Angst vor einer Militäraktion im Kosovo

In der serbischen Provinz nehmen die Spannungen zwischen Albanern und Serben zu, seitdem sich die mysteriöse Untergrundorganisation UCK gelegentliche Schießereien mit der Polizei liefert  ■ Aus Drenica Erich Rathfelder

Am vergangenen Donnerstag wurde das mehrheitlich von Albanern bewohnte Dorf Prekazi im Kosovo Schauplatz eines serbischen Polizeieinsatzes. Augenzeugen zufolge drangen die Polizisten am frühen Morgen in den Ort ein und umstellten das Haus von Sabani Murati, eines 75jährigen Bauern, um ihn festzunehmen. Es kam zu einem Feuergefecht. Dabei wurden zwei 20 und 26 Jahre alte Frauen verletzt. Am Abend des gleichen Tages wurde die Leiche von Husein Madioli aus dem Dorf Donije Klime gefunden. Und am nächsten Tag starb der serbische Regionalpolitiker Desko Vasić, nachdem Schüsse auf sein Auto abgegeben wurden.

Die drei Vorfälle ereigneten sich in Region Drenica, zwischen Pec und Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, gelegen. Hier manifestieren sich in besonderer Weise die Spannungen zwischen der albanischen Bevölkerungsmehrheit – fast 90 Prozent der über zwei Millionen Einwohner des Kosovo sind Albaner – und den Serben. Weil es hier vereinzelt zu bewaffnetem Widerstand kam, mehren sich in den Dörfern die Zwischenfälle mit der serbischen Polizei. Die Jahre des passiven Widerstandes in der – je nach Lesart – serbischen Provinz Kosovo oder der nicht anerkannten Republik gleichen Namens scheinen zumindest in Drenica dem Ende zuzugehen.

Nachdem das serbische Parlament 1990 das Autonomiestatut für Kosovo abgeschafft hatte, bildete sich ein regelrechtes Apartheidsystem heraus. Die überwiegende Mehrheit der albanischen Staatsbediensteten, der Fabrikarbeiter, der Polizei, der Ärzte, Krankenschwestern, Professoren und Lehrer mußten ihren Dienst quittieren. Alle öffentlichen Einrichtungen werden seither nur von den rund 250.000 alteingesessenen Serben, den 50.000 Mann Polizei aus Serbien und Montenegro sowie den Armeeinheiten, die hier stationiert sind, genutzt.

Die Albaner begegneten dem mit dem Aufbau eigener Strukturen. Sie organisierten Untergrundschulen und Krankenhäuser, eine albanischsprachige Universität, Theatervorstellungen und Konzerte, eine eigene Wirtschaft und einen eigener Staat. Seit 1992 fungiert als Präsident (der Albaner) des Kosovo der Schriftsteller Ibrahim Rugova, ein liberaler, überlegter, für Demokratie und Menschenrechte eintretender Mann (siehe Interview). Und es entstand ein neues Selbstbewußtsein.

Die Arroganz serbischer Polizisten, die tägliche Entwürdigung durch Kontrollen, willkürliche Verhaftungen, Schläge und Folter, durch die Situation der Rechtlosigkeit, ist für viele unerträglich geworden. „So wollen und können wir nicht mehr leben.“ Das ist in diesen Tagen der meistgesprochene Satz in Pristina, Pec und den unzähligen Dörfern.

Auch in Drenica. In der Nähe der Dörfer Lausha und Srbica kam es am 26. November zu einem der üblichen Gewaltakte der serbischen Polizeikräfte. Sie schossen auf die Schule für albanische Kinder in Lausha. Halit Gecaj, ein Lehrer, wurde getötet und ein anderer verletzt. Als bald darauf 10 gepanzerte Transporter serbischer Sicherheitskräfte in einen Hinterhalt gerieten und beschossen wurden, herrschte in den umliegenden Dörfern verhaltene Freude. Und als sich bei der Beerdigung des Lehrers maskierte Untergrundkämpfer zeigten, wurde dies mit Beifall aufgenommen. Die serbische Polizei traute sich nicht mehr in das Gebiet. Der Mythos der UCK, der „Befreiungsarmee des Kosovo“, war geboren.

Die serbischen Polizisten haben sich seither aus rund 30 Dörfern zurückgezogen. Kämpfer der UCK kontrollieren nachts die Straßen. Doch es stimmt manche Albaner mißtrauisch, daß bei dem Feuergefecht Ende November kein serbischer Polizist zu Schaden kam. Und daß es sich bei den seit Sommer 1996 im Namen der UCK erschossenen „Kollaborateuren“ – inzwischen wurden 25 Anschläge gezählt – fast ausschließlich um Albaner handelt, zumeist um Mitglieder der Sozialistischen Partei Serbiens. „Es handelt sich bei der UCK um serbische Provokateure,“ erklären Rugova und die Mitglieder seiner „Demokratischen Liga des Kosova“ immer wieder klipp und klar.

Die Sorge, bewaffnete Aktionen der Albaner kämen den serbischen Autoritäten wie gerufen für eine großangelegte Militäraktion, ist jedoch auch in den Dörfern Drenicas anzutreffen. Nachts schauen wachsame und ängstliche Augen auf die Straßen. Niemand möchte dem Klopfen antworten.

Schließlich öffnet ein Bauer die Tür. Nachdem er sich davon überzeugt hat, daß es sich bei den Besuchern um Ausländer handelt, ruft er seine Nachbarn. Alle Leute hätten jetzt Angst, sagen die Männer. Trotz der Unterdrückung dürften sich die Albaner nicht zu unbedachten Aktionen hinreißen lassen. „Aber weiterleben wie bisher können wir auch nicht, es muß sich etwas ändern.“ Die Frage, ob sie die UCK unterstützen oder ablehnen, wollen sie nicht beantworten.

Die Chance, die Bewaffneten der UCK zu treffen, bietet sich nur nachts. Nach einer Weile des Wartens mit laufendem Motor am Straßenrand, an jener Stelle, wo im November die Schüsse fielen, nähert sich ein Auto. Zwei mit Kalaschnikows bewaffnete Gestalten tauchen auf. Als sie feststellen, daß es sich um Journalisten handelt, werden die Waffen wieder gesichert. „Wir geben keine Interviews. Nur unsere Führung kann darüber entscheiden“, sagt einer der beiden. „Fahren Sie weiter.“