■ Berlin-Kreuzberg, Armenhaus der Stadt. Türken wohnen dort, Alternative. Und viele arme Alte. Manche von ihnen sind einsam, verwahrlost, aber dennoch freundlich gegenüber Besuchern. Ihr Sterben verläuft so, wie sie gelebt haben. Eine Reportage von Tim Köhler
: „Das kann ich keinem sagen“

Oft ist für alte, verwirrte Menschen der einzige Kontakt nach draußen die jeden Tag wiederkehrende Pflegekraft von einer Sozialstation. Die Namen der Betroffenen wurden geändert.

Freitag. „Frau Lober hat acht Kinder, die alle den Kontakt zu ihr abgebrochen haben.“ Dieser Satz steht auf dem Stammblatt der Krankenakte der 79jährigen Frau. Der Blick muß auf diesen Satz fallen. Eine Krankenschwester hat ihn groß und deutlich geschrieben.

„Erschrick nicht, wenn du in die Wohnung von Frau Lober kommst, sie ist völlig verwahrlost“, sagt mir der Pflegedienstleiter der Sozialstation bei der Einweisung für die Hauspflegetour. „Versuch erst mal, behutsam ihr Vertrauen zu bekommen, weil sie vermutlich nicht viel Hilfe zuläßt.“ Freitag nachmittag. Es stehen drei Patienten auf dem Tourenplan. Uwe, der Einsatzleiter, nennt die Pflege bei chronisch kranken und verwahrlosten Patienten „Chaos verwalten“. Der Begriff „psychosoziale Betreuung“ ist vage und läßt der Pflegekraft viel Spielraum.

Die Wohnung von Frau Lober ist tatsächlich in einem erbärmlichen Zustand. Die Teppiche sind zertreten und schmierig-feucht. Abwechselnd weisen sie Brand- und Schimmelflecken auf. Überall in der Wohnung schwirren kleine Fliegen umher und setzen sich auf herumliegende Keksreste oder unabgewaschenes Geschirr. Frau Lober hat zwar eine Waschmaschine, die funktioniert aber nicht. Sie muß seit Jahren kaputt sein, sonst wäre sie nicht von Spinnweben bedeckt. Die Deckenlampe wirft nur schwaches Licht. Ein stechender Uringeruch füllt die Wohnung aus. Er will auch nicht abziehen durch das weit geöffnete Fenster.

Die Fliegen in der Anderthalbzimmerwohnung machen es einem schwer, den Verstand zu bewahren: Was braucht die Frau jetzt am dringendsten? Prioritäten sind zu setzen. Welche Pflegemaßnahmen sind als erstes zu ergreifen? Eine Stunde morgens und eine am Abend stehen der Pflegekraft zur Verfügung.

Bis vor fünf Tagen war Frau Lober im Krankenhaus, weil sie umgefallen war. Sie ist Diabetikerin. Ihr Blutzuckerwert war auf einen lebensgefährlichen Wert angestiegen. „Ich habe einmal vergessen, mir mein Insulin zu spritzen, und da bin ich hingefallen“, flüstert Frau Lober. Dann fährt sie mit spitzem Mund und in merkwürdig künstlichem Ton fort: „Das passiert mir jetzt immer alle zwei Jahre.“

Um dies zu vermeiden, übernimmt die Krankenkasse seit ihrem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt die Kosten für ausgebildete Pflegekräfte. Sie spritzen Frau Lober morgens und abends Insulin.

Aber dafür braucht man keine Stunde.

„Wir müssen aufpassen, daß sie sich nicht selber vergiftet. Die Frau ißt alles, auch schimmeliges Fleisch“, hatte Uwe noch gesagt. Und das stimmt: Frau Lober weigert sich energisch, alte Essensreste wegzuschmeißen. Die Hackfleischsoße auf dem Teller scheint sie sich für mehrere Tage eingeteilt zu haben. Daß auf ihr bereits Fliegen sitzen, ignoriert sie. Sie kann gut sehen und hören und ist orientiert; dennnoch nimmt sie manche Dinge einfach nicht wahr.

Von Beruf war sie Köchin und „Kaltmamsell“ (das ist jemand, der Sülzen und Kaltspeisen zubereitet) in feinen Hotels in Ku'damm-Nähe. „Für die mache ich heute noch das Hirschragout einmal im Jahr. Das können die nicht, das können die einfach nicht“, erklärt Frau Lober, diesmal mit triumphierender Stimme und herausfordernd gehobenem Gesicht. Dabei sieht einen nur ihr linkes Auge an, das andere blickt in eine ganz andere Richtung, so stark schielt sie. Der schwarze Dreck unter ihren Fingernägeln reicht aber aus, ihr kein Wort davon zu glauben.

