„Wir werden schon durchkommen“

Im Indonesien der Wirtschaftskrise: Ein Ingenieur trotzt der Untergangsstimmung und hofft auf politische Veränderungen; ein Duschenverkäufer hat resigniert. Der Zorn vieler entlädt sich an der chinesischen Minderheit  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Achdiat Kurnadi sprüht vor zorniger Energie: „Diese Krise ist unsere Chance!“ ruft der schmale Mann. „Jahrelang haben unsere Bürokraten und die großen Unternehmen immer nur ins Ausland geblickt. Sie kauften teure ausländische Anlagen und Experten ein, obwohl wir vieles ebensogut selbst gekonnt hätten!“

Kurnadi ist einer der Direktoren des indonesischen Ingenieurbüros „Dharma Profesi“. Seine sechzig Mitarbeiter zeichnen Konstruktionspläne für Pumpen und Rohre in Kraft- und Stahlwerken, überwachen die Montage von Maschinen und bilden Techniker aus. Das schlichte Hauptbüro der Firma liegt in einem kleinen Haus in der H.-Samali-Straße im Süden von Jakarta. Den Eingang ziert das angestaubte Modell einer Flüssiggasanlage. Dicht an dicht sitzen die Angestellten vor ihren Computerbildschirmen.

Kurnadis Eifer ist ungewöhnlich. Denn im Indonesien der Wirtschaftskrise herrschen in diesen Tagen besorgte Töne vor: Die Rupie fällt auf täglich neue Rekordtiefs, die Preise steigen. Private Investoren legen ihre Pläne auf Eis, und die Regierung hat die meisten großen Bauprojekte gestoppt. Präsident Suharto verkündete ein strenges Sparprogramm, nachdem ihm der Internationale Währungsfonds (IWF) die Pistole auf die Brust gesetzt hat.

Doch auch bevor die Krise begann, hat Kurnadi nie den großen Wurf geschafft. Großaufträge gingen an Konkurrenzfirmen, die bessere Beziehungen zur Regierung oder Präsidentenfamilie hatten. Zum Glück hat einer der Direktoren einen Verwandten bei der staatlichen Erdölgesellschaft Pertamina; sonst wäre das Unternehmen dort nicht einmal an kleine Aufträge gekommen.

Jetzt aber, so hofft Kurnadi, wird der Internationale Währungsfonds (IWF) „die Regierung zwingen, mit der Korruption und der Vetternwirtschaft aufzuräumen“. Bis es soweit ist, müßten die Unternehmer jedoch den Gürtel enger schnallen, weil viele Kunden nicht mehr zahlen können. „Ein Glück, daß wir nicht in eines der neuen Hochhäuser gezogen sind, wo die Mieten in Dollars gezahlt werden“, seufzt sein Kollege und schaut sich versonnen in dem Büro mit den angegrauten Wänden und den abgeschabten Möbeln um, für das er sich anfangs noch entschuldigt hatte. „Kämpfen mußten wir immer“, sagt er, „deshalb werden wir schon durchkommen.“

So optimistisch ist Agus Sukoto, der Chef des Sanitärfachgeschäfts „Minerva“, nicht. Bleich sitzt er in seinem Büro hinter dem Ausstellungsraum. Sukoto kommt gerade von der Bank. Die Schulden wachsen ihm über den Kopf.

Vor elf Jahren war Sukoto nach seinem Examen als Flugzeugbau- Ingenieur aus Deutschland zurückgekehrt. Damals schlug er das Angebot aus, für wenig Geld beim Flugzeugprojekt des indonesischen Forschungsministers B.J. Habibie zu arbeiten. Denn die Wirtschaft boomte. In der Zehn- Millionen-Metropole Jakarta vertrieben Bulldozer Siedler und Slumbewohner, um Platz für neue Bürohochhäuser, Wohnsiedlungen und Villen zu schaffen. „Da habe ich kurz überlegt: Immer mehr Leute werden in größere Häuser oder Wohnungen ziehen. Ich liefere ihnen die sanitären Anlagen.“

Und die importierten Waschbecken verkauften sich blendend. Gleich im ersten Jahr verdoppelte sich der Umsatz. Sukoto und seine Frau, die in einer amerikanischen Firma arbeitet, schickten ihre Kinder in eine teure Schule, kauften ein Haus und einen BMW. Er lernte Golfspielen. Vorn im Laden zeigen Werbefotos den Traum vom feinen Leben der indonesischen Yuppies: Eine schöne junge Familie entspannt sich auf ihrer holzgetäfelten Terrasse unter blühenden Büschen.

