„Ein Mensch wie ich, grob, gedunsen“

■ Theaterregisseur Einar Schleef erhält für sein kurioses Textmonstrum „DrogeFaustParsifal“heute den Bremer Literaturpreis verliehen / Der Förderpreis geht an die in Köln geborene Lyrikerin Brigitte Oleschinski

Einar Schleef ist verschroben, pathetisch, sperrig. Sein 500-große-zähe-Seiten-Schinken „DrogeFaustParsifal“ist – na logisch – verschroben, pathetisch, sperrig. Irgendwie aber auch genial!? Na ja, zumindest imponierend ob seines riesengroßen Ernstes, seiner aufrichtigen Rackerei: „Wer immer strebend sich bemüht...“– ach, lassen wir uns von Einar Schleefs enormen Zitierwut nicht auch noch anstecken. Immerhin kann man dem anstrengenden, nicht immer verständlichen Buch

Verschroben genial

eines nicht absprechen: Daß es alle grassierenden Vorurteile über modernes Regietheater in denkbar krassester Form widerlegt, ein für alle Mal – eine Pioniertat! Keine Ehrfurcht vor der Tradition? Im Gegenteil, Schleefs Meisterwerkekanon ist auf fast anstößige Weise klassizistisch: die Antike, Brecht, Faust, Götz von Berlichingen, Schillers Räuber, Hauptmann, Freischütz, Wagner, Heine, der Pianist Horowitz, Eichendorffgedichte – und die Bibel. Kein Werner Schwab, keine Sigurd-Comics,

Rührend unzeitgeistig

Doors-Texte oder Perry Rhodan – und wenn doch einmal ein Film erwähnt wird, dann nur klassisch auf der Zunge Zergehendes, Bunuel; eben keine postmodern-flippige Von-mir-und-niemand-anderem-Raritätensammlung. Erster Schock also: Schleef ist rührend unzeitgeistig.

Regietheater als Vergewaltigung der Textvorlagen? Wenn Schleef mit etwas nervt, dann ist es nicht Ignoranz, sondern die Zähigkeit, mit der er sich im Erbe verbeißt, seine Hypersensibilität mit der er wechselnde Szenenbeleuchtungen, rhythmische Verschiebungen oder die wandelnde Verwendungen irgendeiner Kelch-Metapher abschmeckt, den unterschiedlichen Einsatz des Wortes „zwar“im Faust bzw. in den Römischen Elegien ergründelt – oder die verschiedenen Betonungen des Wortes „tief“bei Eichendorff. Schleef, der Pedant (ob das nun eine gute oder schlechte Eigenschaft ist?). Es ist

Schleef, der Genauigkeitsfanatiker

herrlich absurd: Der Mann, der dafür berüchtigt ist, daß er – angeblich – allem und jedem, passend oder unpassend chorisches Gebrüll und matrialische Aufmärsche willkürlich aufpropfen würde, gerade er geißelt die herrschende Inszenierungspraxis als ungenau und unauthentisch: Heute – schlimmschlimm – würde man Wagners Anweisungen mißachten, die vor den Gesangsproben Sprechproben fordern. Deshalb sei in Boulezs hochgerühmten Ring zuwenig Artikulation und rhythmische Durchdachtheit. Knappertsbuschs zweite Ringaufnahme dagegen.... Zweiter Schock: Einar Schleef nimmt noch das letzte Präpositionalattribut ernst.

Aber was ist „DrogeFaustParsifal“eigentlich? Es ist, nach Nietzsches „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“und Benjamins „Ursprung des deutschen Trauerspiels“, vielleicht die erste hegelianische, dialektikverliebte, philosophische Mehr-als-nur-Theatergeschichte. Brutal kotz

Dialektikverliebt

brocken-apodiktisch schon die ersten Sätze: „Die deutsche Klassik nährt sich aus 2 Quellen, aus den antiken Tragödien und den Stücken Shakespeares. Sie versucht Shakespeares Individualisierung mit dem Chor-Theater der Antike zu verbinden.“Wumm. „Da Wagner wiederum keinen Erben finden konnte ..., übernimmt Hauptmann die Stafette...“Da waltet Weltgeist, und der fließt wie er fließt – Begründungen überflüssig.