Nach der Insulinspritze frühstückt Frau Lober. Langsam zermahlt sie das Brötchen. Ich habe es ihr gekauft, weil sie selber keinen Pfennig Geld mehr hat. Die Post hat ihre Rente noch nicht ausgeliefert. („Die Postfrau ist eine Schlampe, aber am Montag werde ich es ihr geben. Dann gibt es Dunst. Mit mir nicht!“) Sie zermahlt das Brötchen zwischen der Zunge und den Lippen, weil die Zähne nur noch aus dunklen Stummeln bestehen. Immer wieder fallen dabei feuchte Krümmel vor sie auf den Boden.

„Frau Lober, ich sauge gleich mal Ihre Wohnung.“

„Ach Unsinn. Lassen Sie das doch. Ich mach' das alleine. Meine Wohnung halte ich alleine sauber. Nach und nach eben. Erst einmal muß ich mich wieder einleben. Nach drei Wochen Krankenhaus...“

„Hauswirtschaftliche Versorgung nicht möglich, weil Patientin sich nicht helfen lassen will“, steht in dem Berichtsbogen der Akte. Aber: „Gespräch möglich.“

Ich frage Frau Lober nach ihren Kindern. Acht Kinder – und keinen Kontakt? Ist das möglich?

„Nein, nein“, sagt sie energisch und schüttelt heftig mit dem Kopf. „Meine Kinder kommen regelmäßig zu mir. Und ich habe 35 Enkelkinder und sechs Urenkel.“

„Sind alle Kinder von einem Mann?“ frage ich.

„Ja. Aber er ist 1965 gestorben. Ich habe meine Kinder alleine großgezogen. Und ich habe nie Probleme mit ihnen gehabt. Nein, nein, meine Kinder haben mir nie Probleme gemacht. Ich sage nur: Man muß mit den Kindern sprechen. Wir hatten eine Hauswartsstelle, und wenn die Kinder den Hausflur geputzt und dafür Geld bekommen hatten, dann setzten wir uns zusammen an den Tisch. Einen Teil vom Geld habe ich genommen und gesagt: Das braucht Mama, um Kleidung zu kaufen. Und das ist für euch. Damit könnt ihr machen, was ihr wollt. Ja, so habe ich das gemacht. Man muß reden mit den Kindern. Es hilft alles nichts. Man muß reden mit den Kindern.“

Frau Lober wiederholt das langsam und so deutlich, als ob sie jemandem ihre Worte diktiert. Ruhige Handbewegungen unterstreichen sie noch.

„Die Probleme hat mir mein Mann gemacht. Erst kurz vor seinem Tod entdeckten sie seinen Gehirntumor, und der Professor hat mich gefragt: Was haben Sie für eine Ehe geführt? Ich sagte zu ihm: Das kann ich niemandem sagen.“

Frau Lober spricht weiter: „Mein Mann war Schiffseigner, und irgendwann hat er es mit dem Koppe bekommen. Ich lebte mit einem Kranken zusammen, aber kein Arzt wollte mir dies bestätigen. Im Winter ging er mit der Axt auf uns los. Meine Kinder und ich, wir mußten barfuß vor ihm fliehen. Wenn die Nachbarn uns nicht aufgenommen hätten, wären wir erfroren.“ Diesen Satz sagt sie dreimal.

„Ich habe nachts geweint, tagsüber habe ich mir nichts anmerken lassen, wegen der Kinder. Wenn beim Frühstück seine Gesichtsmuskeln wieder anfingen zu arbeiten (Frau Lober faßt an ihre Backen, um zu zeigen, wie das aussah), dann räumten alle Kinder schnell den Tisch ab, weil sie wußten, daß er gleich den Tisch umkippt. – Ja, natürlich hat er mich geschlagen. Und auch die Kinder. Es hat ja keiner eine Ahnung, was ich durchgemacht habe.“ Jetzt klingt die Stimme von Frau Lober höhnisch. (Später sagt sie einmal: „Durch das Schlimmste bin ich durch.“)

„Waren Sie mal bei der Polizei?“

„Ja, die Polizei wußte Bescheid. Der Kontaktbereichsbeamte kam oft zu uns. Er setzte sich an den Tisch und sagte zu meinem Mann: Mensch Willichen, was haste denn wieder gemacht? Du warst auf der Wache und hast gesagt, nehmt mir die Frau und diese Kinder aus der Wohnung. Dies ist nicht meine Frau, und diese sind nicht meine Kinder. Der Willi hat dann nur gesagt: Was? Was habe ich da gesagt? Das kann doch nicht sein! Dies ist nicht meine Frau, und dies sind nicht meine Kinder. Das hat der Willi gesagt.“ Frau Lober wiederholt diesen Satz noch einmal, phrasenhaft.

