Ein Lernort – und kein KZ-Erlebnisland

■ Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz soll erweitert werden. Die Tochterfirma eines französischen Kabelkonzerns verkauft einen Teil des Geländes für eine Mark an den Freistaat Bayern

Flossenbürg (taz) – Ein riesiges Granitdenkmal weist Flossenbürg als „staatlich anerkannten Erholungsort“ aus. Nur 1.900 Menschen wohnen in der Oberpfälzer Gemeinde. Die Hauptstraße schlängelt sich den Hang hinauf – vorbei an Gasthöfen und zwei Dorfkirchen, weit oben dann die Burgruine aus dem 11. Jahrhundert. Ein Idyll im Grünen, in der die ausladende Parklandschaft etwas abseits der Hauptstraße nicht weiter auffallen würde, wenn nicht ein Schild die gepflegten Rasenflächen und die Nadelbaumwäldchen als „KZ-Grab- und Gedenkstätte“ entlarven würde.

„Flossenbürg ist ein vergessenes Lager“, klagt Hans Simon-Pelanda. Pelanda ist Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft ehemaliges KZ Flossenbürg“. Diese Vereinigung will endlich ins Bewußtsein bringen, daß es in Bayern neben Dachau noch ein zweites KZ gab. Während Dachau in aller Munde ist und jährlich 700.000 Besucher verzeichnet, finden etwa 80.000 den Weg in die Oberpfalz – und sie finden dort so gut wie nichts.

Etwa 100.000 Häftlinge waren im KZ Flossenbürg. 1938 wurde es vor allem wegen der Granitvorkommen eingerichtet. Wegen der besonders harten Bedingungen starben dort 30.000 Menschen. Heute steht hier nur noch eine Gefängnisbaracke, das Kommandanturgebäude, zwei Wachtürme – und das Krematorium. Wo einstmals im „Tal des Todes“ die Galgen der SS-Wachmannschaften standen, wachsen Bäume, und über die von Häftlingen bereits kurz nach Kriegsende errichtete „Aschenpyramide“ ist buchstäblich Gras gewachsen.

Auf den Fundamenten der Häftlingsbaracken ließ ein gemeinnütziges Siedlungswerk 120 Wohnungen für Vertriebene errichten. Rund um den ehemaligen Appellplatz wurden nach dem Krieg zunächst Möbel, dann Tennisschläger und heute Kabelbäume für Autos produziert.

Rings um das „Tal des Todes“ hat die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung, unter deren Obhut die „Grab- und Gedenkstätte“ bis 1991 stand, eine Parklandschaft angelegt. Hunde gehörten an die Leine, Abfälle in den Papierkorb, und das Betreten der Rasenflächen war verboten. Erst vor wenigen Jahren kam eine kleine Ausstellung in der Gefängnisbaracke hinzu. Dort sind nun immerhin die 100 Außenlager korrekt verzeichnet und die brutalen Haftbedingungen beschrieben – für mehr reicht der Platz nicht.

Das könnte sich jetzt ändern. Die zum französischen Alcatel- Kabel-Konzern gehörende Firma „ke autoelectric“ hat ihre Produktion ins benachbarte Floß verlagert und im Herbst dem Freistaat Bayern ein besonderes Angebot unterbreitet: Für den symbolischen Preis von nur einer Mark könnte Bayern das etwa 7.000 Quadratmeter große Gelände, das den Appellplatz, die Wäscherei und die Häftlingsküche sowie zwei neuere Lagerhallen umfaßt, übernehmen und in die Gedenkstätte integrieren.

„Das ist eine einmalige Chance, aus einem Friedhof eine wirkliche Gedenkstätte zu machen“, frohlockte zunächst Simon-Pelanda. Inzwischen aber ist er skeptisch geworden, denn der Schenkungsvertrag ist noch immer nicht unter Dach und Fach. „In München“, sagt er, „saßen doch immer nur Blockierer.“

„Es ist selbstverständlich, daß wir zugreifen“, entgegnet dem Michael Rupp, Chef der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit beim bayerischen Kultusministerium und damit seit 1991 zuständig für die KZ-Gedenkstätte. Schon allein als Geschichtslehrer und gebürtiger Oberpfälzer habe er, betont Rupp, „größtes Interesse“, aus Flossenbürg einen „Lernort“ zu machen. Letzte Woche war Rupp vor Ort und zeigte sich „entsetzt“ über den Zustand der Gebäude. In seinem Haus schätzt man nun die Folgekosten dieser „Schenkung“ auf etwa fünf Millionen Mark. Doch Rupp ist bereit, das in Kauf zu nehmen. „Wer A sagt, muß auch B sagen.“ Auf einen Zeitplan für den Ausbau der Gedenkstätte will er sich jedoch nicht festlegen.

Bürgermeister Johann Werner ist schon froh, daß der Freistaat „endlich etwas unternimmt“. Der CSU-Mann, der seit 20 Jahren Bürgermeister ist, mußte lange darauf warten. Von sich aus hatte die Gemeinde inzwischen den Platz vor dem Kommandanturgebäude neu gestaltet, im Rathaus ein Informationsbüro installiert und mit Jörg Skribeleit einen Wissenschaftler zur Erforschung der KZ-Geschichte angestellt.

„Von ganzem Herzen“ freute sich der Bürgermeister über das Angebot von Alcatel-Kabel. Nur die beiden neueren Hallen würde er gerne weiter gewerblich nutzen. „Wie soll man in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit dem Bürger verständlich machen, daß die abgerissen werden sollen?“ fragt er sich. Alcatel-Sprecherin Barbara Buschkamp hätte gegen eine weitere gewerbliche Nutzung der beiden Hallen nichts einzuwenden, wenn die Erlöse in den Ausbau der Gedenkstätte fließen würden.

„Ein Teil der Geschichte der Gedenkstätten liegt eben auch in deren Vernachlässigung“, betont Jörg Skriebeleit. Bevor er nach Flossenbürg kam, hat er in Berlin europäische Ethnologie studiert. Aber er kommt nicht von außen. Er ist Oberpfälzer und kennt die Mentalität der Leute hier. „Flossenbürg ist ein altes Steinhauerdorf“, sagt er, „da ist man skeptisch gegen alles, was von außen kommt.“ Den Ort will er langfristig zu einer „europäischen Gedenkstätte“ ausbauen. Immerhin lagen rund 20 Außenlager auf tschechischem Gebiet. Skriebeleit will vor allem die Dimensionen wieder sichtbar machen, die aufgrund der Bepflanzung völlig verlorengegangen sind – immerhin war Flossenbürg von der Ausdehnung her das viertgrößte KZ.

„Die Besucher erwarten einen authentischen Ort“, beschreibt Skriebeleit sein Konzept. „Es soll aber kein Grusel-Disney und kein KZ-Erlebnisland werden.“ Deswegen will er auch keine Rekonstruktion des Lagers. Mit ein paar kleinen Sachen hat er schon angefangen. Alles weitere wird teuer. Doch Skriebeleit ist optimistisch. Er will Ministerpräsident Stoiber beim Wort nehmen. Der hatte im November 1997 zum fünfzigjährigen Jubiläum der Israelitischen Gemeinde in Bayern versprochen, daß nicht nur Dachau saniert, sondern auch die Gedenkstätte in Flossenbürg erweitert werden soll. Bernd Siegler