„Welches Interesse steckt dahinter?“

■ Das Gutachten des Unternehmensberaters McKinsey spaltet die Kulturszene. Die einen befürchten die Kommerzialisierung der Kultur, wenn die von McKinsey vorgeschlagenen neuen Verwaltungseinrichtungen „Kultur GmbH“, „Kulturbüro“und „Eigenbetrieb kulturelle Bildung“die Kulturförderung organisieren. Andere sehen darin die Chance, angesichts der Sparzwänge eine vielgestaltige Kulturlandschaft zu erhalten. Zu einem Streitgespräch über das Gutachten und seine möglichen Folgen trafen sich in der taz-Redaktion Narcss Göbbel (kommis-sarischer Leiter der Kulturbehörde), Brigitte Schulte-Hofkrüger (Projektgruppe Neue Musik, Kulturrat), und Carsten Werner (Junges Theater)

taz: In einem Interview haben Sie, Herr Göbbel, gesagt, das MkKinsey-Gutachten wolle die kulturelle Vielfalt in der Stadt erhalten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Weber sagt, McKinsey diene der Haushaltssanierung. Und in dem Interview führen Sie weiter aus, Sie wüßten nicht, ob nach der Umsetzung des Gutachtens alle Kultureinrichtungen noch existieren werden. Wie paßt das zusammen?

Narciss Göbbel: Die Vielfalt des Angebotes ist für mich nicht an die Vielfalt von Institutionen gebunden. Das ist für manche ein Problem, weil jede Einrichtung mit Vielfalt sich selbst meint und sagt, die Einrichtung ist Teil dieser Vielfalt. Aber man muß diskutieren, ob durch Bündelung oder Effektivierung vorhandener Einrichtungen Vielfalt erhalten bleiben kann.

Brigitte Schulte-Hofkrüger: Der Begriff kulturelle Vielfalt ist ambivalent. Man kann das als Qualität des Kulturlebens, man kann das natürlich auch als quantitative Beschreibung einer Situation verstehen. Im McKinsey-Gutachten ist das quantitativ gesehen ...

Göbbel: Und auch so gerechnet worden. Der Auftrag hieß: Neuordnung der Aufgabenwahrnehmung der Kulturförderung und -steuerung. In erster Linie war das ein Gutachten für uns als Verwaltung und für die Politik. Erst in zweiter Linie durch die veränderten Strukturen macht es die Institutionen und die Personen betroffen. Das muß man klar unterscheiden.

Schulte-Hofkrüger:Was in der Kulturszene seit Jahren immer eingefordert wurde, ist die Beantwortung der Frage: Wie sieht die kulturelle Infrastruktur in einer Stadt qualitativ aus? Dazu sagt das Gutachten nichts. Es ist daher schwierig, auf der Basis des Gutachtens eine Debatte um kulturpolitische Prinzipien zu führen.

Auf der Ebene der Umsetzung des Gutachtens sind solche Prinzipien aber entscheidend.

Schulte-Hofkrüger: Deshalb stößt man ja da auch auf ein Defizit der Diskussion, was ich als schweren Mangel ansehe. Es wird mit McKinsey eine Struktur installiert, die Dinge festlegt, die in einem offenen Prozeß erst noch zu definieren wären. Was heißt kulturelle Vielfalt? Wie übersetzt man das in strukurelle Vorgaben?

Und warum passiert das nicht?

Schulte-Hofkrüger: Wir haben in der Stadt ein eklatantes Defizit in diesem Bereich. Alle Bemühungen um ein kulturpolitisches Konzept, in dem Politik, Kulturverwaltung und die Kultureinrichtungen darüber Einigkeit erzielen könnten, wie ein Kulturleben langfristig aussehen sollte, sind gescheitert. Das ist momentan alles weitgehend prinzipienlos.

Also stimmt die Einschätzung von Herrn Göbbel, der im erwähnten Interview Bremens Kulturförderung ideologisch und geschmäcklerisch genannt hat?

Carsten Werner: Die Förderung erfolgt eher zufällig. Wer am lautesten schreit, bekommt am meisten. Das sind kaum transparente Abläufe, nach denen das erfolgt. Wenn es überhaupt Kriterien in dem Bereich gibt, dann sind das tatsächlich quantitative.

