Cine-City Kyoto

Takeshi Kitano war der Star des Kyoto Film Festival – läßt man mal den Filmpianisten aus Freiburg beiseite. Die Leipziger „Lichtschicht“-ArbeiterInnen waren mit 21 Studentenfilmen aus 16 Ländern dabei  ■ Von Grit Lemke

Das „Kyoto Film Festival Presents the Cine-City Kyoto to the World“. Wow! „The World“ – das waren nämlich im spezifischen Fall je eine Handvoll Filmkritiker, eine französische Regisseurin, ein Pianist aus Freiburg und zwei Leipziger „Lichtschicht“-ArbeiterInnen. „Lichtschicht“, das ist das Leipziger Festival des Jungen Films. In seinem nunmehr dritten Jahr kann es bescheidene Resonanz in Leipzig und vor allem internationales Interesse an der Vermittlung von Studentenfilmen verzeichnen. In Kyoto zeigten die Leipziger 21 Filme aus 16 Ländern. Dadurch und durch den unermüdlichen Austausch von Visitenkarten im Kino, auf Empfängen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und verruchten Lokalen gelang es den Entsandten, „Lichtschicht“ in Kyoto einen wohl größeren Bekanntheitsgrad als daheim zu verschaffen. Daß in „the world“ nur wenige (abgesehen von besagten Kritikern) die „Cine-City Kyoto“ als solche kennen, sollte das 1. Kyoto Film Festival nun endgültig ändern. Womit eine Strategie, mittels derer man dies erreichen wollte, schon unauffällig eingeführt ist: die mehrmalige Verwendung des Wortes Kyoto – im Festivaltrailer cirka 35mal. Das prägt sich ein. Zumal wenn es das einzige der nicht Japanisch sprechenden Welt verständliche Wort in zehn Tagen Festival bleibt.

Also Filmfestival auf japanisch zur Rettung des verblichenen Ruhms (und der Wirtschaft) einer einstigen Kaiserresidenz und Kinokapitale. Als die Bilder in Japan laufen lernten – wie es so schön heißt, obwohl besser wäre „Als die Bilder in Japan das Samuraischwert schwingen lernten“ –, taten sie das tatsächlich in der malerischen Stadt am Kamo River. Um daran zu erinnern, richteten die Stadtväter (und daß es sich dabei in Japan mitnichten um Mütter handelt, ist gewiß) flugs ein Festival ein. Sie machten dafür umgerechnet 3 Millionen Mark (!) locker und bestellten ein Komitee, welches in seiner Größe in Deutschland vielleicht Olympische Spiele, nie jedoch ein Filmfestival organisieren würde. Wie es überhaupt am Personal nicht mangelte. Kleine, zwischen zwei Verbeugungen stets freundlich dreinblickende blaue Männchen – gut uniformiert und geordnet, wie es die Japaner lieben.

An Filmen mangelte es ebenfalls nicht, 137 an der Zahl im offiziellen Programm – hauptsächlich japanische Produktionen von den Anfängen über die Hochzeiten der 30er und 50er Jahre bis hin zum heutigen Schauspielstar Takeshi Kitano. Woran es mangelte, war Publikum. Was nicht verwundert, war doch in der 1,5-Millionen-Metropole selten ein Festivalplakat zu erspähen. Veranstaltungsorte verbargen sich gut getarnt. Beispielsweise in einem Konsumtempel, wo die potentielle Rezipientin (und spätere Rezensentin) mangels minimalster Hinweise auf das stattfindende Festival von der Übermacht einer Armee japanischer Hausfrauen mit Einkaufsbeuteln überwältigt wurde, um schließlich in kaufrauschartige Zustände zu geraten (der Yen steht gut!).

Doch nicht immer waren die Konstellationen so ungünstig, und festzustellen war: Die Japaner lieben japanische Filme. Im normalen Kinobetrieb bekommen sie dieselben nicht allzu oft zu sehen, Hollywood ist auch hier überall. So erfreute sich das Publikum durchaus an den einheimischen Produktionen neueren Datums. Spätestens hier muß vom Kulturschock die Rede sein. Man mag es ihm anlasten, daß besagte Rezensentin mit der Mischung aus „Godzilla“, „Jurassic Park“, „Krieg der Sterne“, „Der weiße Hai“, „Gremlins“, „Atlantis“, „Unendliche Geschichte“ und „Heidi“ – so beim Eröffnungsfilm „Mothra2“ – einige Probleme hatte. „Mothra“ ist eine quietschbunte High-Tech-Killer-Motte mit Eurofighter-Qualitäten, die immerzu gegen irgendwelche Seeungeheuer oder so was ähnliches kämpfen muß, was leider aus keiner Art logischer Handlungsfolge erklärbar ist. Zwischendurch singen immer zwei Prinzessinnen und wedeln mit den Armen, aber das sind die Guten. Die VertreterInnen der „world“ amüsierten sich königlich, während 2.000 Japaner gebannt und bar sichtbarer Gefühlsregung auf die Leinwand starrten.

