Gnadenschuß fürs Melodram

■ Die menschlichen Abgründe sind auch nicht mehr, was sie mal waren, da hilft auch keine Pilcher-Optik: „Jagdsaison“ (So., 20.15 Uhr, ZDF)

Natürlich hat niemand das Bedürfnis nach Melodramatik verloren. Im Alltag nicht. Und auch im Fernsehen nicht. Aber immer nur Pfarrer Fliege anschauen? Oder die alten Schinken mit Luis Trenker und ihrer Riefenstahl- oder Immenhof-Ästhetik? Klar waren die Bursch'n da noch Bursch'n, die Mad'ln Mad'ln und die menschlichen Abgründe tief wie ein Alpental. Doch ach, wenn der Berg ruft, ruft er heutzutage für gewöhnlich bloß nach dem Bergdoktor.

Nun aber wagten sich zwei Frauen (Brigitte Blobel, Buch; Karola Hattop, Regie) im Auftrag des ZDF an das „rührend-pathetische, triviale Drama, das Handlungen mit stereotypen Konstellationen der Hauptfiguren in vordergründiger Spannung (...) präsentiert“, wie das Melodram im Lexikon beschrieben steht. „Modern erzähltes Heimat-Melo“ heißt das Ergebnis im ZDF-Pressetext, doch von vordergründig trivialer Spannung kann in der „Jagdsaison“ keine Rede sein.

Nein, 1998 sind die Bursch'n zahme Naturschützer mit PC, die Mad'ln gefühlskalte Städterinnen; und ihr Vater, Graf von Loebenberg, ist nur scheinbar ein Mann in den besten Jahren. „Mein Wald! Meine Berge! Meine Hochsitze!“ sagt er. Und im gleichen Atemzug: „In Hongkong erschaffen sie die Welt jeden Tag neu, und hier soll alles bleiben wie vor hundert Jahren?“ Von Loebenberg muß es wissen, schließlich arbeitete der verwitwete Adelsfamilienvorstand jahrelang als Repräsentant eines Großkonzerns in der ehemaligen Kronkolonie.

Und von dort hat „der Herr Graf“ bei seiner Rückkehr in die Salzburger Berge Sin-Li mitgebracht (Viva-VJ Minh-Khai Phan- Thi spielt das Mitbringsel – und spielt es überraschend gut), und seit sie da ist, „die Konkubine“, wie die Dörfler sie zu Unrecht schimpfen, ist nichts, aber auch gar nichts mehr wie vor hundert Jahren. Aber das erfährt der Zuschauer erst am Schluß. Zuvor vertreibt der Film die Sendezeit mit hintersinnig oberflächlichem Geplänkel, bis sich unter der irritierenden Rosamunde-Pilcher-Optik endlich der Abgrund auftut, der den Verfall einer Familie besiegelt.

Doch die Pilchersche Adelei bestimmt lediglich die tragische Fallhöhe, denn eigentlich singt „Jagdsaison“ nur das alte Lied von der Familienzusammenkunft: lauter fremde, entfremdete Individuen, an Stammbaum und Stammschloß und den bösen Mythos von der heilen Welt gefesselt – mit Blutsbanden wie Bunjee-Gummis, allemal dicker also als Rotz und Wasser. Treffen sich zwei Schwestern. Sagt die eine: „Du hast mit meinem Mann geschlafen!“ Sagt die andere: „Wer hat ihn mir denn vor Jahren weggeschnappt?“ Nein, das ist nicht lustig, das ist in der „Jagdsaison“ nicht einmal mehr melodramatisch.

„Ein Gnadenschuß! Ein Gnadenschuß!“ schluchzt Sin-Li Minh- Khai Phan-Thi am Ende in die Bergwelt. Zu Recht, denn genau den haben Blobel und Hattop dem moribunden Genre versetzen können. Christoph Schultheis