Schulte-Hofkrüger: Die jetzige Situation hat eine lange Vorgeschichte. Bis in die 70er Jahre hat es in Bremen eine klassische Kulturstruktur gegeben mit einer Reihe von großen dominanten Einrichtungen.In den 80ern hat sich eine starke alternative Kulturszene entwickelt. Darauf ist kulturpolitisch und infrastrukturell nicht adäquat reagiert worden. Das ist der Grund für die Verteilungsstrukturen in der Kulturpolitik, wie sie McKinsey im Gutachten richtig analysiert hat. 85% des Etats bekommen die zwölf großen Einrichtungen wie das Theater und die Museen, das Kleingeld geht an die freien Projekte und die Soziokultur. Mit diesem infrastrukturellen Defizit sind wir in eine Situation gekommen, wo die Große Koalition via McKinsey Hauhaltssanierung um jeden Preis betreibt, ohne unsere seit Jahren formulierten kulturpolitischen Anregungen aufzugreifen. Erst wurden wir nicht gehört, und jetzt lauscht man den falschen. Der Senat hat beschlossen, daß Mckinsey durchgezogen wird. Das ist der Beschluß eines kulturfernen politischen Entscheidungsträgers, unterstützt von Mckinsey als kulturfernem Untersuchungsträger. Das macht es doppelt schlimm und unsere Situation doppelt schwierig, nämlich angesichts dieser Adressaten eine kulturpolitische Debatte um qualitative Ideen einklagen zu wollen.

Göbbel: Das Gutachten will das positiv lösen, was Brigitte gerade als schlimm bezeichnet hat. Es erkennt das Problem und sagt, wir gehen von diesen Rahmenbedingungen aus und jetzt, liebe Stadt, könnt ihr überlegen, was ihr damit macht. Wenn ihr wirklich euer Angebot im Interesse der Bürger – und diese Entscheidung obliegt der Politik, nicht McKinsey – machen wollt, dann müßt ihr durch veränderte Steuerungsformen versuchen, Potentiale zu erschließen, die es euch ermöglichen, z.B. aus diesen 85% festgelegter Gelder in den nächsten Jahren eine Beweglichkeit herauszuschneiden, die die großen Institutionen erhält und gleichzeitig nichtgenutzte Potentiale freisetzt, um sie in den freien Bereich stecken zu können. Mit McKinsey kann ich viele Dinge steuern, Metzgereien und sonstwas, nicht nur Kulturpolitik. Denn die Aufgaben sind überall dieselben: Potentiale erschließen, Effektivität organisieren, Transparenz schaffen, Leistungsziele miteinander vereinbaren.

Werner: Das Modell fördert aber ein fatales Denken. Schon jetzt ist doch zu sehen, daß Kultureinrichtungen beginnen, ihre Inhalte an ökonomisch verstandenen Input- und Outputzahlen auszurichten. Input und Output funktionieren aber in der Kultur anders als in Metzgereien. Künstler- und Innovationsförderung ist nicht in Outputzahlen zu messen.

Göbbel: Sie ist nicht allein in Outputzahlen zu beschreiben. Aber man kann sich darüber streiten, wie man Output beschreibt. McKinsey läßt das offen. Das vorgeschlagene Planwertesystemmodell bietet bewußt verschiedene Dimensionen der Inhaltlichkeit an.

Werner: Hier finde ich die Fragen, die McKinsey stellt, absolut spannend und richtig. Aber das sind Fragen, die die Kulturszene schon lange diskutiert. Spannender ist doch, sich zu fragen, was passiert in den Köpfen der Betroffenen, wenn dieses Modell umgesetzt wird. Inwiefern formuliert dieser Vorgang ganz eigene Antworten auf die genannten wichtigen Fragen, ohne aus einer kulturpolitischen Debatte unter Kulturschaffenden selbst erwachsen zu sein?

Schulte-Hofkrüger: Der Senat verbindet mit dem Gutachten ein anderes Interesse als wir Kulturschaffenden. Er will Geld sparen, nicht eine akzeptable Kulturpolitik installieren. Die Frage drängt sich geradezu auf: Warum wird jetzt dieses kulturferne Interesse des Senats verbunden mit diesem ebenfalls kulturfernen Steuerungsmodell?

Göbbel: Weil wir die angestrebten Ziele sonst nicht erreichen.

