Europa, emotionalisiert

■ Kolumbianische Klaviermusik im Überseemuseum

Sollübererfühlung: Es war kein elegantes Kleid, in dem Teresita Gòmez auf die Bühne schwebte, es war prächtigste Haute Couture aus schwarzem Tüll und Schmuckbordüren mit großen glitzernden Steinen. Die Klavierprofessorin aus Medellìn kam auf Einladung vom Instituto Cervantes und der kolumbianischen Botschaft, um den Bremern Einblicke in die E-Musik Kolumbiens zu gönnen. Zu hören waren dann ziemlich viele europäoide Klänge, im Spiegel des fremden Kontinents: Auch für die Selbsterkenntnis ziemlich interessant. Groß muß der Eindruck gewesen sein, den die Kolonisatoren auf kolumbianische Komponisten machten. Viele von ihnen lernten ihr musikalisches Handwerk in Frankreich und Deutschland. So hört man eine Menge Chopin, Schubert und die französischen Impressionisten mitschwingen; wenig dagegen Bach, Beethoven, Brahms, Hindemith. Romantische Zerrissenheit hat es den Lateinamerikanern offenbar besonders angetan. Allerdings wird die westeuropäische Kunstsprache von den „Fremden“mit größerer rhythmischer Prägnanz, melodischem Schmelz und harmonischem Saft gesprochen, ganz ähnlich wie im Spanien eines Isaac Albeniz oder Manuel de Falla, nur eben anders, kolumbianisch. Bei dieser Emotionalisierung ist es nicht verwunderlich, wenn Teresita Gómez von der „emotionaleren“Stimmung in kolumbianischen Konzertsälen erzählt.

Noch tauchen in unseren Konzertarenen nur Stücke des Brasilianers Villa-Lobos und des Argentiniers Alberto Ginastera auf. Gomez macht hörbar, daß daneben gut und gerne die Namen Gonzalo Vida, Luis Calvo, Adolfo Mejia, Moisés Moleiro und andere stehen könnten. Nach dem Höreindruck würde man sie zeitlich am Ende des letzten und am Anfang dieses Jahrhunderts lokalisieren. Doch sie komponierten als hierzulande längst Atonalität state of the art war. Die Phasenverschiebung ist beträchtlich. Übrigens müssen die kolumbianischen Komponisten auch in ihrer Heimat erst noch promotet werden. Noch bilden Bach und Mozart das Hauptprogramm eines Konzerts, Vidal und Moleiro eher die Zugabe. In den letzten 15 Jahren allerdings gewann man allmählich Geschmack am Eigenen.

Der Publikums-Run auf Studentenkonzerte an ihrer Universität nimmt zu, erzählt Frau Gomez. E-Musik ist nicht mehr ausschließlich Sache einer upper class. „Allerdings interessieren sich Menschen, die hungern, nach wie vor nicht für Mozart.“In Kolumbien gibt es angeblich auch eine atonale Avantgarde. Die mag aber niemand hören. Ganz wie bei uns. Der Phasenunterschied ist verschwunden, wunderbar. B.Kern