„Meine Kinder sind alle was geworden. Ich habe sie alle was lernen lassen. Einer ist Bauleiter, einer ist Elektroingenieur, eine ist Krankenschwester, eine ist Ärztin der Orthopädie. Sie lebt in Amerika.“

„Waren Sie mal dort?“

„Nein, nein. Aber sie kommt bald mal wieder. Sie ist meine Älteste. Nein, nein, meine Kinder haben mir nie Probleme gemacht. Ich habe sie alle großgezogen. Das kriegt die Marianne nicht hin. Ich sagte zu Marianne, meiner Schwiegertochter, nein, nein, Weihnachten komme ich nicht zu euch, ich kann dein Geschrei nicht ertragen. Die Marianne brüllt unentwegt mit ihren Kinder. Sie hat auch achte. Aber das geht so nicht. Man muß reden mit den Kindern.“

Mehrfach versichere ich Frau Lober, daß ich dafür bezahlt werde, ihr auch im Haushalt zu helfen. Schließlich läßt sie mich den Fußboden saugen. Dabei wendet sie sich ab und lehnt sich aus dem Fenster.

Die eine Stunde ist um. Draußen ist es bereits dunkel. Frau Lober begleitet mich zur Tür und drückt mir die Hand. Für den nächsten Tag nehme ich mir vor, den Küchenfußboden zu wischen. Er klebt.

Der zweite Patient ist Herr Röber. Er wohnt nicht weit entfernt von Frau Lober, ebenfalls in dem Teil Kreuzbergs, den die meisten immer noch „SO 36“ nennen. Auswärtige denken dabei an den 1. Mai und Straßenschlachten, die Bewohner nennen ihn Türkengetto.

Bei Herrn Röber muß man lange klingeln. Er kann nur schlecht laufen. Seine Diagnose lautet: Alkoholkrankheit und Korsakowsyndrom. Der Alkohol hat ihm soviel Gehirnmasse zerstört, daß seine Motorik nicht mehr funktioniert.

Herr Röber hangelt sich durch den Flur wieder zurück in die Küche. Den Stock, der neben der Tür in der Ecke steht, läßt er unbeachtet. Seine Wohnung ist eine dunkle Hinterhofwohnung, von denen es in Kreuzberg mehr gibt, als der geschäftige Eindruck von außen ahnen läßt.

Die Platten des Elektroherds in der Küche sind auf höchster Stufe angestellt. Das Kabel ist an einigen Stellen angeschwärzt. Herr Röber hat zwar einen Kohleofen, aber er hat keine Kohlen. Deshalb heizt er mit Strom. (Uwe hat mir erzählt, daß sich Herrn Röbers Stromrechnung vergangenen Winter derartig aufgelaufen hatte, daß der Hausbesitzer ihm den Strom für ein halbes Jahr abgestellt hatte. Glücklicherweise war das im Sommer. Inzwischen übernimmt das Sozialamt die Stromrechnung, und die Sozialstation will sich um die Beschaffung von Kohlen kümmern.) Warmwasser hat Herr Röber auch nicht, zumindest ist niemand in der Lage, den Boiler zu bedienen. Auf zwei Küchenstühlen liegen übereinandergetürmt uringetränkte Unterhemden. Die Waschmaschine funktioniert, also schmeiße ich alle hinein.

Herr Röber ist harninkontinent. Beim Bettabziehen greife ich in kalten Urin, der fingerhoch im Bettkasten steht. Handschuhe hat hier noch niemand deponiert, obwohl Herr Röber seit über drei Monaten von der Sozialstation versorgt wird. Seine Matratze ist voller Urin.

Die Kleidung, die Herr Röber gerade trägt – eine zerrissene Shorts und ein vergilbtes Unterhemd –, ist ebenfalls naß und riecht streng.

Herr Röber sitzt am Tisch, hinter ihm läuft das Radio (im Nebenraum läuft ebenfalls ein Radio, mit einem anderen Sender), und er raucht selbstgedrehte Zigaretten. Seine Finger sind gelb-braun vom Tabak. Vor ihm auf dem Tisch liegen mehrere Feuerzeuge, von denen kein einziges funktioniert. Seine Hauptbeschäftigung scheint das mühsame Drehen von Zigaretten (seine Hände sind sehr starr) und das Rauchen zu sein.

Ich schenke ihm meines.

In dem Büchlein, in dem die Pflegekräfte Besonderheiten eintragen, steht an einer Stelle: „Liebe Anja, seit drei Wochen schreibe ich, du sollst Einmalrasierer kaufen und auch mal frisches Obst, aber keine Äpfel – die mag Herr Röber nämlich nicht (mußt du selber essen), aber du reagierst nicht. Und hast du überhaupt mal den Fußboden im Bad oder in der Küche gewischt? Wenn du meinst, mich nicht ernst nehmen zu müssen, dann werde ich das mal im Büro melden. Ich kann auch anders. Gruß Britta.“

Dieser Eintrag ist zwei Wochen alt. Einmalrasierer finde ich, aber es gibt keine Waschlappen im Bad. Nach längerem Suchen finde ich einen im Schrank.

