Hören mit Schmerzen

■ „Guitar-Special“, Teil 2: Der US-Amerikaner Marc Ribot verstört und unterhält das KITO-Publikum mit kultiviertem Krach

Es gibt Menschen, die haben ihre Lieblingsspielzeuge aus der Kindheit bis ins Erwachsenenalter herübergerettet. Marc Ribot ist so ein Typ.

Gern nimmt er einen kleinen Luftballon zu Hilfe, wenn er über die Saiten seiner Gitarre schrammelt. Alternativ tut es aber auch der Handventilator, der so herrlich mit seinen rotierenden Flügeln kratzen kann. Wenn es besonders wild wird, greift der Amerikaner aber lieber in die martialische Kiste. Eine Nagelfeile holt er dann hervor – Folterinstrument ganzer Generationen von Kindern. Sologitarrist Ribot zelebrierte im Vegesacker KITO seine Lust am kultivierten Krach.

Auf seine musikalischen Ideen haben bereits Elvis Costello, Tom Waits und John Zorn gesetzt. Marc Ribot gilt als Kreativling, der sich immer nach neuen Klangerlebnissen sehnt. Deshalb ist er auch nicht müde geworden, jedes noch so atypische Utensil in sein Spiel einzubeziehen. Was bei einem Auftritt für so manche Verwunderung sorgen kann. Auch im KITO faßten sich immer wieder Leute an den Kopf : „Kann das wahr sein?“, mag ihnen durch den Kopf gegangen sein. Es kann.

Marc Ribot gehört zu einer Spezies, die den intellektuellen Dilettantismus zelebriert. Verschrobenheit und die Liebe zur Disharmonie durchziehen sein Werk. Marc Ribot sucht nach dem Häßlichen und erklärt es zum Schönen. Seine Balladen sind durchtränkt von Düsterkeit. Fast weinerlich hockte er mit zerwühltem Haar auf der Bühne, verzog das Gesicht und kniff die Augen zu. Die Gitarre, die er auf seinem Schoß hielt, wimmerte dazu. Was für Seelenqualen muß dieser Mann nur auszustehen haben?

Manchmal wurde es selbst ihm zuviel. Dann mußte der ganze Frust raus. In heftigen Noise-Attacken ging er brachial zu Werke: Hören mit Schmerzen – das alte Programm der Berliner „Neubauten“– einmal anders aufgezäumt: Grobschlächtige Riffs, kurze, harte Töne und Phrasen sowie ein debütantisches Charisma. Roh waren diese Passagen, auch unverfälscht. Gleichwohl bediente sich Ribot stets einer kultivierten Ästhetik. Der ausgebuffte Profi spielte mit dem Charme des Anfängers. Dabei wirkte er wie ein großer Junge, der einfach nur Musik machen möchte und ansonsten seine Ruhe haben will.

Charakteristisch für das zerrissene Geschehen auf der Bühne war das Verhältnis von Musiker und Instrument. Ob Ribot die Gitarre oder die Gitarre Ribot bespielte, konnte man im Grunde gar nicht sagen. Beide sind längst ein symbiotisches Verhältnis eingegangen, können nicht ohne einander.

Das weiß man auch im Dunstkreis der New Yorker „Knitting Factory“. Dort arbeitet Ribot mit Größen wie Elliot Sharp, den „Jazz Passengers“, Anthony Coleman oder Evan Lurie zusammen. Sie alle schätzen die Art, wie der 43jährige improvisiert oder amerikanische Standards in Einzelbausteine zerlegt, die er anschließend beliebig verknüpft. Geschätzt wurde Ribot auch in Vegesack.

Stephan Hespos