Arbeitslose gehen vor die Arbeitsämter

■ Mehrere Initiativen rufen für den 5. Februar zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Unterstützung auch durch die Gewerkschaften. Arbeitslose und Mitarbeiter von Arbeitsämtern halten neue Meldepflicht

Berlin (taz) – Die Reaktionen auf schwindelerregende Arbeitslosenzahlen waren bisher eher dürftig; jetzt soll sich das ändern. Initiativgruppen rufen – unterstützt von den Gewerkschaften – zu einem großen Aktionstag am 5. Februar auf: Arbeitslose, die die Arbeitsämter mit ihren Bewerbungsschreiben tapezieren, ihre Schlafsäcke gleich mitbringen und die mit Trommeln „für das richtige Tammtamm“ sorgen – das sind die Visionen der Funktionäre.

„Die Regierung macht Gesetze gegen Arbeitslose statt gegen Arbeitslosigkeit“, heißt es in einem Aufruf zum Aktionstag. Und Mitinitiator Uwe Kantelhardt von der Bielefelder Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen sagt: „Außer Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose fällt denen nichts ein. Aus Bonn kommt nur Schikane.“ Die Koordinierungsstelle, der 900 Initiativen bundesweit angehören, will jetzt allmonatlich pünktlich zur Bekanntgabe der neuen Arbeitslosenzahlen vor den Ämtern protestieren. Im September soll die Aktion dann in einer großen Demo in Berlin gipfeln.

Unvermeidlich ist der Verweis auf die Arbeitslosenproteste in Frankreich – die dortigen Schicksalsgenossen gehen schon seit Wochen auf die Straße, hier blieb es bisher ruhig. Man wolle sich endlich mit den Franzosen solidarisieren, heißt es im Aufruf. Jetzt verständigen sich die bisher untereinander zerstrittenen Arbeitsloseninitiativen sogar mit den Gewerkschaften. Den Aufruf zum Aktionstag haben unter anderem die ÖTV, die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, die IG Medien und der DGB Sachsen unterschrieben.

Selbst aus den Arbeitsämtern wird vorsichtige Sympathie laut. Im Zentrum der Kritik stehen hier wie bei den Arbeitslosen selbst die vierteljährliche Meldepflicht und die Vorschrift, überzeugende eigene Bewerbungen nachzuweisen.

„Wir wollen Arbeitslosigkeit nicht verwalten, sondern beenden“, sagt Werner Schickentanz, Direktor des Bielefelder Arbeitsamtes. „Die neuen Regelungen bedeuten eine erhebliche Mehrbelastung; wir müssen hausintern Gewichte verschieben, um nicht ganz von bürokratischen Vorgängen abhängig zu werden.“ Uwe Kantelhardt wird deutlicher: „Da wurden unsinnige Dinge verfügt. Inzwischen ist die Arbeitssituation in den Ämtern unerträglich, darum hoffen wir auf die Unterstützung der Mitarbeiter.“ Dafür sieht er schon erste Anzeichen.

Auch einzelne Parteien haben inzwischen inoffizielle Unterstützeradressen an die Initiativen geschickt. „Wir wollen uns wie die Gewerkschaften parteipolitisch heraushalten“, sagt Kantelhardt zwar. „Aber in Hinsicht auf die Bundestagswahl haben die Arbeitslosen schon bestimmte Forderungen: Arbeitszeitverkürzung und bessere soziale Absicherung. Der Kohl muß weg. Und der Blüm muß auch weg.“

Konkret fordern die Arbeitsloseninitiativen die Abschaffung von Meldepflicht und Bewerbungszwang. Das Arbeitsförderungsreformgesetz diszipliniere Arbeitslose und fördere nur schlecht bezahlte Arbeit, schaffe aber keine einzige Stelle, heißt es im Aufruf: „Wir brauchen eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik und existenzsichernde Löhne.“

Wie groß der Protest am 5. Februar wird, kann noch niemand sagen. „Vielleicht werden es vor jedem Arbeitsamt 15, 50, 100 oder sogar mehr Leute sein“, meint Kantelhardt. In manchen Städten hoffen die Veranstalter auf mehrere hundert Teilnehmer; ein gedämpfter, wütender Optimismus ist spürbar. Kantelhardt: „Man ist zusammengerückt in den letzten Jahren. Früher hätten wir den Aktionstag lange diskutiert, jetzt ist die Entscheidung in wenigen Stunden gefallen.“ Sascha Borrée