„Ich möchte Sie waschen, Herr Röber.“

„Nee, lassense mal.“

„Doch, kommen Sie bitte.“

Breitbeinig steht er vor dem Waschbecken und läßt sich die nasse Kleidung abziehen. Er läßt sich auch widerwillig waschen. Das kalte Wasser läßt ihn zusammenfahren und einmal auch laut rufen.

„Sie sagten doch, Sie waren Schiffer. Und da haben Sie Angst vor Wasser?“

„Ja, mmh.“

Aber danach, frisch rasiert, mit neuen und trockenen Kleidern, mit einer Zigarette in der warmen Küche, wie gewohnt auf seinem plattgedrückten Kissen sitzend, sagt er: „Jetzt fühle ich mich wohler.“

Herr Röber ist 60 Jahre alt. Ich denke, andere Männer in dem Alter haben noch Frauen und unternehmen noch richtig schöne Dinge.

Der dritte Patient an diesem Freitag abend ist Herr Weber.

Herr Weber stirbt nicht, obwohl alle darauf warten. Bereits vor Wochen diagnostizierte ein Arzt sein baldiges Sterben („präfinales Stadium“), und die Krankenkasse bewilligte ihm eine Sterbebegleitungspflege.

Nachts zwischen zehn und sechs Uhr morgens ist ununterbrochen eine Schwester oder ein Pfleger bei ihm. Herr Weber ist nachtaktiv, tagsüber schläft oder dämmert er überwiegend. Tagsüber wird er während acht Stunden betreut, in drei Blöcken.

Er liegt immer im Bett, an dessen Rand ein Gitter installiert ist, damit er nicht herausrollen kann. Unten am Bettgestell hängt ein Urinbeutel, dessen anderes Ende in der Blase des 65jährigen lungenkrebskranken Mannes endet. Im Büro wurde mir mitgeteilt, daß Herr Weber die vergangenen Tage stark abgebaut habe, mehrere Druckgeschwüre am Körper habe und daß er am liebsten rauche (Rothändle) und trinke (Bier).

Das ist auch tatsächlich sein erster Wunsch bei unserer ersten Begegnung. Leise, mit schwacher Stimme bittet er um eine Zigarette. Er kann sie kaum halten, und er nimmt nur einige wenige Züge, dann läßt er sie in den Aschenbecher fallen. Danach ißt er aber zwei Spiegeleier und eine halbe Stulle mit Butter. Laut Pflegebericht ist das sein übliches Abendessen. Danach will er die nächste Zigarette. Auf dem Nebentisch liegen drei volle Packungen. Niemand will einem Sterbenden seine letzten Wünsche verwehren.

Herr Weber hat Lungenkrebs im Endstadium (die Schwester im Büro: „der Arzt befürchtet, daß er bald mit dem Bluthusten anfängt“), aber er hat keinerlei Schmerzen. Er verneint die Frage nach Schmerzen, und er verweigert wie jeden Tag die ihm verschriebenen Schmerztropfen. Herr Weber will auch nicht reden. Waschen lassen und die Windel wechseln will er sich auch nicht, aber dieser Widerstand muß im Interesse des Kranken gebrochen werden: „Was wollen Sie von mir? Hauen Sie ab, sonst knallt's!“

„Das muß sein, Herr Weber. Sonst werden Sie wund.“

„Hau'n Sie ab! Ich warne Sie!“

„Herr Weber, hören Sie zu: Ich wasche Sie jetzt, und danach bekommen Sie ein kühles Bierchen, okay?“

Jetzt willigt er ein, dreht sich wortlos auf die Seite, läßt sich saubermachen.

Die ganze Zeit über guckt er sehr ernst. Sein Blick ist unbestimmt. Auf die Frage, an was er denke, antwortet er nicht. Er will nur eine Zigarette.

Ich setze mich neben ihn und warte auf den Abend.

Samstag. Vor der Tour im Büro: Die Einsatzleiterin sagte mir, sie habe gestern mit dem Sohn von Frau Lober telefoniert. Er habe gesagt, sie habe alle Kinder in ein Heim abgegeben. Deshalb habe sie heute keinen Kontakt zu ihnen. Die acht Kinder wollen nichts mit ihrer Mutter zu tun haben.

„Frau Lober, zeigen Sie mir die Fotos von Ihren Kindern?“ (Heute nehme ich den Uringeruch in der Wohnung nicht mehr so stark wahr. Vielleicht, weil ich mit ihm gerechnet habe.)

