USA wollen Israels Rückzug häppchenweise

Noch mindestens 15 Prozent des Westjordanlandes müsse er an die Palästinenser abgeben, verlangt US-Präsident Bill Clinton von Israels Premier Benjamin Netanjahu. Der Abzug dürfe ruhig in Etappen passieren  ■ Von Georg Baltissen

Jerusalem (taz) – Die US-Regierung hat einen detaillierten Plan vorgelegt, um die Friedensgespräche im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen. Dies gab das Weiße Haus nach einem überraschenden zweiten Treffen zwischen US-Präsident Bill Clinton und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern bekannt. Ein erstes anderthalbstündiges Gespräch am Vortag hatte keine Ergebnisse gebracht. Netanjahu hatte nach dem Gespräch gegenüber dem israelischen Fernsehen erklärt: „Noch ist keine Übereinkunft formuliert worden.“ Die Gespräche wären jedoch in offener und freundschaftlicher Atmosphäre verlaufen. Es habe keinen US-amerikanischen Druck auf Israel gegeben.

Der US-Plan soll heute Palästinenserpräsident Jassir Arafat vorgelegt werden. US-Außenministerin Madeleine Albright und der US-Sonderbotschafter für den Nahen Osten, Dennis Ross, würden die Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen, hieß es in Washington.

Nach einem Bericht des israelischen Rundfunks fordert der US- Plan einen israelischen Rückzug aus mindestens 15 Prozent des Westjordanlandes. Dieser Rückzug könne allerdings in mehreren kleineren Schritten vollzogen werden. Dies würde dem israelischen Kabinett die Zustimmung erleichtern. Eine offizielle Reaktion von israelischer Seite gab es gestern noch nicht. Die israelische Regierung hatte bislang sechs bis acht Prozent in Aussicht gestellt. Allerdings beschloß das israelische Kabinett in der vergangenen Woche, „sicherheitsrelevante“ Gebiete weiterhin besetzt zu halten. Danach würden den Palästinensern letztlich nur 40 Prozent des Westjordanlandes übergeben werden. Die Palästinenser haben diesen Vorschlag als unannehmbar zurückgewiesen. Bildungsministerin Hanan Ashrawi sagte gestern gegenüber dem US-Fernsehsender CNN, Israel müsse einmal abgeschlossene Verträge einhalten. Eine Neuverhandlung der Abkommen käme nicht in Frage. Auch die US-Regierung hatte den Kabinettsbeschluß als „nicht hilfreich“ kritisiert. Erwartet worden war, daß Clinton deshalb gegenüber Netanjahu unmißverständlich seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen würde.

In Erwartung einer solchen Schelte hatte sich Netanjahu zu Beginn seines Besuchs in Washington demonstrativ mit christlichen Fundamentalisten und republikanischen Kongreßabgeordneten getroffen, die jeden weiteren Rückzug Israels ablehnen, darunter der Sprecher des Kongresses, Newt Gingrich, und der Rechtsaußen Jesse Helms, Vorsitzender des Ausschusses für internationale Beziehungen. Clinton seinerseits vermied – bis auf einen Fototermin – jedes gemeinsame offizielle Auftreten mit Netanjahu: keine gemeinsame Pressekonferenz, kein festliches Dinner und keine Einladung ins Blair House, dem offiziellen Gästehaus der Regierung. Ein Regierungsbeamter sagte dazu: „Wir behandeln ihn wie den Präsidenten von Bulgarien.“ Im November vergangenen Jahres hatte Clinton bereits ein Treffen mit Netanjahu vermieden, obwohl sich beide zeitgleich in Los Angeles aufhielten.

Nach israelischen Presseberichten hat auch eine 50 Punkte umfassende Beschwerdeliste, die Verstöße der palästinensischen Autonomiebehörde gegen die Oslo- Vereinbarungen aufreiht, nicht die Zustimmung Clintons gefunden. Eine erneute Annullierung der PLO-Charta, wie sie Netanjahu fordert, habe Clinton als nicht notwendig zurückgewiesen, meldete die isralische Tageszeitung Haaretz gestern. Keine Einigung gab es laut den Berichten auch bei der israelischen Forderung nach Auslieferung von 34 Anhängern der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Die US-Regierung habe dies als unrealistisch angesehen und statt dessen ein Verfahren vor einem palästinensischen Gericht vorgeschlagen. Die Beschwerdeliste war zuvor in der israelischen Presse als „blamabel“ kritisiert worden. Ein Beschwerdepunkt besagte, daß „Ruhe und Frieden“ der israelischen Siedler durch den Gebetsaufruf des Muezzins gestört würden. Die Palästinenser hatten ebenfalls eine Liste mit 43 Beschwerden vorgelegt, allerdings ohne vergleichbare „Ausrutscher“.