Wildnis gratis oder Was kostet ein Löwe?

■ Reisepavillon 98: Schwerpunktthema Inszenierung und Vermarktung von Natur

Es war ein echtes Erlebnis, abends im Dunkeln und nach Kassenschluß durch den Zoo von Hannover zu stolpern und den Dschungelpalast zu suchen. Das exotische Gebäude steht in der Nähe der Elefanten, und die riecht man – wie jeder Zoobesucher weiß – von weitem. Der Schauplatz für die große Auftaktveranstaltung des diesjährigen „Reisepavillons“ ist märchenhaften Dschungelverhältnissen nachempfunden, mit dicken Mauern und mit Statuen rundum. Hinter verglasten Bogengängen im Inneren hocken, dekorativ ausgeleuchtet, possierliche graue Tempelaffen. Sie ignorieren uns. Und wir? Sprechen uns solche Inszenierungen an, muß Natur künstlich inszeniert werden, um Gäste anzulocken?

Für die Teilnehmer der großen Podiumsrunde „Künstlich...? Aber natürlich!“ stellen sich solche Fragen nicht. Zoodirektor Klaus Michael Machens ist sichtlich begeistert von seinem gelungenen neuen Gebäude. Und Robert J. Dogterom, dem wir jede Menge Gran Dorados, nämlich verglaste Spaßbäder in der schönen Landschaft verdanken, weiß: „Der Kunde will für einen Tag in eine andere Welt versetzt werden und zum Abendessen wieder zu Hause sein.“ Kein Grund, sich zu fragen, ob wir künstliche Welten nun wirklich wollen. Wenn man nur das „authentische Gefühl von Natur“ erzeuge, so könne das schon aus vielen Grünen besser sein als Natur pur, behauptet der Entwickler von Freizeitstätten, Siegbert Panteleit – und plädiert für mehr künstliche Kletterfelsen, damit sich Freizeitkletterer auch nach Feierabend im Free climbing üben können.

Die Umweltpädagogin Barbara Waldkirch hält dagegen. Echte Naturerfahrung habe eine „völlig andere Qualität“. Man verbinde sich mal die Augen und balanciere barfuß über einen Baumstamm. Was dann passiert? Ein sinnliches Erlebnis, so die Pädagogin, das bei alten Menschen sogar verschüttete Kindheitserlebnisse aktivieren kann. Mit Waldkirchs Didaktik läßt sich gewissermaßen die Naturferne kompensieren, die die Inszenatoren der künstlichen Welten vorantreiben. Daß sie dafür selbst Erlebnisse inszenieren muß, ist eine andere Seite. Sie bezeichnet dies als Animation.

Auch die Vertreter des „anderen“ Reisens, die nun zum achten Mal auf dem „Reisepavillon“ in Hannover für ihre Angebote warben, pflegen ein völlig unspektakuläres Verhältnis zur Natur. Es soll sanft und umweltverträglich sein. Und natürlich authentisch, vom Wandererlebnis bis zum Stammestanz in Indianerland. Dieses Jahr machten sie es zum Haupthema des Rahmenprogramms. Naturmarketing und Naturerlebnisprojekte, Schutzkonzepte und Umweltverträglichkeitsuntersuchungen wurden vorgestellt, man polemisierte gegen sanftes Reisen. Und natürlich auch, daß es Konflikte zwischen Naturschutz und Tourismus gibt, wurde thematisiert.

Doch Vermarktung muß sein, so der Tenor der zweiten großen Podiumsveranstaltung. „Touris- muß!? – Für und Wider der touristischen Vermarktung von Großschutzgebieten“. Denn gerade in die Naturidyllen der Deutschen, in ihre Wälder, ihre romantischen Naturlandschaften mit den Bächen und den Seen gehen die verschwiegenen Paddeltouren, die Ausritte per Pferd oder Kutsche, die „Slow Motion“-Reisen der sanften Anbieter. Gerade die besonders schöne Natur ist ihre Geschäftsgrundlage: weltweit geschützte Gebiete, in denen der Naturschutz Vorrang vor touristischen Funktionen haben sollte – und es im Normalfall nicht hat. Für sanfte Anbieter kann es gar nicht genug solchen gefälligen Grüns geben. In Monika Griefahn, niedersächsische Umweltministerin, fand sich auf dem Podium eine Fürsprecherin. Auch sie will mehr Nationalparks und verband dies mit einem Aufruf für mehr Umweltbildung. Schon der Arbeitsplätze wegen, die sich so schaffen lassen.

Die Naturvermarktung könnte in der Tat lukrativ werden, wenn nämlich Natur ökonomisch kalkuliert würde. Dominik Sigrist vom Züricher Alpenbüro rechnete einer kleinen Runde Interessierter penibel vor: Ein Löwe in einem afrikanischen Nationalpark bildet – in Geld übersetzt und auf einen Zeitraum von 15 Jahren bezogen – einen Mehrwert von 515.000 US- Dollar. Als Abschußobjekt für Trophäenjäger ist er 8.500 Dollar wert, und als Tierfell für einen einheimischen Wilderer nur 1.000 Dollar.

Doch im Prinzip, so Sigrist, ist die Wildnis gratis. Kein Land der Welt besteuert sie. Bezahlt wird bloß fürs tote Tier. Sigrist machte den kämpferischen Vorschlag, den ökonomischen Nutzen der Natur in unser ökonomisches System einzubauen. Was wäre, wenn jeder Tourist dafür dann ordentlich zur Kasse gebeten würde? Die Antwort ist einfach: Kostenwahrheit gegenüber der Umwelt. Und monetäre Abgeltung der Umweltschäden. Was Sigrist nicht sagte: Durch die weltweite Reisefamilie ginge dann sicherlich ein Aufschrei der Empörung. Denn dann würde das Reisen teuer werden, gewaltig teuer. Christel Burghoff