„Warten Sie, die sind ganz unten im Schrank, die muß ich raussuchen. – Ich werde sie Ihnen bald mal raussuchen. – Mein jüngster Sohn, der Bruno, hatte einen Klumpfuß. Als er zwei Jahre alt war, habe ich ihn zum Oskar-Helene-Heim gebracht. Und der Professor hat gesagt, das kriegen wir hin. Und sie haben es wieder hingekriegt. Heute ist zwar das eine Bein etwas kürzer als das andere, aber das sieht man nicht. Sie haben ihn operiert, und danach bin ich hingegangen – immer wenn was war mit meinen Kindern, habe ich mich gekümmert –, und da habe ich ihn liegen sehen, und er hat so geweint: Uuuuh! (Frau Lober schließt die Augen und wimmert wie ein Kind.) Da habe ich eine Schere geholt und wollte den Gips aufmachen. Der Professor hat mich erwischt und mir erklärt, daß ich Vertrauen haben muß. Sie haben uns Bruno anvertraut, dann müssen Sie jetzt auch zulassen, daß wir ihm helfen, so wie wir das eben tun.“

Frau Lober trägt denselben pinkfarbenen Morgenrock wie gestern. Er ist schmutzig. Wechselt sie manchmal ihre Kleidung? Wäscht sich Frau Lober überhaupt? Ihre weißgekrausten Haare sind allerdings ordentlich nach hinten gekämmt und mit Haarspangen befestigt. Neben dem Tisch liegen mehrere Haarspraydosen, von denen einige leer sind.

„Kommen Sie zurecht mit dem Waschen?“

„Ja sicher, was wollen Sie denn? Sie werden doch wohl eine alte Frau nicht abnehmen wollen, sich zu waschen? Was ist denn nu los?“

Frau Lober will lieber erzählen: „Willi, mein anderer Sohn – er heißt wie sein Vater –, hatte als kleiner Junge eine Lungenentzündung. Nachdem er im Sanatorium war, haben sie ihn mir weggenommen. Wir haben gekämpft, der Sozialarbeiter vom Bezirksamt mit mir, aber wir haben ihn verloren, den Willi. Wir lebten in einer Kellerwohnung. Einen Brief haben wir geschrieben an die in Bonn. Der Doktor Würmeling hat gesagt, in Berlin lebt kein Kind in einer Kellerwohnung. Da haben wir geschrieben, daß er lügt. Und wenn er uns keine andere Wohnung gibt, daß wir dann die Fotos von unseren Kindern in der Kellerwohnung an die Zeitung schicken. Als wir uns die neue Wohnung anguckten, wurde sie gerade renoviert. Da sagte uns jemand, sie ist für jemand anders. Ich bin sofort hin zum Wohnamt und habe gefragt: Was ist nun? Was ist mit unserer Wohnung? – Da sagte der zuständige Beamte: Sie bekommen eine andere. Und wir haben dann eine sehr schöne bekommen, eine mit Parkettfußboden. Aber dann fing das an mit meinem Mann und seinem Koppe. Ich habe mit einem

Kranken gelebt, aber kein Arzt hat mir das bestätigt. Er war öfters beim Arzt, aber er konnte immer sagen, wann er geboren wurde und wann seine Eltern geboren waren, und dann ließen sie ihn wieder gehen.“

Immer wieder überlege ich, was ich während des Pflegeeinsatzes tun kann. Vorgestern hat jemand den Kühlschrank abgestellt und in den Bericht geschrieben, daß er nach dem Abtauen gesäubert werden solle. Er ist voller vergammelter Nahrungsreste, die im Eis gefroren sind. Aber Frau Lober hat den Kühlschrank offenbar unmittelbar danach wieder eingestellt.

In der Badewanne liegt ein Teppich, den Frau Lober waschen will. Aber er lag gestern schon genauso da. Nichts ist passiert. Heute lief der Wasserhahn, und sie schien das laufende Wasser vergessen zu haben. Sie brachte es nicht fertig, den Wasserhahn auszudrehen. Wohin will sie den Teppich zum Trocknen hängen? Und warum den schweren Läufer waschen? Warum nicht erst die schmutzigen Handtücher und Wäschestücke? Es ist so viel zu tun. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll.

Frau Lober erzählt fast ununterbrochen: „Als wir in der neuen Wohnung waren, hat der Mann vom Wohnamt die Miete, die er vom Bezirksamt bekommen hatte, nicht überwiesen an den Vermieter. Nach drei Monaten bekamen wir die Räumungsklage. Da bin ich hin. Mein Vater war Rechtsanwalt. Dessen Freund hat mir gesagt, ich kann dem Mann eine scheuern. Das habe ich getan! Ich also hin, und da bin ich rum um den Tisch und habe dem eine gedonnert, daß die Brille wegflog. Daß die Brille wegflog! Danach war das mit der Miete erledigt.“

Wieder bei Herrn Röber. Diesmal öffnet er schneller die Tür, und er hat sich selber eine saubere Hose und ein Hemd angezogen. Vielleicht hat ihn die Waschaktion von gestern motiviert, die Körperpflege wieder ernster zu nehmen. Er sagt, er wolle später zur Suppenküche gehen und dort Kumpels treffen. („Kauf dem Herrn Röber kein Bier, auch wenn er dich darum bittet“, hatte mich Uwe im Büro gebeten. Und: „Wenn er nicht zu Hause ist, dann ist er wahrscheinlich wieder mit seinen Saufkumpanen unterwegs.“)

„Die Waschmaschine habe ich nicht angefaßt. Ich habe nichts gemacht. Wie sie gesagt haben.“ In der Stube läuft der Fernseher, aber das Bild ist kaum erkennbar. Davor steht der Sessel und ein Aschenbecher, randvoll mit alten Kippen. Daneben zwei leere Bierdosen. Auf dem Tisch liegen zwei Wurstbrote, mundgerecht in kleine Stücke geschnitten. Sein Freund muß hiergewesen sein, zu Herrn Röber kommt nur einmal täglich jemand von der Sozialstation.

