, rief ein Journalist. „Nein, vorne haben sie gewechselt, jetzt ist Lafontaine vorn“, teilte ein anderer mit. „Jetzt hat sich Rau zwischen sie geschoben.“ – „Der ist doch gar nicht da.“ – „Doch, der kam von der anderen Seite.“

Eigentlich waren die Politiker angereist, um der Bundesregierung noch vor den Bundestagswahlen neue Vorschläge zur gemeinsamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu unterbreiten. Aber „dafür interessiert sich hier wirklich kein Schwein“, zischte ein Agenturreporter leise: „Kein Schwein!“ Man möge doch mit den Fragen bitte erst einmal beim Thema Arbeitslosigkeit bleiben, mahnte denn auch die Versammlungsleiterin ahnungsvoll, nachdem der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die Erklärung vorgestellt hatte. Schweigen. „Das Interesse scheint gering zu sein.“

Weit gefehlt. Ein Fernsehjournalist meldete sich: „Herr Lafontaine, Herr Schröder, einer von Ihnen wird ja als Kandidat bald arbeitslos. Wer wird denn das sein?“ Antwort des Parteichefs: „Wir sind alle mehr oder weniger immer Kandidaten.“ Auch der niedersächsische Ministerpräsient bewies Mutterwitz. Ob denn nun Einigkeit über das Datum erzielt worden sei, an dem der Name der Kandidaten bekannt gegeben werde? Gewiß, erwiderte Schröder. Man sei sich wieder einig gewesen, daß der Termin vor den Bundestagswahlen liegen müsse.

Frage an alle Ministerpräsidenten: Warum sie denn eigentlich hier seien – sie hätten doch offenbar keine Botschaft. Schallendes Gelächter, als nun ausgerechnet Fraktionschef Scharping das Wort ergreift. Beschwörend verweist er auf das wirklich ganz neue „Angebot an die Bundesregierung“.

Keine Chance. Es hört kaum jemand zu. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe ist danach ohnehin nur schwer zu verstehen, weil die Kameras so laut klicken. Da flüstert Lafontaine nämlich gerade Schröder etwas ins Ohr. Später erklärt der Parteichef noch, daß die SPD keine Regierung bilden werde, die auf die Stimmen der PDS angewiesen sei, und Schröder gesteht den 16. März als Termin für die Kandidaten- Entscheidung zu. Stoßseufzer der Versammlungsleiterin: „Ja, man sollte nicht glauben, wie vielfältig das Thema Arbeitslosigkeit ist.“