Bitte, bitte: Keine Telefonsex-Protokolle

■ Am Dienstag wird Bill Clinton vor dem amerikanischen Kongreß zur Lage der Nation sprechen. Für die taz ein Anlaß, sich an den skandalgeschüttelten Präsidenten, die Abgeordneten und das Volk zu wenden

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrter Sprecher des Repräsentantenhauses, SenatorInnen und Abgeordnete, liebe Amerikanerinnen und Amerikaner,

wir wenden uns zwar selten direkt an Sie, aber bevor Sie nun in der Staatsdebatte über Telefon- Sex, oralen Sex und präsidialen Sex völlig die Orientierung verlieren, wollen wir Ihnen unsere – hoffentlich hilfreichen – Gedanken nicht vorenthalten. Zugegeben: Unser Verhältnis war und ist eher gespannt, was Sie, werte Amerikanerinnen und Amerikaner, vermutlich weniger beschäftigt als uns Linke in Deutschland, die wir uns ausdauernd an god's own country abarbeiten können. Aber wir haben auch gerne einiges von Ihnen übernommen – zum Beispiel die Frauenbewegung samt ihrer Überzeugung, daß das Private politisch sei. Ursprünglich bezog sich dieser Grundsatz auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wozu natürlich auch deren geschlechtliche Aktivitäten gehören. Doch nach unserer bescheidenen Einschätzung konzentrieren Sie sich seit einiger Zeit viel zu sehr auf letztere, wenn es um Politiker geht. Wir schlagen Ihnen folgendes vor: Sie entfernen für ein paar Tage aus dem Weißen Haus alle Abhöranlagen, Videokameras und Kassettenrecorder, lassen das Gebäude von Christo einbruchsicher verpacken – und geben dem Ehepaar Clinton drei, vier Tage Zeit, die Sache auszudiskutieren. Eventuelle Schäden am Mobiliar werden aus der Wahlkampfkasse der Demokraten ersetzt.

„Halt“, werden Sie vielleicht sagen, „wenn er gelogen oder andere zum Lügen angestiftet hat, dann ist das keine private Sache, sondern ein politische.“ Mit Verlaub, werte Freundinnen und Freunde jenseits des Atlantiks, unser Regierungschef, der Bundeskanzler, hat über Monate steif und fest behauptet, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, und andere angestiftet, diese Lüge zu wiederholen. Das Problem ist, daß ihm niemand diese Aussage unter Eid abgenötigt hat, sonst würden wir uns jetzt gerne ihren Sonderermittler Kenneth Starr ausborgen.

Womit wir bei „Watergate“, der Mutter aller Skandale, angekommen wären. Wie haben wir sie bewundert, die beiden Reporter der Washington Post, Bob Woodward und Carl Bernstein alias Robert Redford und Dustin Hoffman. Durch sie wurde investigativer Journalismus erstmals sexy. Bloß ist es mittlerweile egal geworden, was man mit seiner investigativen Nase aufspürt – Straftaten, vermeintliche Verstöße gegen ethische Prinzipien oder die Bettwäsche anderer Leute. Aufgedeckt ist aufgedeckt. Davon profitieren vor allem die Hersteller von Mikrofonen, Wanzen und kleinen, leicht zu versteckenden Tonbandgeräten. „Entschuldigen Sie, ich muß mich kurz auf der Toilette frisch machen“ – in Washingtoner Bars und Restaurants heißt das heute soviel wie: „Sorry, ich muß mal die Kassette wechseln.“

Verstehen Sie uns nicht falsch, liebe Amerikanerinnen und Amerikaner. Es ist nicht so, daß wir Bill Clinton für einen feinen Kerl halten. Wir haben einiges an ihm auszusetzen – etwa seine Befürwortung der Todesstrafe oder seine Sozialpolitik. Im Nahost-Friedensprozeß hat er stark nachgelassen. Und das Säbelrasseln gegenüber dem Irak zeugt auch nicht gerade von außenpolitischer Weitsicht. Aber die Vorstellung, daß Saddam Hussein gerade die Tonbandprotokolle von Linda Tripp und Monica Lewinsky verschlingt und sich die Beschreibungen der Weichteile des amerikanischen Satans ins Arabische übersetzen läßt, macht uns nicht froh. Möglicherweise erkennen ja einige unter Ihnen, daß die einzig übriggebliebene Supermacht gerade zum Gespött wird, und ziehen die Notbremse. Wir legen wirklich keinen Wert darauf, demnächst irgendwelche Telefonsex-Protokolle zwischen Bill und Monica zu lesen.

Zuletzt ein Wort an den Präsidenten. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, bekam Frau Lewinsky den Job als Praktikantin im Weißen Haus auf Empfehlung eines Gönners Ihrer Partei, der als Gegenleistung für einen üppigen Spendenscheck bereits eine Nacht in Abraham Lincolns Schlafzimmer im Weißen Haus verbringen durfte. Unser Rat, Mister President: Seien Sie bei der Belegung Ihrer Betten etwas vorsichtiger.

God bless America

Für die taz Andrea Böhm