"Ach, das soll Kunst sein?"

■ Studenten der Hochschule der Künste irritieren mit "Bahnhofs-Signalen" Passanten am Bahnhof Zoo. Die Besucher werden fotografiert und finden in den Schließfächern wuscheliges Fell vor, das sich bewegt

Szenen am Bahnhof Zoo: Eine elegant angezogene Frau mit Koffer eilt auf die Schließfächer zu, stoppt abrupt und starrt bestürzt auf die Fächer. In sechs der Fächer ist ein braunes, wuscheliges Fell zu sehen, das sich bewegt. Hunde? Sie zieht sich mit ihrem Koffer verunsichert zurück. Ein Mann in schwarzer Lederjacke, der bisher am Rand gestanden hat, geht auf sie zu, erklärt ihr etwas. „Ach, Kunst ist das!“ ruft die Frau erleichtert aus.

Seit vergangenem Dienstag bringen 20 Studenten der Hochschule der Künste (HdK) Kunst in den hektischen Alltag des Bahnhofs Zoo. Sie machen „Bahnhofs- Signale“, denn so heißt ihre Ausstellung. Heute sind die 19 Projekte, die unter Anleitung der Professorin Herta Schönewolf entstanden, zum letzten Mal zu sehen.

Auf die Felle, die aus Menschenhaar bestehen und von darunter liegenden Maschinen bewegt werden, reagieren die Leute am stärksten. „Tierquälerei“, entrüsteten sich viele und alarmierten „viermal täglich die Kripo und den Tierschutzverein“, sagt der Künstler Marc Pätzold. Beschwerden bekommt die Bahnhofsverwaltung immer noch. Als Bundesinnenminister Manfred Kanther S-Bahn fuhr, hat das Bahnhofsmanagement das haarige Kunstwerk vorsichtshalber für einen Tag untersagt.

Begeisterung schlägt dagegen einem Projekt entgegen, bei dem in einem Raum Menschen fotografiert und die Fotos auf vier Flächen hinter einer Glasscheibe projiziert werden. Hunderte verschiedener Menschen sind auf immer dem gleichen Hintergrund zu sehen – einem Sessel mit Lesetisch und Lampe. Ältere Leute, Familien, Mädchen, mal sitzend, mal stehend. Menschen seien das Spannendste am Bahnhof Zoo, erklärt eine der Künstlerinnen, Sylvia Schedelbauer. Sie hätten bewußt „eine Wohnzimmeratmosphäre geschaffen, wo einzelne, aus der Masse herausgegriffene Leute sich so inszenieren können, wie sie wollen“. Ein Schauspieler habe sofort sein Kostüm angezogen und seine Rolle deklamiert, den Puck aus dem Sommernachtstraum. Ein Gruftie brachte gar ein Poster mit und ließ sich vor ihm ablichten. Die treuesten Besucher seien aber die Penner, die viermal täglich vorbeikämen, jedesmal mit neuen Freunden. Während sie sich normalerweise auf dem Bahnhof nicht aufhalten dürften, säßen sie jetzt im Raum und winkten den Sicherheitsbeamten hämisch zu.

Sicher ist, daß nicht nur Passanten, sondern auch die Aussteller Eindrücke sammeln – von ihren Besuchern. „Es ist spannend“, sagt die Professorin, „jeder hat andere Erlebnisse.“ Die Leute verhielten sich anders als Ausstellungsbesucher, sie hätten „mehr Zeit und eine viel größere Geduld“. Ein Passant war so beeindruckt von dem, was er sah, daß er fragte, ob es auch andere Orte gebe, wo man sich Kunst angucken könne. Von Galerien und Museen hatte er noch nicht gehört. Karen Wientgen