In dem Büchlein steht in einem Eintrag, der einige Tage alt ist, daß Lebensmittel aus dem Kühlschrank verschwunden seien und daß möglicherweise der Freund von Herrn Röber ihm die Sachen weggenommen hat. „Wenn das so ist, ist das echt beschissen. Britta.“ Derselbe Freund soll nun Herrn Röber die Brote geschmiert und Bier besorgt haben?

Ich hänge die Wäsche von gestern auf. Danach sitzen wir am kleinen Küchentisch (wieder hatte Herr Röber mit den Elektroplatten geheizt), und er ist wieder mit den Zigaretten beschäftigt. Die ganze Zeit sieht er auf seine steifen Hände, die den Tabak drehen. Plötzlich will er wissen, wo die Schere ist. Ich suche sie, finde sie aber nicht. Nach Minuten sieht er sie selber. Sie hängt ihm gegenüber an der Wand.

„Brauchen Sie die Schere?“

„Nein, nein.“

Am dringendsten braucht Herr Röber, abgesehen von den Kohlen, bald eine neue Matratze und einen Gummibezug, der verhindert, daß sie sich gleich wieder vollsaugt mit Urin. Am besten wäre es, wenn abends jemand käme, der ihm für die Nacht eine Windel umlegt. Wie tagsüber, um einzukaufen oder das Essen zuzubereiten. Aber die Dienstpläne sehen einen solchen Service nicht vor. Montag werde ich im Büro die Problematik schildern.

Auf dem Weg zu Herrn Weber erinnere ich mich daran, was Uwe über ihn gesagt hatte: „Herr Weber genießt es offensichtlich, ständig jemanden um sich zu haben. Früher, bis zu seiner Krankheit, war er sehr einsam. Vielleicht will er deshalb nicht sterben.“ Sterben hat vielleicht auch mit dem Willen zu tun.

Seine kleine Neubauwohnung ist sauber und warm. Es riecht leicht nach Pflegehilfsmitteln, wie im Krankenhaus. Der graue Linoleumfußboden erinnert ebenfalls etwas daran. Die luftgefüllte Matratze, die Druckstellen verhindern soll, summt hörbar. Herr Weber liegt zur Wand gedreht. (Mir fällt ein, daß ich vergessen habe, den Boiler von Herrn Röber genauer zu untersuchen. Vielleicht ist er gar nicht kaputt, sondern hat nur eine komplizierte Bedienung.)

Er scheint zu schlafen. Ich neige mich über Herrn Weber und lausche auf seinen Atem. Er ist ruhig und gleichmäßig. Kein Brodeln. Kein Husten.

Ich möchte ihn erst einmal schlafen lassen. Ich setze mich neben den Sterbenden und lese Zeitung.

Unerwartet öffnet jemand die Tür. Es ist Herr Webers Tochter, die nach der Arbeit zu Besuch kommt.

Die wenigen Fotos in der Wohnung bilden alle sie ab. Ihr Vater wirkt sofort belebt durch den seltenen Besuch. Die Tochter hat von sich aus das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen: „Ich bin berufstätig. Letzte Woche war ich krank, also nicht richtig krank, aber ich war erkältet. Und ich will nicht, daß Papa auch noch eine Lungenentzündung bekommt.“ Er dreht sich um und verlangt gleich nach einer Zigarette. Vater und Tochter rauchen gemeinsam mehrere Zigaretten.

„Es ist gut, daß Ihr Vater keine Schmerzen hat“, sage ich.

„Ja, aber ich habe etwas Angst, daß er nur nicht sagt, daß er Schmerzen hat, damit er nicht ins Krankenhaus kommt. Dahin will er auf keinen Fall.“

„Das würde man aber merken, wenn er Schmerzen hätte.“

Zur Pflege von kranken Menschen gehört auch die Beruhigung der Angehörigen. Anders als im Krankenhaus ist die Pflegekraft hier zu Gast. Sie dringt in eine kleine Familie ein. Zugleich wird sie gebraucht, nicht nur von dem Kranken.