Solche Cineasten-Alpträume blieben jedoch Ausnahmen, besonders in der Sektion mit den 160 Studentenfilmen. Wahrscheinlich stimmt das Vorurteil eben doch, und jeder Japaner wird mit einer Kamera in der Hand geboren. Wie die 18- bis 22jährigen Effekte setzen, Einstellungen variieren, schneiden und dabei noch munter mit den Möglichkeiten so einer Kamera experimentieren, sollte deutsche Filmstudierende vor Neid erblassen lassen. Erblassen sollten allerdings die begnadeten Japaner ob einer Sache, die es im deutschen Film zugegebenermaßen auch nicht so oft gibt und die in Kyoto schließlich eine Mike- Leigh-Retrospektive vorführte: etwas zu sagen haben. Aber wie sollten auch junge, satte und offenkundig rundum zufriedene Menschen irgend etwas mitzuteilen haben? Außer vielleicht den mitunter wirklich gut in Szene gesetzten Liebeskummer pubertär schwer geprüfter japanischer Kens und Barbies. Die Börse kracht? Obdachlose unter den Brücken des sanften Kamo River? Kein Thema.

Dabei setzt man nicht unbedingt nur auf Hochglanzästhetik: Japans Filmstudenten arbeiten nämlich noch gern und viel mit Super8. Aber auch ein unbekümmerter Umgang mit dem Material füllte die viele Leere nicht.

Oft füllte sie sich mit Blut – was vielleicht weniger mit den Filmstudenten als mit der Festivalauswahl zu tun hat. Blut in allen Rottönen, Fließgeschwindigkeiten und Konsistenzen sowie Körperflüssigkeiten, von deren Existenz die Rezensentin keine Ahnung hatte, spritzen auf der Leinwand herum. Mag es um die japanische Wirtschaft schlecht bestellt sein – die Kunstblutindustrie hat Konjunktur, wenn man diesen Filmen glauben darf. Ohne erkennbaren thematischen Zusammenhang werden Menschen erschossen (im günstigsten Fall), erstochen (schon blutiger) oder anderweitig zu Splatter- Rohmaterial verarbeitet. Immer gut fotografiert, versteht sich. Ungerührt blickten die schönen jungen Menschen in ihren Markenklamotten auf all das Gemetzel. Nur bei einem 120-Minuten-Werk von der Kunsthochschule Osaka – dem einzigen Beitrag mit klarem politischem Hintergrund – mußten wohl auch sie mal kurz wegsehen. Sagten sie jedenfalls später, denn zu diesem Zeitpunkt hatten die europäischen Beobachter den Raum schon verlassen. Aber, so fügten sie hinzu, die Filme aus Osaka seien für ihre Blutrünstigkeit bekannt. Also: Traue keinem aus Osaka – und wenn er sich noch so höflich verbeugt!

Dieser Hang zum Splatter hat durchaus Tradition, wie das Festival durch einen umfangreichen historischen Teil zu vermitteln wußte. „Cine-City Kyoto and the world“ zeigte neben japanischen „Period films of the first Golden age“ (vor dem Zweiten Weltkrieg) unter anderem auch Beiträge der ersten weiblichen Filmemacherin, der Französin Alice Guy, und deutsche Filme von Oskar Messter. Während in Europa Torten flogen oder Kinder aus Kohlköpfen gezogen wurden, lag über dem frühen japanischen Film schon die düstere Aura des um seine Ehre kämpfenden Samurai. Ein Motiv, das sich bis in Takeshi Kitanos neuestes Werk „Hana-Bi“ fortsetzt. Der Star erschien denn auch selbst und brachte Bewegung in den ansonsten asiatisch-stoisch wirkenden Festivalablauf. Immerhin wurde Kitano kürzlich in Venedig mit einem Goldenen Löwen geehrt. Man ist stolz auf ihn, für die Vorführung seiner Filme wurden gar Wartenummern ausgeteilt.

Von so viel Aufmerksamkeit kann Naomi Kawase nur träumen – obwohl sie als erste Frau im japanischen Filmgeschäft Fuß faßte und wie Kitano hoch geehrt wurde (in Cannes). Kein Thema. Frauen durften bei diesem Festival allenfalls als Geisha durchs Bild trippeln. Die „Frauenfilm“-Sektion im Festival war als einzige im Katalog mit keinerlei Text versehen und entbehrte zudem der filmschaffenden Frauen.

Nicht ganz: Eine Diskussionsveranstaltung widmete sich den Friseurinnen, die im Studio jene skurril anmutenden Samurai- Zopf-auf-Glatze-Frisuren und Geisha-Haarberge kleben und toupieren. Man wolle zeigen, daß auch sie hart und künstlerisch arbeiten, erklärten die Veranstalterinnen vom Frauenzentrum Kyoto. Also Aufwertung der unteren Hierarchieplätze statt des Infragestellens der Hierarchie selbst – eine gewöhnungsbedürftige zwar, aber immerhin eine Strategie. Am Ende waren alle irgendwie zufrieden. Die Stadtväter resümierten in langen Reden zwischen unzähligen Verbeugungen ein gelungenes Festival. „Cine-City Kyoto“ wird nun der Ort neuer Filmproduktionen sein – gefördert durch die Preisgelder des ersten Festivals. Die VertreterInnen von „the world“ erfreuten sich wachsender Stapel unverständlicher Visitenkarten.

Schüchterne Teenies fanden Freude an Autogrammen von Günther A. Buchwald aus Freiburg, der eigentlich gekommen war, um die Messter-Filme am Piano zu begleiten und zum Star der Veranstaltung wurde. Freuen kann sich auch das deutsche Publikum: Demnächst wird es in Leipzig japanisches Filmblut satt geben – zur „Lichtschicht“ auf japanisch im Juni in Leipzig. Ist ja auch ein bißchen „the world“.