Asbest ist überall

■ Die SPD-Fraktion fragt – die Behörde gibt sich zugeknöpft / Bremen ist Spitze bei Asbestose und Asbest-Lungenkrebs

Seit 1990 gibt es eine „Arbeitsgruppe toxische Baustoffe“in Bremens Stadtverwaltung, die die Öffentlichen Gebäude auf Asbest hin durchforsten und gegebenenfalls Sanierungsmaßnahmen veranlassen sollte. Auf eine förmliche Anfrage der SPD wurde jetzt die Bilanz öffentlich: 1.400 öffentliche Gebäude wurden in einem Asbestkataster erfaßt, davon waren nur 350 asbestfrei „oder sind durch Sanierungsmaßnahmen asbestfrei gemacht worden“. In 1.050 öffentlichen Gebäuden wurde Asbest festgestellt mit „Sanierungsdringlichkeit 2 oder 3“; das bedeutet: Die Fundstellen müssen regelmäßig kontrolliert werden, eine Gesundheitsgefährdung besteht allerdings nicht. Wenn etwa die Tür zum Heizungskeller asbesthaltig ist, der Raum aber nur gelegentlich durch den Hausmeister aufgesucht wird, dann besteht kein „dringender“Sanierungsbedarf. Oder wenn in Leitungsschächten die Stromleitungen asbest-ummantelt sind.

Immerhin 47 Gebäude aber stehen in der Sanierungsdringlichkeit auf Stufe 1 und: „Es wird die kurzfristige Sanierung eingeleitet“. Wer bei der zuständigen Behörde nachfragt, welche Gebäude das denn sind und welche Asbest-Fundstellen und wie „sofort“eventuell die die Sanierungsmaßnahmen stattfinden, der stößt auf eine Mauer des Schweigens: Da gibt es keinerlei Auskunft. „Das Thema Asbest ist nur in seltenen Fällen in der presse vernünftig aufbereitet worden“, sagt der zuständige Mann in der Baubehörde zur Begründung. Die „Gesamtschule West“stand ganz oben in der Liste, heißt es – die ist geschlossen und wird für über 40 Millionen Mark praktisch neu gebaut. Das „Haus des Reiches“steht auch auf der Asbest-Dringlichkeitstufe 1, aber wo da das Asbest gefunden wurde, das wird nicht verraten, um MitarbeiterInnen und Besucher nicht zu verunsichern.

Die SPD hatte in ihrer Anfrage nicht nach den am stärksten betroffenen Gebäuden gefragt, allerdings nach der Zahl der gemeldeten Asbestose- und Asbestkrebs-Kranken. Immerhin sind 40 Prozent der anerkannten Berufskrankheiten im Lande Bremen asbestbedingt, im Bundesdurchschnitt sind es nur 7 Prozent. Die detaillierten Zahlen der Berufsgenossenschaften und des Landesgewerbearztes bestätigen den Eindruck, daß in Bremen besonders große Asbest-Belastungen festzustellen sind. Die für die Hafenumschlagsbetriebe zuständige Berufsgenossenschaft verzeichnet 37 Prozent aller ihrer Asbest-Meldungen aus Bremen, die für den Schiffbau zuständige Berufsgenossenschaft immerhin 13 Prozent. Auch die frühere Asbest-Zement-Industrie in Bremen findet heute in den Statistiken der Berufsgenossenschaften ihren Niederschlag. Wobei nur ein kleiner Teil der Asbest-Erkrankungen förmlich als „Berufskrankheit“anerkannt werden; wer nicht nachweisen kann, daß er vor zehn und mehr Jahren mit Asbest gearbeitet hat oder wer, wie mancher Schiffbauer, damals im guten Glauben auch mal Asbest-Platten mitgehen ließ und privat verbaute, hat für seine Asbestose oder seinen Asbest-Krebs keinen Anspruch auf Anerkennung als Berufskrankheit. Viele Ärzte fragen zudem bei Vorliegen von Lungenkrebs nicht nach der beruflichen Vergangenheit des Patienten oder haben wenig Ahnung von Berufskrankheiten. Die Dunkelziffer von Menschen, die gar nicht ahnen, daß ihre Krankheit von diesem früher überall verwendeten Baustoff herrührt, ist auch aufgrund der langen „Latenzzeit“von 15-25 Jahren groß. Aus dem selben Grunde ist der Höhepunkte der Asbest-Folgen noch nicht überschritten. Erst 1980 sind aus der lange bekannten Gefährlichkeit der Asbest-Fasern Konsequenzen gezogen worden, seit 1990 gibt es eine neue Gefahrenstoff-Verordnung, nach der nur noch sehr geringe Asbest-Belastungen in der Atemluft toleriert werden – falls diese denn festgestellt wird. „Bis zum Jahre 2010“, so die Antwort des Senats an die SPD, sei „ein langsamer Rückgang“der Neuerkrankungen wegen früherer Asbest-Belastungen zu erwarten, bei Asbest-Krebs sei wegen der längeren Latenz-Zeit „eine Verminderung der Neuerkrankungen“erst nach dem Jahre 2020 „vorhersehbar“. Das wäre genau 40 Jahre nachdem die „intensive Asbestbelastung“an vielen Bremer Arbeitsplätzen gemindert wurde. K.W.