Die Region zählt auf China

Die Abschottung des chinesischen Finanzmarktes erweist sich als Segen: China könnte zum Nutznießer der asiatischen Wirtschaftskrise werden  ■ Aus Hongkong Georg Blume

Selten waren internationale Finanzmanager so schüchtern wie heute in Hongkong. An der Queens Road auf der Bankeninsel Central glänzen zwar die Fassaden noch wie ehedem. Doch dahinter rauchen Köpfe: Was wird aus China, wenn der ganzen Region eine Rezession droht? „Das Land ist 1998 noch ein unbeschriebenes Blatt“, überlegt Marc Faber, ein Schweizer, der zu den bekanntesten Investment-Beratern der Stadt zählt. Gewöhnlich ist Faber Pessimist. Doch diesmal bleibt er unentschieden. China könne sowohl Gewinner als auch Verlierer der Asien-Krise sein, doziert der Börsenguru vorsichtig.

Einen Finanzturm weiter residiert eine große europäische Bank. Hier denkt der Chefbankier laut vor sich hin: Nicht der globale Kapitalfluß, sondern gerade die Abschottung vom internationalen Geldkreislauf habe das Riesenreich bisher vor der Krise gerettet. Für einen „global manager“ ist das eine durchaus bemerkenswerte Erkenntnis. Noch entschiedener fügt der Bankier hinzu: „China erweist sich heute neben den USA als einzige Stabilitätsmacht in Asien.“

Solche Gedanken sind selbst für erfahrene Asien-Manager neu. China war bisher Entwicklungsland. Allenfalls politisch sorgte es für Aufsehen, wie etwa mit seinen Raketenmanövern vor der taiwanesischen Küste im Frühjahr 1996. Doch vom damaligen Störenfried der Region ist heute kaum noch die Rede. Chinas Bild in der Welt wandelt sich. Unvermutet bietet die wirtschaftliche Krise zwischen Tokio und Singapur für Peking die Chance, sich als unentbehrlicher Führungspartner in Asien zu erweisen.

Die erstaunliche Gesprächsfreudigkeit des chinesischen Regierungssprechers (siehe Interview) zeigt an, wie sicher sich Peking derzeit fühlt. Noch immer gilt die Abwertung des chinesischen Yuan im Jahr 1994 als langfristiger Vorläufer der Asien-Krise. In den vergangenen Monaten waren nun fast alle Länder der Region zu drastischen Abwertungen ihrer Währungen gezwungen. Für China verschlechtert sich damit die Wettbewerbssituation, weil andere Länder billiger exportieren können. Der Yuan jedoch blieb stabil und soll es bleiben. Das ist zumindest die frohe Botschaft, die Peking seit einigen Tagen verbreitet.

Selten war eine chinesische Finanzentscheidung so wichtig wie diese. Denn eine chinesische Abwertung hätte derzeit gravierende Folgen. Vermutlich käme es zu einem erneuten Abwertungskarussell in ganz Asien. Alle Stabilisierungsbemühungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), die bereits Milliarden verschlungen haben, wären umsonst gewesen.

Chinas neue Rolle als Musterschüler der Weltwirtschaft ist freilich nicht ohne eigene Risiken. Wenn nämlich der Yuan teuer bleibt: Wer investiert dann noch in China statt im billigeren Indonesien? Das ist es, was die Manager in Hongkong skeptisch macht: Etwa zur Hälfte beruhte das chinesische Wirtschaftswachstum bislang auf Auslandsinvestitionen, von denen wiederum etwas mehr als die Hälfte über Hongkong ins Reich der Mitte floß. Insofern war China, das zwar nicht über eine konvertible Währung verfügt, doch an den internationalen Kapitalfluß angebunden. Der aber könnte nun austrocknen. Die Hongkonger Börsenbaisse deutet bereits darauf hin.

Peking indessen denkt anders: Stabilität schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist das Gut, woran es heute in den Konkurrenzländern Indonesien, Thailand und Süd-Korea am meisten mangelt. Zudem werden ausländische Investoren nach China gelockt, weil das Land einen großen Binnenmarkt bietet. Bei einer stabilen Währung verspricht dieser Markt auch eine höhere Rentabilität.

So kann die chinesische Regierung heute frohlocken, als einzige in der Krise aktiv zu sein. Während sich der amerikanische Präsident im Skandalstrudel als handlungsunfähig erweist und nicht mal sicherstellen kann, daß die USA ihren Beitrag zur IWF-Rettungsaktion zahlen, kann die Region mit Peking rechnen. „Das ist eine riesige Gelegenheit für China“, beobachtet Marc Faber. „Statt an die USA lehnt sich Asien an China.“

Noch stimmt das Bild nicht ganz. Natürlich ist Japan die größte Gebernation in Asien, wenn es darum geht, die Bankensysteme Süd-Koreas oder Indonesiens vor der Zahlungsunfähigkeit zu retten. Gegen die Summen, die Tokio zahlt, macht sich der chinesische Beitrag von einer Milliarde Dollar für die IWF-Rettungsaktion in Thailand eher klein aus. Allerdings hat China in einer Hinsicht heute schon mehr als Japan zu bieten: Es verspricht eine Zukunft. Das Inselreich wird noch Jahre mit seiner eigenen Bankenkrise beschäftigt sein. Im Riesenreich hingegen ist ein neuer Aufschwung nicht unwahrscheinlich.

Es kann auch ganz anders kommen: Chinas Bankensystem ist heute nicht weniger bankrott und korrupt als das südkoreanische. Arbeitslose zählt man im Reich der Mitte Abermillionen. Und es sollen noch mehr werden, wenn Peking mit der Privatisierung der Staatsbetriebe Ernst macht. „Chinas Banken müssen echte Banken werden“, verkündete kürzlich Pekings Starreformer Zhu Rongji. Genau da liegt wieder ein Vorteil Chinas: Zhu, der im März zum Regierungschef ernannt werden soll, flößt der ganzen Welt Vertrauen ein. Von Clinton kann man das nicht behaupten.