Ich gebe der Tochter das Abendbrot ihres Vaters, damit sie ihn füttern kann. Sie tut das gerne und taut dabei auf. Sie erzählt von früher, davon, daß ihr Vater nicht immer so schweigsam wie jetzt gewesen sei, „im Gegenteil, er hatte immer etwas Interessantes zu erzählen“. Herr Weber kommt aus einem Vorort von Berlin, wo er in seiner Jugend mit seinem Vater ein Fotogeschäft besaß. Der Krieg hatte sie gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben. Sie zogen in den Westteil der Stadt, wo der junge Herr Weber eine Anstellung als Fotograf in einer Firma fand. „Früher, mit seinem Vater und dem eigenen Laden, war er der König. Dann, als Angestellter, war er nur noch ein ganz normaler Familienvater“, sagt die Tochter.

Dann wird das Gespräch allgemeiner, wir fangen an, uns über die Russenmafia und die korrupten Berliner zu unterhalten. Herr Weber liegt auf dem Rücken und raucht. Vielleicht genießt er die Stimmen.

Nachdem die Tochter sich verabschiedet hat, läßt sich Herr Weber ohne Widerstand waschen und die Verbände wechseln.

Sonntag. „Frau Lober, zeigen Sie mir jetzt die Fotos von Ihren Kindern?“

„Jetzt nicht. Ich frühstücke.“

Heute wirkt Frau Lober reservierter als an den vergangenen beiden Tagen.

Sie ärgert sich darüber, daß sie kein Geld hat, obwohl ihre Rente 1.000 Mark beträgt. Sie sagt, ihr reiche das voll und ganz. „Die Frau von der Post will mir das Geld nicht geben. Das Zuckergeld – das sind 60 Mark, die mir von der Kasse gezahlt werden, weil ich zuckerkrank bin – hat sie auch schon unterschlagen. Aber die Schlampe nehme ich mir morgen vor. Und dann sind sie alle dran. Nach und nach sind sie alle dran.“

Etwas später erzählt Frau Lober wieder von Bruno, ihrem Sohn mit dem Klumpfuß. Sie gebraucht wieder dieselben Worte, bis zu dem Punkt, wo der Professor sie im Krankenhaus dabei erwischte, wie sie ihrem kleinen Sohn aus Mitleid mit einer Schere den Gips öffnen wollte. „Danach haben sie mir verboten, Bruno zu sehen. Zwei Jahre lang.“

„Zwei Jahre durften Sie Ihren Sohn nicht sehen, nur weil Sie versucht haben, seinen Gips zu öffnen?“

„Ja, genau.“

Hat sie wirklich alle Kinder ins Heim abgegeben, wie es ihr Sohn der Sozialstation gegenüber behauptet hat? Ich stelle sie nicht, diese Frage.

Es klingelt. Ein Mann („Ich heiße Nico. Ich bin schon 70.“) kommt zu Besuch. Er ist völlig betrunken, aber sehr freundlich. „Er ist ein alter Freund aus Holland“, sagt Frau Lober, die sich über den Besuch freut.

Frau Lober ist nun nicht mehr alleine. Gegenüber hat sie eine langjährige Freundin, „die Erna. Wir besuchen uns gegenseitig an Weihnachten. Zur Marianne habe ich gesagt, zu euch komme ich nicht mehr, du brüllst mir zuviel. Man muß reden mit den Kindern. Das geht nicht anders. Man muß reden mit den Kindern.“ Die beiden alten Frauen essen jetzt zu Abend.

Aus der Küche rufe ich, daß man hier allerhand Verschimmeltes wegschmeißen müsse. Nico kommt, um sich ein Messer zu holen. So, wie es hier aussehe, könne es ja gar nicht sein, daß Frau Lober Hilfe von ihren Kindern bekomme, sage ich zu ihm leise. „Ja, ja, so ist es“, flüstert Nico mir zurück.

Es ist ein empfindliches Thema. Ich sage zu dem Freund, daß es ein Problem sei, daß Frau Lober keine funktionierende Waschmaschine habe. „Ich kümmere mich darum“, sagt der Betrunkene und nimmt es sich vielleicht in diesem Moment wirklich vor.

Frau Lober hat etwas gehört und sagt energisch: „Nein, nein, Sabinchen kümmert sich darum. (Sie spricht von ihrer Schwiegertochter, der Frau des Bauleiters.) Sie holt die Wäsche ab, und bringt sie mir schrankfertig wieder. Sie kümmern sich rührend um mich. Sie ist wirklich anständig.“

Später frage ich die Witwe, ob Nico ihr Geliebter sei.

„Nein, nein, hier kommt kein Mann mehr rein. Das ist vorbei. Seit Drosbeck tot ist.“ Mit dem war sie 17 Jahre lang zusammen, nach dem Tod ihres Mannes. „Ja, mit Drosbeck war es besser. Ihn hätte ich heiraten sollen, dann hätte ich jetzt eine bessere Rente.“

Da ruft Willi, ihr Sohn, der Bauleiter ist, an. Sie unterhält sich mit ihm und erzählt ihm, daß ihr Geld noch nicht gekommen ist.