„Ich habe geglaubt, es geht immer so weiter“, sagt der 39jährige kopfschüttelnd. Aber niemand kauft in diesen Tagen seine schicken roten und weißen Duschen, Waschbecken oder Wasserhähne. Neue Häuser oder Wohnanlagen werden nicht gebaut. Vor drei Jahren erst eröffnete Sukoto seine eigene Fabrik. Bald wird er die ersten Arbeiter wieder entlassen. Wenn nicht ein Wunder geschieht oder ein unerwarteter Kredit kommt, muß er ganz aufgeben. Aber „ich hoffe immer auf das Beste“, sagt der Unternehmer.

In seinem Bekanntenkreis denken schon einige daran, das Land zu verlassen, weil sie fürchten, in Indonesien nie mehr aus den Schulden herauszukommen. Australien wäre zum Beispiel eine Alternative. „Wenn man ein paar hunderttausend Dollar im Ausland hat, kann man leicht neu anfangen.“ Für Sukoto kommt das jedoch nicht in Frage: „Ich muß als Indonesier hier durchkommen.“

Für den chinesischstämmigen Sukoto ist die Krise noch aus einem anderen Grund beunruhigend: Die tiefe Wut und Verzweiflung vieler Indonesier über die soziale Ungerechtigkeit entlud sich in den vergangenen Jahren immer wieder in gewaltsamen Übergriffen auf die Minderheiten, vor allem auf die Chinesen. Denn für viele Indonesier sind „die reichen Chinesen“ Symbol der Korruption und Privilegien des Regimes von Präsident Suharto, der nicht nur seine eigene Verwandtschaft zu Dollarmilliardären machte, sondern auch chinesischstämmigen Freunden zu unerhörtem Reichtum verhalf.

Mit lukrativen Monopolen, zum Beispiel dem für Weizenmehl, konnte Liem Sieo Long seine Salim-Gruppe zum größten indonesischen Konzern aufbauen. Bob Hasan, Suhartos Golfpartner, besitzt riesige Abholzkonzessionen und ist wichtigster Holzexporteur des Landes.

Solche und ähnliche Unternehmen dominieren viele Bereiche der Wirtschaft, obwohl die Chinesen im Vielvölkerstaat Indonesien nur eine kleine Minderheit von rund drei Prozent stellen. Das macht sie zum idealen Sündenbock: Bei den Unruhen in drei Städten Ostjavas wandte sich die Wut über Preiserhöhungen schnell gegen die chinesischen Kaufleute, deren Geschäfte und Häuser mit Steinen angegriffen wurden. Und erst vor wenigen Tagen goß ein Militärsprecher Öl ins Feuer: Die Chinesen sollen jetzt zurückzahlen, wetterte er, was sie in den vergangenen Jahren angehäuft hätten. Erschreckt beschlossen Oppositionelle wie der indonesische Schriftsteller und Journalist Goenawan, eine Kampagne gegen Rassismus zu starten.

Mehr als sechseinhalb Millionen Arbeitslose erwartet die Regierung in den nächsten Monaten – doppelt so viele wie bisher. Hunderttausende Bauarbeiter verloren bereits ihren Job. Die meisten von ihnen werden versuchen, sich irgendwie auf der Straße durchzuschlagen – und dabei immer verzweifelter werden. Schon jetzt drängen sich an manchen Kreuzungen Jakartas die Zigaretten- und Zeitungsverkäufer. Immer größere Gruppen von Jugendlichen werfen sich in den Verkehrsstrom, um abbiegende Autofahrer für ein paar Pfennige in eine Parklücke zu winken.

