"Das war nicht ich"

■ Serena Williams (16) verliert bei den Australian Open in Melbourne gegen ihre ein Jahr ältere Schwester Venus und verwirrt das Publikum

Berlin (taz) – „Was ihr heute gesehen habt, ist auf jeden Fall etwas, das in der Zukunft eine große Rolle spielen wird“, sagte die 16jährige Serena Williams selbstbewußt nach der Niederlage bei den Australian Open gegen ihre Schwester Venus. „Ob es Spaß gemacht hat?“ fragte sich die ein Jahr ältere Siegerin anschließend selbst und antwortete: „Es hätte großen Spaß gemacht, wenn es ein Finale gewesen wäre. So war es einfach ein Match.“ Wenn auch ein merkwürdiges.

Die mit Spannung erwartete Zweitrundenpartie der beiden „Ghetto-Aschenbrödel“, wie sie Vater Richard Williams einmal nannte, geriet vor 10.000 Zuschauern zu hektischem Powertennis mit vielen Fehlern auf beiden Seiten. Zunächst ging Serena mit 3:1 in Führung, dann hatte sie aber kaum noch eine Chance, und das Match nahm den üblichen Verlauf. Bei allen sechs bisherigen innerfamiliären Duellen im Frauentennis, an denen meist die Malejewa-Schwestern beteiligt waren, hatte die Ältere gewonnen. Mit 7:6 (7:4), 6:1 ließ Venus Williams auch diesmal keinen Bruch dieser Tradition zu. „Das war absolut nicht ich“, ärgerte sich die unterlegene Serena. Zwar behauptete sie, daß sie vor ihrem gewonnenen Erstrundenmatch gegen die Rumänin Irina Spirlea viel nervöser gewesen sei, spielte aber gegen Venus erheblich schwächer, beging acht Doppelfehler und 42 „unforced errors“.

Leicht verwirrt war auch das Publikum, das sich nicht entscheiden konnte, welche der beiden Spielerinnen es anfeuern sollte. Meist herrschte betretenes Schweigen, ein Zuschauer behalf sich mit dem unverbindlichen Slogan: „Go, Williams!“, und nur beim Matchball gab es zaghafte „Serena!“-Rufe. „Sie wollten wohl sichergehen, daß sich niemand von uns gekränkt fühlte“, mutmaßte Serena. Venus sah eher eine Art Zwillingseffekt: „Wir sind beinahe dieselbe Person, und wie kann man gegen jemand schreien, der genauso ist wie die Person auf der anderen Seite?“

Die Karriere der Williams-Geschwister aus East Compton in Los Angeles kam im Jahre 1991 in Schwung, als sie der renommierte Trainer Rick Macci in seiner Tennisschule in Delray Beach, Florida, unter seine Fittiche nahm. „Als ich sie zuerst gesehen habe“, sagt Ricci, „trugen sie beide die Aufschrift Champion.“ Begonnen hatte das Projekt Spitzentennis allerdings viel früher, als Richard Williams zu Ohren kam, daß eine Tennisspielerin für einen Turniersieg 40.000 Dollar bekommen hatte. Daraufhin habe er, so will es seine eigene Legende, zu seiner Frau gesagt: „Laß uns zwei Töchter haben, die später Tennisstars werden können.“ Dennoch überstürzte er die Sache nicht. Zwar unterschrieb er für Venus, als diese 14 war, einen Millionenvertrag mit Reebok, aber weitere Werbeangebote lehnte er ab, ließ seine Töchter nur sehr wenige größere Turniere spielen und mahnte zu einem langsamen Aufbau. Das tat er auch noch im letzten Jahr, als er dagegen opponierte, daß Venus bei den US Open antrat. Richard Williams mußte jedoch einsehen, daß seine väterliche Macht am schwinden war. Die unbotmäßige Tochter setzte sich durch und erreichte das Finale, während er beleidigt zu Hause blieb.

In New York verlor Venus Williams schließlich gegen Martina Hingis, die sich für 1998 auf manch harte Auseinandersetzung mit der aufschlagstarken US-Amerikanerin einstellen darf, die vor den Australian Open auf Platz 16 der Weltrangliste stand. Serena ist binnen kurzer Zeit von 304 auf Rang 53 vorgerückt, und so dürfte es aufgrund der Setzlisten bald vorbei sein mit den Zweitrunden-Begegnungen der Geschwister. Das angestrebte Finalduell ist nur eine Frage der Zeit und der erste Sieg einer jüngeren Schwester möglicherweise auch. „Ich werde heimlich trainieren müssen, wenn ich das nächste Mal gewinnen will“, sagte Venus Williams in Melbourne, „Serena haßt es zu verlieren, und sie steht im Ruf, daß sie gegen niemanden zweimal verliert.“ Matti