„Will Ihr Sohn vorbeikommen?“

„Es geht doch alles telefonisch. Es ist gut, daß ich das Telefon habe. Das ist sehr, sehr wichig. – Mein Bauleiter kümmert sich um mich. Und die Sabinchen. Sie sind wirklich rührend zu mir.“

„Frau Lober, ich gehe jetzt. Morgen kommt jemand anders. Wundern Sie sich dann nicht.“

„Nein, warum? Ihr seid doch alle nett zu mir.“

Herr Röber weiß nicht einmal den Namen der Krankenschwester, die täglich wochentags zu ihm kommt. Sein Kurzzeitgedächtnis ist praktisch nicht mehr vorhanden. Herr Röber hat auch kein Telefon. Dies macht ihn noch wehrloser. Laut Uwes Erzählung hat der letzte amtliche Betreuer – ein Diplompsychologe – von Herrn Röber sich um nichts gekümmert. Eines Tages hat er gekündigt, ohne dem Nachfolger irgendeine Information zu übergeben.

Die Korsakowkrankheit ist unheilbar und für jeden Pflegenden insofern deprimierend. Es gehört viel Selbstdisziplin dazu, jemandem, der wehrlos ist, tagtäglich sein Recht (auf Hilfe) zu geben. Es ist einfacher, aus Resignation zynisch zu werden und Herrn Röber um seine von der Krankenkasse bewilligten Leistungen zu betrügen. Wäre er in einem Krankenhaus nicht besser aufgehoben?

Ich mache ihm seine Brote. Dazu trinkt er zwei Becher Milch. Gesprächig ist er nicht. Vielleicht fragt er sich sogar, was der fremde Mann bei ihm will. (Alte, verwirrte Menschen wundern sich oft jeden Tag neu über den täglich wiederkehrenden Besuch. Aus dieser Sicht ist es eigentlich erstaunlich, mit welcher vertrauensvollen Freundlichkeit die meisten reagieren.)

Ich hänge die Wolldecke auf, die in der Maschine liegt. Auf dem Bett wird sie gleich wieder mit Urin getränkt werden. Ich wische den Fußboden im Badezimmer. Herr Röber sitzt mit gesenktem Kopf in der Küche und raucht. Ich laufe unentschlossen in der Wohnung hin und her. Als ich mich endlich verabschiede, wirkt Herr Röber erfreut. Er drückt mir kräftig die Hand. Diesmal bin ich keine ganze Stunde bei dem Patienten geblieben.

Herr Weber schläft wieder, als ich hereinkomme. Im Buch steht, er sei erst morgens um drei eingeschlafen. Bis dahin habe er geraucht und ferngesehen. Tagsüber kann man sich seine nächtlichen Unruhe kaum vorstellen.

Zufällig sehe ich in dem Stapel Zeitschriften auf der Kommode hinter dem Bett pornographische Magazine. Besonders scheint Herr Weber Frauen mit großen Brüsten („St. Paulis Dickies“) gemocht zu haben. Jetzt liest Herr Weber nichts mehr. Das Angebot, ihm etwas vorzulesen, lehnte er bisher jedesmal ab.

Seine Brille läßt er sich dennoch meistens geben, wenn er aufwacht. Ansonsten will er immer nur rauchen. Seine yogihafte Bedürfnislosigkeit ist phänomenal. Er hat keine Schmerzen und keinen Hunger. Er ist nicht traurig, er wünscht nichts, was er nicht bekommen kann. Er wünscht sich nur Zigaretten und Bier. (In der kaum benutzten Küche steht neben der hochkalorischen Astronautennahrung für Schwerkranke ein Sixpack Bierflaschen.)

Heute vormittag schläft Herr Weber tatsächlich durch. Der Fernseher läuft leise, damit der Pfleger des Sterbenden sich nicht langweilt. Wie lange wird es noch so gehen? Glücklicherweise dreht und wendet er sich von alleine häufig, so daß die Druckgeschwüre an den Oberschenkeln und Oberarmen nicht größer werden. Im Gegenteil, sie sind laut Pflegebericht dank neuer Verbandsmaterialien im Laufe der letzten Wochen sogar kleiner geworden – trotz zunehmender Ausgemergeltheit des Körpers von Herrn Weber. Diesmal läßt er es dämmernd (seine Augen sind geöffnet, aber er reagiert nicht auf Ansprache) über sich ergehen, daß ich ihm die Windel wechsle.

Von den drei Kranken an diesem Wochenende hat Herr Weber die wenigsten Probleme, obwohl er bald sterben wird. Eigentlich sind es nur die durchschimmernden Knochen, die Herrn Weber als einen Sterbenden erkennen lassen.

Der Autor Tim Köhler, 30 Jahre, ist Krankenpfleger und lebt in Berlin. Bei Rotbuch ist sein Buch Die Maschine kann nicht fühlen mit Krankenhausreportagen (Hamburg 1997, 144 Seiten, 16,90 Mark) erschienen.