Eigenverantwortung rules o.k.

Paddy goes to Hollywood: Mit „Lebe lieber ungewöhnlich – A Life Less Ordinary“ versuchen die Macher von „Trainspotting“ das neue britische Erfolgsrezept weiter auszubauen. Amerikas Wüsten sind überwindbar, sogar die Liebe bekommt wieder eine Chance  ■ Von Thomas Winkler

Die Interviewsituation war programmatisch. Während die Hauptdarsteller auch einzeln zu haben waren, gab es die Filmemacher nur im Dreierpack. Dürfen wir bitten: die Herren Boyle, MacDonald und Hodge. Oder auch: Die filmische Entsprechung zu New Labour bittet zum Gespräch.

In Britannien wird wieder investiert, und der Aufschwung der englischen Wirtschaft läßt sich auch am Filmgeschäft ablesen. Mit 134 Filmproduktionen im letzten Jahr steht das Vereinigte Königreich wieder ganz oben unter den anderen filmproduzierenden europäischen Ländern. Regisseur Danny Boyle (40), Produzent Andrew MacDonald (31) und Drehbuchautor John Hodge (33) sind dafür mitverantwortlich, haben sie doch mit „Shallow Grave – Kleine Morde unter Freunden“ (1994) die Renaissance des britischen Kinos eingeleitet, ihr mit „Trainspotting“ kommerziellen und künstlerischen Erfolg verpaßt und wollen jetzt mit „Lebe lieber ungewöhnlich – A Life Less Ordinary“ den Mainstream angreifen.

„Shallow Grave“ war klassisch britisch. Ein düsteres Kammerspiel voll schwarzem Humor, eher Teatime und Miss Marple als Aufbruch zu neuen Ufern. Dann kam „Trainspotting“ und verzahnte zentrale Themen von New Labour so erfolgreich wie Tony Blair: Man stelle die soziale Frage, aber doch bitte mit Pop im Herzen. Auf dem Parteibuch steht zwar noch Sozialist, aber die Zeiten haben sich nun mal geändert. Während der neue Premier die Gallagher-Brüder und Richard Branson, Boß von Virgin Records, nach Downing Street No.10 einlud, kürzte er die Sozialhilfe für alleinerziehende Mütter und forderte mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung.

„Trainspotting“ zeigte zwar die Zweidrittelgesellschaft von unten, ohne allerdings jemals die revolutionäre Frage neu zu stellen. Heroinsucht war jedermanns privates Ding und schuld daran bestenfalls eine unglückliche Liebe. Ein kurzweiliger Edutainment-Happen, aber halt auch – zugegebenermaßen – der witzigste, aufregendste, am besten fotografierte, coolste, ideenreichste Film des Jahres 1996. Und der mit der besten Werbekampagne. Und einem klasse Soundtrack. Und finanziell erfolgreich. Selbst in Amerika. „Es ist im Moment tatsächlich ziemlich cool, britisch zu sein“, durfte MacDonald feststellen.

Cool, britisch und autonom

„Wir sind stolz darauf“, sagt der Produzent, „daß Trainspotting britisch finanziert ist, in Britannien herauskam und für Britannien gemacht worden ist.“ Und trotzdem 17 Millionen Dollar in den USA einspielte, immerhin. Aber darüber ist MacDonald noch heute ziemlich beleidigt: „Irgendein süßlicher Merchant-Ivory-Film macht 30 Millionen in den USA. Dafür kann man nur das amerikanische Publikum verantwortlich machen.“ Dann wurde Boyle die Regie für „Alien – The Resurection“ angeboten. Er lehnte ab, und das Trio akzeptierte statt dessen 12 Millionen amerikanische Dollar von 20th Century Fox, immerhin das Fünffache von dem, was „Trainspotting“ kostete, bei völliger künstlerischer Autonomie, um endgültig die USA zu erobern. „Die Macht von Hollywood nutzen“, nennt MacDonald das, „um einen Non-Hollywood-Film zu machen.“

Der Weg begann einmal in Schottland und endet nun erst mal in den berühmten amerikanischen Weiten. Niemals zuvor, erzählt Boyle, hat er soviel Mühe auf die Landschaftsaufnahmen verwand. In den Wüsten und Canyons um Salt Lake City herum hat er denn auch wunderbare Bilder eingefangen, aber eben Postkartenmotive, touristische Eindrücke, Bilder von Amerika, wie sie ganz naiv nur ein Europäer noch einmal filmen kann. Die Weite ist eine andere als zum Beispiel in „Fargo“, wo sie wüst und leer und apokalyptisch ist, wo sie aussieht wie eine Drohung vor dem Atomkrieg. Die Weite in „A Life Less Ordinary“ ist vollgestellt mit Autos, die der Weite das Unheimliche nehmen, indem sie sie überwindbar machen, voller Pflanzen, die ihr Hoffnung geben. Beides ist Amerika, nur von verschiedenen Seiten.

