Die Krise in Asien kann für Taiwan ein Segen sein

■ Taipeh versucht mit einer Offensive in Südostasien die eigene Isolation aufzuweichen

Tokio (taz) – Wo internationale Anleger sich zurückziehen und europäische Politiker Krisenszenarien entwerfen, da sieht Taiwan jetzt Chancen zur Ausweitung seiner diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Taipehs Diplomatie mußte gerade in Afrika schwere Rückschläge einstecken, als vor zwei Monaten auch Südafrika seine engen Bande mit Taiwan kündigte und seit Neujahr eine Botschaft in Peking betreibt. Jetzt gehen Taiwans Politiker in Asien in die Offensive.

Die asiatische Wirtschaftskrise, die bisher für die Taiwanesen glimpflich verlaufen ist, kommt wie gerufen. Auch für dieses Jahr wird Taiwan ein Wirtschaftswachstum von fast sechs Prozent zugetraut. Zudem verfügt die kleine Inselrepublik von der Fläche der Schweiz und 22 Millionen Einwohnern mit rund 90 Milliarden Dollar über die drittgrößten Devisenreserven der Welt. Mit diesem Schatz in der Hinterhand wollen sich die Taiwanesen in Asien auch politisch wieder Gehör verschaffen.

So besuchte kürzlich Vizepräsident Lien Chan offiziell Singapur und wurde dabei am Flughafen sogar von Premierminister Goh Chok Tong persönlich empfangen. Peking erhob flugs den Drohfinger. „Wir sind gegen jede Form von offiziellen Kontakten mit Taiwan, wenn ein Land diplomatische Beziehungen mit Peking hat“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Shen Guofang. Pekings Drohung ist bekannt, doch die Politiker in der Region blicken lieber auf die prallgefüllten Geldtaschen der Taiwanesen, die den angeschlagen Volkswirtschaften wieder auf die Beine helfen sollen. Taiwans Ministerpräsident Vincent Siew wurde vom philippinischen Präsidenten Fidel Ramos empfangen, und auch Siews Reise nach Indonesien konnten Pekings Proteste nicht verhindern.

Am aktivsten tritt der kommerzielle Arm der taiwanesischen Regierungspartei Kuomintang, die China Development Corporation, in der Region auf – zum Schnäppchenkauf. Die Manager haben auf ihrer Einkaufsliste Banken, Hotels und sogar Teile des südkoreanischen Elektrokonzerns Samsung. Intensivere wirtschaftliche Beziehungen sollen Taiwan helfen, die hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik China zu verringern und zugleich die diplomatische Isolation aufzubrechen. Denn die Taiwanesen können sich weder über den Internationalen Währungsfonds (IWF) noch über die Asiatische Entwicklungsbank an Hilfsaktionen beteiligen, da ihnen die Mitgliedschaft in diesen Organisationen wegen der „Ein- China-Politik“ verwehrt ist.

So steht den Taiwanesen nur der Weg über private Investitionen offen. Die bargeldreichen Konzerne auf der Insel könnten nach Ansicht von Analysten in den kommenden Monaten bis zu zehn Milliarden Dollar in der Region investieren. Diese „Go South“-Diplomatie der Taiwanesen ist bereits seit 1994 offizielle Strategie, kommt aber erst jetzt mit der Krise richtig zum Tragen. „Die Gelder, die nach Südostasien fließen, werden dieses Jahr den Chinesen fehlen, die auf taiwanesische Milliarden für die Privatisierung ihrer Staatsbetriebe gehofft haben“, sagt ein Chinakenner in Tokio. Das sei auch der Grund, warum diese Woche im Pekinger Außenministerium wieder mal ein Gesprächsangebot an Taipeh gerichtet wurde. Doch viele Zugeständnisse hat Peking nicht gemacht. Für die Volksrepublik bleibt Taiwan eine abtrünnige Provinz. André Kunz