Ein kritischer Zeitpunkt ist das Ende des Fastenmonats Ramadan: Dann, Ende Januar, leeren sich traditionell die Städte. Millionen fahren, neu eingekleidet und bepackt mit Geschenken, zu ihren Familien aufs Land, um das große Idul-Fitri-Fest zu feiern. „Wenn sich die Leute jetzt noch nicht mal die Busfahrt nach Hause leisten können“, fürchtet Geschäftsmann Sukoto, „dann kann die Wut leicht explodieren.“ Er denkt voller Unbehagen an die Panikkäufe vor zwei Wochen zurück, als die Lebensmittelgeschäfte innerhalb weniger Stunden aus Angst vor Preiserhöhungen leergekauft wurden: „Die Armen, die kein Geld hatten, standen vor den Läden und schauten zu, wie die Reichen die Reissäcke davontrugen. Das war schrecklich.“

Das Wichtigste sei jetzt, „die Massen von der Straße zu bekommen“, glaubt Sukoto. In seinem Golfklub haben sich die Mitglieder bereits überlegt, wie sie dazu beitragen können: Sie wollen ein Benefizturnier veranstalten. „Das Geld geben wir dann den Armen, damit sie in ihre Dörfer zurückfahren. Und dann sollen sie da bleiben. Hauptsache, sie sind nicht in Jakarta.“

Allerdings ist die Situation auf dem Land nicht besser: Wegen der langen Dürre in diesem Jahr ist in vielen Gegenden Javas eine Ernte ausgefallen. Auch sonst gibt es in den Dörfern der dichtbevölkerten Insel für die Rückkehrer kaum Platz: „Um 1.000 Rupien auf dem Lande zu verdienen“, sagt der ehemalige Gouverneur von Jakarta, Ali Sadikin, „muß man sich sehr abplagen.“ Deshalb ziehen jährlich rund zweihunderttausend Leute in die Hauptstadt. Dort liegt der tägliche Mindestlohn bei 7.500 Rupien, das ist derzeit etwa ein Dollar.

Viele Arbeitsuchende landen in kleinen Hinterhofbetrieben – so auch der 26jährige Siswanto, der vor elf Jahren nach Jakarta kam. Seitdem näht er für 800 Rupien pro Stück Baumwollhosen, das sind 45 Pfennig. Am Tag schafft er zehn Hosen, manchmal mehr. Nachts schläft er im Raum über der Werkstatt, gemeinsam mit fünfzehn anderen Nähern.

„Die Massen von der Straße zu holen“ – davon sprechen in diesen Tagen viele Menschen in Jakarta. Täglich kündigen die Zeitungen neue, riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an. 320.000 Menschen sollen beispielsweise die stinkenden Kanäle und Flußarme von Schlamm und Müll säubern, die Ufer bepflanzen und andere nützliche Dinge tun – für 7.500 Rupien, also knapp einen Dollar am Tag. Das ist angesichts der steigenden Preise nicht viel: Eine Portion Reis kostet heute bereits 400 Rupiah, vor ein paar Wochen waren es noch 300.

Die Organisatoren der Jobprogramme haben unterschiedliche Motive. Politiker der Regierungspartei Golkar wollen dringend verhindern, daß es vor der Präsidentenwahl am 11. März zu Unruhen kommt. UnternehmerInnen wie Rosita Noer, die rund ein Dutzend Firmen besitzt, erinnern sich an die brennenden Banken und Einkaufszentren vom Sommer 1996, als sich politische Proteste in Straßenkämpfe wandelten. Noer versucht deshalb, finanziert von der Weltbank, neunzigtausend Menschen für drei Monate zu beschäftigen.

Emmy Hafild, die Vorsitzende der kritischen Umweltorganisation Walhi, will ebenfalls Jobs für die Armen schaffen – allerdings langfristig, mit Geld, das sie von reichen Indonesiern sammelt. Denn wenn es gewaltsame Unruhen gibt, fürchtet sie, „hat das Militär einen Vorwand, richtig zuzuschlagen“. Ob ein Aufstand der Armen auf diese Weise vermieden werden kann, ist allerdings fraglich. Schließlich sind all die Beschäftigungsprogramme kurzfristig angelegt. Sie helfen nur für ein paar Wochen.