In England tun sie nur so, als könnte man mit etwas Ärmelhochkrempeln die Probleme in den Griff bekommen. In „A Life Less Ordinary“ bekommt sogar die Liebe wieder eine Chance. Wohlgemerkt nicht das, was man heutzutage so unter Beziehung oder Ehe abbucht, sondern die wahre, große, unvergängliche, vom Himmel fallende Liebe. Das, was Errol Flynn und Olivia de Havilland immer am Ende des Piratenepos irgendwie recht unerklärlich widerfuhr. Eigentlich ist „A Life Less Ordinary“ denn auch kein Film über die von Cameron Diaz gespielte verwöhnte Millionärstochter und Ewan McGregors schusseligen Kidnapper (Glauben Sie nicht alles, was sie sonst lesen!), sondern darüber, wie Liebe über uns kommt und warum das heute nicht mehr so recht funktioniert. Die eigentlichen Protagonisten sind Holly Hunter und Delroy Lindo als Engelpärchen, die zur Bewährung auf die Erde geschickt wurden, um Diaz und McGregor zusammenzubringen. Sollte es ihnen mißlingen, dürfen sie nicht in den Himmel zurück, wo Erzengel Gabriel den Laden mit neuem Leistungssystem rationalisieren soll, denn „ER will Ergebnisse“. Womit wir wieder beim Eigentlichen sind: Glauben Sie nicht, das hier sei nur ein Märchen!

Ganz altmodischer Modernismus

Boyle, der in der heiligen Dreifaltigkeit als Kumpel-wie-Sau den Kitt abgibt zwischen dem geschäftstüchtig-gesprächigen MacDonald und dem schüchternen Hodge, hat seinen Schauspielern vor den Dreharbeiten zur Inspiration zwei Filme gezeigt. In „Irrtum im Jenseits“ von 1947 kämpfte David Niven gegen himmlische Bürokraten, und in „Es geschah in einer Nacht“ (1934) gab Claudette Colbert die verzogene Millionärsgöre. Man kann beide Filme leicht in „A Life Less Ordinary“ entdecken, aber vor allem kann man den Drang zu einem eigentlich ganz altmodischen Modernismus finden. Was eben das Fortschreiben des Thatcherismus mit den Mitteln von New Labour heißt. Und wie in jeder guten konservativen Partei macht Einigkeit stark. „Der geniale Einzelkämpfer ist eh ein Mythos“, so MacDonald. Das Team, darauf legen die drei Wert, besteht nicht nur aus ihnen. Masahiro Hirakubo (Schnitt), Brian Tufano (Kamera) und Kave Quinn (Ausstattung) waren auch schon bei den ersten beiden Projekten mit von der Partie. Und Einigkeit macht billig. „Produziert von einem US- Studio, hätte er leicht 20 statt 12 Millionen Dollar gekostet“, meint MacDonald. „Wir haben uns entschieden, lieber die Kontrolle zu behalten. Wir zahlen uns weniger, als wir anderswo bekommen könnten, aber dafür haben wir Anteile daran, wenn der Film erfolgreich wird.“ Eigenverantwortung rules o.k. in New Britain.

Mit „A Life Less Ordinary“ soll erklärtermaßen in Bereiche vorgestoßen werden, die Independent- Produktionen sonst verwehrt bleiben. „In Britannien“, schnaubt MacDonald verächtlich, „tendieren alle dazu, in kleinen Maßstäben zu denken.“ Zum Masterplan gehörte auch, aus dem ständigen Leading Man McGregor, der schon in den beiden ersten Filmen Hauptrollen spielte und mit Rentons Tauchfahrt durchs Klo weltberühmt wurde, einen Star gemacht zu haben. Nun spielt er in den kommenden „Star Wars“-Prequels den jungen Obi-Wan Kenobi. Zum Masterplan gehörte auch, einen Film zu machen, der, so McGregor, „nur so tut, als sei er eine romantische amerikanische Mainstream-Komödie“.

Solch ein Film muß denn auch wesentlich konservativer gefilmt sein als „Trainspotting“, und vor allem, sagt Boyle, „in erster Linie von den Schauspielern getragen und transportiert werden, denn nur Schauspieler können dich über diese 25-Millionen-Grenze bringen, weil ein größeres Publikum eine emotionale Verbindung zu den Schauspielern braucht.“ Die Zeit des europäischen Arthouse-Films ist vorbei, der Regisseur als Star hat ausgedient; große Monomanen bekommen nicht mehr die Kontrolle (Coppola) oder floppen sowieso (Wenders). „Die Zeiten ändern sich“, sagt MacDonald. Er muß es wissen, er ist der Produzent.

Dabei ist den dreien ohne Zweifel wieder mal ein wunderschöner Film (natürlich auch diesmal inklusive einfallsreicher Werbekampagne und knalligem Soundtrack) gelungen, ein unheimlich romantischer Film, ein sehr guter Film vielleicht sogar, wenn auch mit einigen Längen. Nur halt nicht so genial, als daß nicht überall schon die Messer gewetzt würden. Man wartet nicht darauf, daß die Wunderkinder einbrechen. Man weiß: Nach „Trainspotting“ müssen sie einbrechen. In den USA waren die Kritiken nicht vernichtend, sie waren so unter der Gürtellinie, als würde man die Konkurrenz aus Übersee tatsächlich fürchten.

„A Life Less Ordinary“. Regie: Danny Boyle. Mit Ewan McGregor, Cameron Diaz, Holly Hunter, Delroy Lindo, Ian Holm u.a. GB 1997, 104 Min.