■ Türen öffnen: Ziehen oder drücken oder abwarten?
: Captain Kirks Prägung

Es gibt da im modernen Alltag ein paar Dinge, die sind und bleiben rätselhaft. Zum Beispiel Rolltreppen: Warum bekommt man augenblicklich Bleifüße, wenn man eine stehende Rolltreppe hochlaufen muß? Oder Türen. Es gibt ja viele verschiedene Arten von Türen, schöne und häßliche. Zum Beispiel solche aus den späten 60ern, wie man sie noch in alten Gebäuden findet: eine schöne große Glasscheibe in einem schwarz-messingfarbenen Metallrahmen, als Türgriff eine Stange mit schwarzem Plastikwulst, die von der Mitte aus schräg nach unten läuft. Solche Türen passen stilistisch sehr gut zu diesen Automaten mit den kleinen Fenstertürchen, aus denen man früher Blumensträuße oder Süßigkeiten ziehen konnte. Vielleicht wurden diese Automaten und Türen ja in derselben Fabrik hergestellt. Bei den Automatentürchen war jedenfalls klar: Sie gingen immer nach außen auf und hatten deshalb so einen kleinen Griff zum Dranziehen.

Bei den Türen mit beidseitiger Griffstange mit Plastikwulst beginnt aber das Problem. Wer durch solch eine Tür hindurch will, sieht erst mal nicht, in welche Richtung sie aufgeht. Interessant ist nun, daß fast jeder Türgeher ganz automatisch gegen den Griff drückt. Und diejenigen, die von draußen hereinwollen, stellen dann erstaunt fest, daß sich die Türe nicht durch Drücken öffnen läßt, sondern – man errät es leicht – durch Ziehen. Aus diesem Grunde werden gewöhnlich kleine Schildchen mit „Drücken“ oder „Ziehen“ auf die Türen geklebt. Doch das kann man sich im Grunde schenken, denn fast alle türöffnenden Menschen versuchen es immer zuerst mit Drücken. Ob mit oder ohne Schildchen. Selbst wenn da mit ein Meter hohen Leuchtbuchstaben „Ziehen“ steht, wird zu 98 Prozent gedrückt.

Warum ist das so? Liegt es etwa an der Glastür? Blendet sie uns sozusagen? Suggeriert sie uns freien Bürgern freie Fahrt, so daß wir erst im letzten Moment das Hindernis als solches wahrnehmen und die Zeit zum angemessenen Reagieren zu kurz ist? Aber es gibt ja auch Nicht-Glastüren, an denen genauso ausschließlich gedrückt wird.

Ist also unsere menschliche Natur dafür verantwortlich, sozusagen unser genetisches Erbe? Als die Krönung der Schöpfung pflegten wir jahrhundertelang zu glauben, uns gehöre die Welt, und folglich hätten sich alle uns im Wege stehenden Türen von selbst zu öffnen. So wie bei Captain Kirk auf der „Enterprise“, wo es angesichts einer oft bevorstehenden Planetenexplosion auf jede Sekunde ankommt und daher beim Herannahen des Captains alle Türen mit einem „Wwuusch“ ganz von alleine den Weg freigeben.

Oder kommt es bei Captain Kirk wie bei uns allen einfach von einer frühkindlichen Prägung? War es nicht die anale Phase, in der das Menschenkind sein Territorium erforscht und abgesteckt? Man stelle sich vor: Captain Kirk als Baby krabbelt durch alte Häuser aus dem 20. Jahrhundert. Kommt er an eine Tür, drückt er, und die Tür geht auf. Folglich zieht er den Schluß, daß Türen immer durch Drücken aufgehen. Die anderen hat er als Kleinkind nämlich schlicht nicht aufbekommen. So entstand in seinem mentalen Prägezentrum die folgenschwere Assoziationskette „Türe–Drücken– Auf“ bzw. „Drücken–Nicht auf– Nix Türe“. Auf der „Enterprise“ ist dies ja kein größeres Problem mehr, auf der Erde des 20. Jahrhunderts schon.

Die Psychoanalyse lehrt uns schon lange, daß solcherlei Prägungen nicht unumstößlich sind. Mit etwas gutem Willen lassen sie sich modifizieren. Es wäre daher für die ganze Menschheit von ökonomischem Vorteil, wenn wir uns merken würden, welche Türen in welche Richtung aufgehen. Oder wenigstens die Wahrnehmung des Schildchens „Ziehen“ mit der entsprechenden Bewegung koordinieren würden. Unsere mentalen Kapazitäten sollten für diese kleine Neuerung eigentlich ausreichen. Man stelle sich nur mal vor, wieviel Zeit (und damit Geld) die Menschheit durch unnötiges Drücken an „Ziehen“-Türen einsparen könnte. Gerade in Zeiten knapper Kassen könnte dies schnell zur Überlebensfrage für den Standort werden. Michael Schwager