Schulte-Hofkrüger: Ich stelle dagegen ein anderes Modell: Wie kann man die drei Beteiligten in diesem Problemfeld – Politik, Kulturbehörde, Kultureinrichtungen – durch eine Bewußtseinsschärfung davon überzeugen, daß Veränderungen stattfinden müssen, ohne so vorzugehen wie McKinsey?

Göbbel: Wie willst Du das erreichen? Mentale Veränderungen erreicht man nur durch Formveränderungen. Das Gutachten schlägt logische Formveränderungen vor. Dein Modell ist eines der gemeinsamen Zielfindung. Aber Ihr wißt doch genau, daß Kultureinrichtungen angesichts der finanziellen Situation in hoher Konkurrenz zueinander stehen. Und jede 100.000 Mark mehr, die Herr Pierwoß bekommt, verhindern rein rechnerisch, daß etwa die Projektgruppe Neue Musik in eigener Sache ein Stück weiter kommt.

Schulte-Hofkrüger: In meinem Vorschlag könnten sich Verwaltung und Kultureinrichtungen auf einer Fach-, Sach- und Inhaltsebene durchaus einigen. Der schwierige Partner bleibt die Politik mit ihren Unberechenbarkeiten.

Göbbel: Das Gutachten sagt an diesem Punkt doch, daß wir die behördliche Fachkompetenz und ihre Nähe zu den kulturellen und politischen Prozessen so modernisieren müßen, daß Strukturen und Formen herauskommen, die dieser Aufgabenstellung, die Du eben skizziert hast, auch gewachsen sind. Deshalb schlägt McKinsey vier verschiedene Säulen oder Formen vor, u.a. eine veränderte Kernverwaltung, die ganz anders arbeiten kann, weil sie von lästigen operativen Einbindungen befreit ist und so mehr Zeit hätte, mit Kultureinrichtungen konzeptionell zu arbeiten. Dazu gesellen sich Kultur GmbH, Kulturbüro und Eigenbetrieb kulturelle Bildung, die die Durchführung der operativen Vorgänge übernehmen und dennoch über die geplanten Steuerungseinrichtungen in den jeweiligen Säulen fachlich verstärkt werden.

Mich wundert der sich hier anbahnende Konsens, die Einrichtung eines Kulturbüros ermögliche den freien Einrichtungen bessere Existenzbedingungen als die bisherige Regelung.

Göbbel: Ja natürlich, unbedingt.

Schulte-Hofkrüger, Werner: Kein Konsens. Nirgends.

Werner: Wenn sich nur die Kulturverwaltung veränderte, hätte ich mit McKinsey kein Problem. Wenn aber dadurch innerhalb der Kultureinrichtungen eine Zweiklassengesellschaft installiert wird ...

Göbbel: Aber die besteht doch schon. Das Gutachten macht sie im Moment nur sichtbar!

Werner: Aber das bleibt nach McKinsey weiter bestehen durch die Trennung Kultur GmbH und Kulturbüro. Die Avantgarde, alles was Neues ausprobiert, bleibt mit unsicheren Planungsperspektiven konfrontiert.

Göbbel: Es wäre falsch, grenzte eine solche Form Innovationen aus. Es ist aber nicht unabdingbar mit ihr verbunden. Es ist eine Frage der Aufgabenzuschreibungen, die an die Einrichtungen wie etwa das Kulturbüro gerichtet werden.

Werner:Wenn z.B. die Shakespeare Company heute ein international anerkanntes Theater ist, dann kann ich das in einem Contract festhalten. Wenn sie das in zwei Jahren aber nicht mehr sind, dann haben die ihren Vertrag nicht erfüllt und fliegen aus der Förderung?

Göbbel: Dann wird zumindest über den Vertrag neu verhandelt. Würde man sehen, die Company macht nur noch ein Drittel ihrer Auslandsreisen oder bekommt ständig schlechte Kritiken – die Bewertungsmaßstäbe sind ja noch zu formulieren – dann bin ich im Gegensatz zur heutigen Situation gezwungen, zur Company zu gehen und mit ihr zu reden.

In den Diskussionen der letzten Woche ist mehrmals die Befürchtung artikuliert worden, daß die Säule Kulturbüro als Sparsäule für die politisch stärker protegierten Säulen Kultur GmbH und Eigenbetrieb gebraucht werden könnte.

Göbbel:Das ist der status quo. Das wollen wir dringend ändern.

Das ist Ihre Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Büros. Aber ist das unter Ihnen Konsens?

