Sonia Gandhi verblüfft Feinde und Freunde

Im indischen Wahlkampf weckt die Witwe bei ihren Auftritten für die Kongreß-Partei Erinnerungen an Indira Gandhi. Sie nutzt ihren Status als Ikone und erobert ihr Publikum mit der Rolle als Schwiegertochter  ■ Aus Dehli Bernard Imhasly

Als sich Sonia Gandhi Ende vergangenen Jahres in den Haifischteich der indischen Politik wagte, war dies die erste Überraschung gewesen, die man der öffentlichkeitsscheuen Witwe nicht zugetraut hätte. Die Anhänger der Kongreß-Partei jubelten, doch die politische Opposition sah keinen Anlaß zur Beunruhigung. Denn als gebürtige Italienerin schien sie eine leichte Zielscheibe zu sein. Nun haben aber die ersten Wahlkampfauftritte der Witwe Rajiv Gandhis für die Kongreß-Partei auch die Gegner gezwungen, von ihr Kenntnis zu nehmen.

Die erste Veranstaltung entsprach noch weitgehend den Erwartungen. Kaum zehntausend Leute waren nach Sriperumbudur im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu gekommen, wo ihr Mann vor sechs Jahren ermordet worden war – für indische Verhältnisse ein Grüppchen. Und es dauerte drei Stunden, bis genügend Publikum herangekarrt worden war und Sonia Gandhis Rede beginnen konnte. Doch bereits die Wahl des Ortes, der emotionale Appell an das dynastische Erbe und die sorgfältige Aufmachung in einem Sari aus lokaler Seide zeigten, daß Sonia wie ihre Schwiegermutter Indira ihren Status als Ikone zu nutzen weiß.

Bereits bei ihrem zweiten Auftritt in Bangalore vor einer Woche ging sie im Stil Indiras zum Angriff über. Statt zu warten, bis sich ihre Gegner mit den erwarteten Waffen – ihrer italienischen Herkunft und dem Schmiergeldverdacht im Bofors-Fall – auf sie einschossen, sprach sie die Themen gleich selbst an. 30 Jahre lang habe sie mit einer Familie gelebt, deren Mitglieder ihr Leben für das Land geopfert hätten – nun werde ihre staatsbürgerliche Bindung in Frage gestellt. Und ihr ermordeter Gatte sei wegen den Bofors-Zahlungen Objekt einer Verleumdungskampagne, gegen die er sich nicht mehr wehren könne. „Vor euch, dem indischen Volk, erkläre ich hier, daß ich die glücklichste Person sein werde, wenn die Bofors-Untersuchungspapiere einmal veröffentlicht sind.“

Zwei Tage später folgte der zweite Angriff. In Hyderabad, vor überwiegend muslimischen Zuhörern, sprach sie von der Schande der Zerstörung der Babar-Moschee in Ayodhya. Ihr verstorbener Mann habe ihr geschworen, er würde den Ort, wenn nötig, mit seinem eigenen Leib beschützen. Diesmal waren es bereits über 100.000 Menschen, die ihr gebannt zuhörten. Erstmals griff sie auch die hindu-nationalistische BJP direkt an, die sie mit der Zerstörung der Moschee in Verbindung brachte. Wie ihre Schwiegermutter brachte sie auch die große Armut des Volkes zu Wort. Dieses Thema ist inzwischen zu einer so großen Worthülse verkommen, daß kaum ein Politiker es noch anzusprechen wagt.

Die BJP, die sich nach zahlreichen Parteiübertritten bereits als Wahlsiegerin wähnte, mußte ihren Plan aufgeben, Sonia Gandhi zu ignorieren. Sie mußte plötzlich zur Kenntnis nehmen, daß hinter der introvertierten 51jährigen, die sechs Jahre lang jeden öffentlichen Auftritt gemieden hatte, eine Politikerin steckt, die ihre Auftritte sorgfältig vorbereitet und die sich des Symbolgehalts ihrer Person, ihres Auftretens und ihrer Worte wohl bewußt ist.

Beobachter haben allerdings immer wieder auf die Selbstsicherheit hingewiesen, mit der Gandhi seit dem Tod ihres Mannes den schmalen Grat zwischen privater Zurückgezogenheit und optimaler politischer Ausnützung dieser Zurückgezogenheit wanderte. Ihre Scheu mochte echt sein, aber Gandhi sorgte dafür, daß sie eine maximale Wirkung hatte, wenn es um den Schutz ihrer Familie und das Gedenken ihres Mannes ging.

Den Führern der Kongreß-Patei, für die Gandhis Auftritte im Wahlkampf – sie ist selbst nicht Kandidatin – ein Rettungsring waren, ist die Forschheit ihrer Erlöserin nicht mehr geheuer. Die bisher zurückhaltende Presse hat sich mit Lust auf den Bofors-Skandal geworfen und begonnen, die Widersprüche in Gandhis Argumentation bloßzustellen. So war es die Kongreß-Regierung, die Nachforschungen über Schmiergeldkonten in der Schweiz bremste, um geheime Kommissionszahlungen im Zusammenhang mit dem Verkauf schwedischer Haubitzen zu decken. Es gibt zudem Hinweise, daß ein Freund der Gandhis, der Italiener Ottavio Quattrocchi, Provisonen kassiert hat. Er konnte 1994 das Land verlassen, bevor ein Haftbefehlt gegen ihn ausgestellt wurde.

Auch die religionspolitische Weitsicht Rajiv Gandhis ist zweifelhaft: Er war es gewesen, der 1987 aus wahltaktischen Gründen den Hindus die Ayodhya-Moschee zum Gebet öffnete, was den Streit um deren Besitz eskalieren ließ. Kurz darauf ließ er die „Satanischen Verse“ des Exil-Inders Salman Rushdie verbieten und löste damit die Hetze auf den Autor aus.

Die erste Runde hat Sonia Gandhi für sich entschieden. Mit ihrer Warnung vor der BJP und dem riskanten Schuß aus der Bofors-Kanone beherrscht sie die Schlagzeilen. Mit Hinweisen auf die Nehru/Gandhi-Dynastie und auf ihre Rolle als „Indiens Schwiegertochter“ hat sie ihr Publikum erobert, wohl wissend, daß die Aufnahme der Schwiegertochter in die Familie in Indien ein emotionales Integrationselement ist. Die Kampagne für die am 16. Februar beginnenden Wahlen hat allerdings erst begonnen. Die Schlagzeilen lassen sich nicht unbedingt in Wählerstimmen verwandeln. Und viele Inder haben gelernt, zwischen Versprechen und Absicht zu unterscheiden.