Entscheidet am Ende doch der Kanzler?

■ Am Tag bevor Helmut Kohl sich die Entwürfe für ein Holocaust-Denkmal ansieht, plädiert Rita Süssmuth für ein „unbequemes“ Mahnmal. 1995 war ein Entwurf an Kohl gescheitert

Berlin (taz) – Helmut Kohl mischt wieder mit: Gestern besuchte der Bundeskanzler die Berliner Galerie im Marstall, wo derzeit die Entwürfe der zweiten Wettbewerbsrunde für das geplante nationale Holocaust-Mahnmal gezeigt werden. Er wollte sich die 19 Entwürfe der KünstlerInnen, von denen vier in die engere Auswahl gekommen sind, persönlich erläutern lassen. Eine Entscheidung über die endgültige Gestaltung des zentralen Denkmals für die ermordeten Juden soll in den nächsten Wochen von den Auslobern – Bund, Land Berlin und Förderkreis – getroffen werden. Die Mitglieder der Jury sind jedoch noch nicht bekannt.

Kohl hatte bereits nach der ersten Wettbewerbsentscheidung 1995 mit einem plötzlichen Veto den Bau des Mahnmals in der Nähe des Brandenburger Tors gestoppt. Er lehnte die monumentale Grabplatte, auf die die Namen von Millionen ermordeter Juden eingraviert werden sollten, als „überdimensional“ ab. Insiderkreise spekulieren, Kohl habe in den vergangenen Wochen den Entwurf von Gesine Weinmiller favorisiert – 18 Steinblöcke auf einer schiefen Ebene, die an einen zerstörten Davidstern erinnern.

Bleibt er bei dieser Präferenz, stößt er auf Ablehnung bei Rita Süssmuth (CDU). Die Bundestagspräsidentin mahnte am Dienstag abend auf einer Diskussionsveranstaltung mit Bundestagsabgeordneten und Auslobern in Berlin, „vorsichtig mit jüdischen Symbolen umzugehen“. Ihrer Meinung nach dürfe das Mahnmal nicht „bequem“, sondern müsse „anstößig, widerständig und unruhig“ sein. „Der Entwurf von Serra und Eisenmann wühlt auf“, sagte sie. Die beiden Künstler entwarfen ein Beton-Labyrinth, das entfernt an einen jüdischen Friedhof erinnert.

Süssmuth wandte sich gegen einen neuen Wettbewerb: „Man kann sich auch zu Tode ausschreiben.“ Einem Entwurf, dem alle zustimmten, könne es nicht geben. Die Bundestagspräsidentin lehnte ferner eine förmliche Entscheidung des Bundestages über die Errichtung eines Holocaust-Denkmals ab. Dies hatte unter anderem der Potsdamer Historiker Julius Schoeps wiederholt gefordert.

Der SPD-Abgeordnete Peter Conradi unterstützte Süssmuth, da sich die Abgeordneten bereits in einer Debatte im Mai 1996 zu einem nationalen Denkmal bekannt hätten. Volker Beck von den Bündnisgrünen forderte, daß ZwangsarbeiterInnen ausreichend entschädigt werden müßten, dann erst gebe es ein „politisches Fundament für eine glaubwürdige Errichtung eines Mahnmales“.

Alle an der Diskussion beteiligten Abgeordneten sprachen sich für ein Mahnmal aus, das auschließlich den ermordeten Juden gewidmet sein solle. Allerdings herrschte Einigkeit darüber, daß auch die anderen Opfergruppen, zum Beispiel Sinti und Roma sowie Homosexuelle, Denkmale bräuchten. So sagte Gregor Gysi (PDS), daß es für den Kanzler eine wesentlich größere Herausforderung sei, sich vor einem Mahnmal für ermordete Homosexuelle zu verneigen, als vor einem für alle Opfer. Jedoch müsse ein solches Denkmal dann auch wirklich realisiert werden. Auch Süssmuth plädierte für weitere Denkmale: „Sobald das eine entschieden ist, steht die Verpflichtung zu den anderen.“

Ob oder wie indes das Holcaust- Mahnmal für Staatsempfänge und offizielle Gedenkfeiern genutzt werden wird, ist vorläufig unklar. Lea Rosh vom Mahnmal-Förderkreis meinte, natürlich sei es „möglich, dort Blumen niederzulegen, ohne daß das Mahnmal als ,Kranzabwurfstelle‘ diffamiert wird“. Es sei vom Förderkreis nie intendiert worden, dort förmliche Zeremonien abzuhalten. Weitgehende Einigkeit herrschte am Dienstag darin, daß die Neue Wache der geeignete Ort für Staatsgäste und Regierung sei, um in Zukunft Kränze niederzulegen. Der Berliner Kultursenator Peter Radunski (CDU) zeigte sich progressiv. Er erhoffe sich von dem Mahnmal, daß es das Staatsprotokoll an Feier- und Gedenktagen verändere, da es in seiner bisherigen Form kaum mehr adäquat sei. Julia Naumann