Göbbel: Wenn es das nicht leistet, brauchen wir es nicht!

Herr Göbbel hat gesagt, mit McKinsey ließen sich Maßstäbe setzen, die die Vergleichbarkeit von Kulturangeboten erleichterten. Wie ist das vorstellbar, wenn zugleich die Debatte darum, wie Qualität für die Kultur definiert werden kann, nicht stattfindet?

Göbbel: Das ist genau der Punkt, an dem wir jetzt stehen. Der Kulturinitative „Anstoß“wurde Geld bewilligt, damit vier kompetente Menschen in diesen Tagen ein Gutachten erstellen, die auf diese letzte Frage Antworten sucht. Und hier müßen wir nun sagen: Ja, in das Planwertesystem muß Innovation einen hohen Stellenwert einnehmen. Das Planwertesystem, bezogen auf klar formulierte Ziele, wäre somit ein Schutzmantel gegen unqualifizierte Begehrlichkeiten der Politik.

Werner: Wenn das funktioniert, wäre das toll. Die Frage ist doch, ob das so umsetzbar ist oder ob eine mal wieder finanz- und wirtschaftspolitisch abgespeckte Form nicht einen noch schlechteren Zustand für die freie Szene hervorruft.

Was befürchten Sie mit Blick auf McKinsey?

Schulte-Hofkrüger: Daß durch McKinsey die Mehrklassenstruktur in der Kulturlandschaft verfestigt wird und daß durch ein betriebswirtschaftliches Steuerungsmodell die Kultur von ihren originären Inhalten entfernt würde bzw. die Einrichtungen beginnen, gemäß der Logik des Marktes ihre Inhalte auszurichten. Was ich nicht möchte, ist, daß in dieser Stadt sukzessive die kulturellen Produktionsbedingungen verändert werden im Sinne einer ökonomischen Funktionalität.

Aber Herr Göbbel sagt, das MkKinseymodell würde es erstmals erlauben, die qualitiativen Kriterien der Kulturförderung an Grundsätzen zu orientieren, die gerade nicht bloß aus dem ökonomischen Bereich kommen.

Werner: Das sagt er, aber ich glaube das überhaupt nicht. Es ist doch faktisch schon so, womöglich aufgrund einer verengten Sicht des McKinsey-Modells, daß die Kulturszene beginnt, ihre Angebote marktförmiger zu gestalten.

Göbbel: Das ist ein Problem der Szene, nicht des Gutachtens.

Werner: Das Gutachten provoziert aber genau ein Denken in diese Richtung, provoziert die Schere im Kopf aus der Angst heraus, keinen Anschlußkontrakt mehr zu erhalten, wenn die alte Produktion ökonomisch erfolglos und politisch nicht angepaßt genug war.

Göbbel: Die McKinsey-Idee des Planwertesystems ist nur formal, nicht inhaltlich bestimmt worden. McKinsey sagt doch: Aufgabenerfüllung, Wirkung, Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind zu überprüfen. Das ist auf jeden kulturellen Bereich anwendbar.

Schulte-Hofkrüger: Daß der Senat McKinsey so dankbar aufgreift, ist doch deutliches Indiz dafür, daß er damit ein anderes, eben kulturfernes Ziel wie die Haushaltssanierung realisieren will. Es paßt genau in den Denkhorizont und das Denkvermögen dieses Ziels, das mit kulturellen Qualitätsansprüchen nichts zu tun hat.

Göbbel: Der Senat muß Probleme lösen, und deshalb nimmt er McKinsey auf. Das kann man auch positiv sehen.

Schulte-Hofkrüger: Was mein Mißtrauen aber bestärkt, ist die Art des Vorgehens. Der Senat zieht diese Geschichte durch. Die Struktur ist festgelegt, es geht jetzt doch nur noch um Peanuts.

Göbbel: Das glaube ich nicht.

Schulte-Hofkrüger: Die Grundstruktur mit der Einrichtung der drei Säulen ist längst politisch abgesegnet. Das Ganze ist doch eine Verarschungsgeschichte. Frau Kahrs verbreitet Besänftigungsprosa in Kombination mit einer Verschleierungstaktik. Es wird Dialogbereitschaft eingefordert, aber der Dialog darf sich nur auf periphere Fragestellungen beziehen. Was soll das also noch?

Moderation: zott