■ Die Anderen
: Die "Magdeburger Volksstimme", die "Aachener Nachrichten" und die "Dresdner Neuesten Nachrichten" zum Unwort des Jahres

Die „Magdeburger Volksstimme“ zum Unwort des Jahres: Nach der „Rentnerschwemme“ von 1996 kommt der „Wohlstandsmüll“, zu dem Nestlé-Chef Maucher einen Teil der Arbeitslosen abstempelt. Ein unglaubliches „Unwort des Jahres 1997“ und gerade deshalb eine gute Wahl. Beiden „Unwörtern“ ist im Gegensatz zu früheren verbalen Tieffliegern wie „Peanuts“ oder „Diätenanpassung“ eines gemeinsam: Sie machen exemplarisch deutlich, wie sehr der immer härter werdende Verteilungskampf in unserer Gesellschaft auf dem Rücken einzelner Gesellschaftsgruppen ausgetragen wird. Mal wird suggeriert, daß zu viele Rentner die Allgemeinheit zuviel kosten. Jetzt sind es die „faulen“ Arbeitslosen, die es sich in der sozialen Hängematte bequem machen. Zynismus pur! Der Romanist und Sprachwissenschaftler Victor Klemperer bezeichnete Wörter einst als gefährliche Waffen, die ihr Gift oft langsam entfalten. Er könnte Mauchers „Wohlstandsmüll“ gemeint haben. Denn was geschieht im allgemeinen mit Müll? Er wird irgendwann entsorgt.

Die „Aachener Nachrichten“ zum gleichen Thema: Welcher Agitator hat diese perfide Deutung seinem menschenverachtenden Vokabular entnommen? Kein Ewiggestriger aus irgendwelchen versprengten braunen Horden, kein dummdreister und mediengeiler Schwätzer. Nein, Helmut Maucher, Chef des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, hat die unglaubliche Äußerung getan – nachvollziehbar im Nachrichtensender n-tv. Ein solcher Mann weiß, was er sagt, er hat das politische und gesellschaftliche Umfeld eiskalt analysiert. Wenn er danach glauben darf, ungestraft in derart zynischen Verbalradikalismus verfallen zu können, ist dies der eigentliche Skandal.

Die „Dresdner Neuesten Nachrichten“ zum gleichen Thema: Genausogut hätte er natürlich den abgedroschenen Begriff „Schmarotzer“ benutzen können. Oder „Faulpelze“. Oder „Parasiten“. Doch Helmut Maucher, langjähriger Nestlé-Konzernchef, hält's mit dem Novalis-Zitat, daß die Sprache eines Menschen Ausdruck seines Geistes ist. Mit Blick auf die Hunderttausenden Entmutigten, Gescheiterten und Kranken, die jede Hoffnung auf einen Job begraben haben, plauderte er deshalb feinsinnig von „Wohlstandsmüll“ – was ihm nun die berechtigte „Ehre“ eintrug, das Unwort des Jahres 97 geprägt zu haben. Trotzdem hinterläßt der Jury-Entscheid einen schalen Nachgeschmack. Denn im Unterschied zum 94er Preisträger „Peanuts“ war die verbale Entgleisung des früheren Nestlé-Bosses bis gestern kaum bekannt. Erst durch das Medieninteresse am Unwort des Jahres ist der arrogante Spruch von den Arbeitslosen als „Wohlstandsmüll“ nun in aller Munde – und möglicherweise auch in manchen Köpfen.