Weil Schleef von Beruf Regisseur ist, leitet er aus dem Durchdeklinieren des Verhältnisses von Chor und Individuum, kollektivem Rausch und individueller Zerrissenheit, natürlich Vorschläge (ach was, Befehle!) für eine zeitgemäße Regie ab. Das Buch ist also auch eine Dramaturgie, „der Versuch, gegen die deutschen Klasiker den antiken Chor-Gedanken zu beleben, die Rückführung der Frau in den zentralen Konflikt zu erreichen, die mit der Rückführung des tragischen Bewußtseins gekoppelt ist...“Jaja, Schleef ist Feminist. Das Buch ist als Drittes auch noch eine Autobiographie. Erlebnisse des Autors werden dabei als Beleg-, Überzeugungs-, Denkmaterial eingesetzt, – ein bißchen so wie die vielen kontextanreichernden Novellen in Goethes Wilhelm

Schleef, der Feminist

Meister. Schleef geht es also nicht um seine Person um ihrer selbst willen. Übrigens ist der gerne befrackte Mann ziemlich uneitel und richtig mutig in der Preisgabe von Verletzungen und Beschädigungen. Er leidet höchstens am einschlägigen Künstlerverfolgungswahn: Und dieser interpretiert Ablehnung noch immer als Beweis der politischen Brisanz der eigenen Sache.

„DrogeFaustParsifal“ist also eine Grenzüberschreitung zwischen Theorie und Praxis, Kunstwerk und Kritik im erzromantischen Schlegelschen Sinn. Logischerweise ist es auch ein Bekenntnis zur fragmentarischen Form. Wie die besten Literaturwissenschaftler sucht Schleef Brücken zu schlagen zwischen messerscharfer Detailbeobachtung und Gesellschaft, zwischen Besonderem und Allgemeinem. Nur: Im Gegensatz zu einem Hans Mayer etwa erscheinen Schleefs Spagate oft als Verrenkungen. Das hat zwei Gründe: er ist nicht der allerbeste Vermittler seiner Sache. Oft kapiert man erst nach langem Nachdenken, was er überhaupt meint, sprich, seine Formulierung ist komplizierter und mysteriöser als eigentlich notwendig. Außerdem sind seine theoretischen Schlüsse motiviert durch Privatobsessionen. Das pentetrante Aushorchen irgendeines „Sprachsogs“über Zeilenenden und Interpunktionen hinweg zum Beispiel, verdankt sich Schleefs Kampf mit dem eigenen Stottern.

Von privaten Obsessionen getrieben

Aber sein Buch verbirgt dieses obsessive Fundament allen Nachdenkens eben nicht. Überhaupt ist Schleef eine Oliver Sacks-Figur: Einer, der seine Defizite und Beschädigungen kompensiert durch wundersame Fähigkeiten; fast wie Dustin Hoffmanns autistisches Zahlengenie Rainman. Sensible Verklammerungen zum Beispiel zwischen einer unscheinbaren U-Bahn-Szene und Parsival zeigen den – manchmal verdrehten – Genauigkeitsfetischisten.

Schleefs Literatur-Vernarrtheit ist bewunderungswürdig, sein Buch halb nervig halb faszinierend. Behauptungen über Schleef, egal ob in Theater heute oder von Sigrid Löffler, mißtraut man nach der Lektüre gewiß.

Der Förderpreis

Am Ende sei noch vermerkt: Den Förderpreis erhält die 1955 in Köln geborene Lyrikerin Brigitte Oleschinski für ihren schmalen Gedichtband „Your Passport is Not Guilty“. Ein verstörende, bisweilen intellektuell gezwungene, zuweilen aber auch aufwühlende Auseinandersetzung mit der Lebensituation heimatloser, vertriebener, unerwünschter Menschen. B. Kern