"China liegt nun mal nicht in Afrika"

■ Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) über Menschenrechte und wirtschaftliche Interessen in der deutschen Außenpolitik: "Ich war weder der Erfinder noch der Superverfechter des kritischen Dialogs, so

taz: Herr Kinkel, was halten Sie für Ihren größten Erfolg als Außenminister?

Klaus Kinkel:Das müssen letztlich andere bewerten. Eines ist klar: Als ich vor bald sechs Jahren antrat, war Europa mitten im Umbruch. Ich halte mir zugute, daß die deutsche Außenpolitik seither ganz wesentlich das Europa des 21.Jahrhunderts mitentworfen und -gebaut hat: von der EU-Erweiterungsrunde 1994 bis zur bevorstehenden Einführung des Euro. Das war Außenpolitik auf nicht einfachem Gelände. Und dabei sind wir weit gekommen. Häufig sind es aber die verborgenen Erfolge für Menschen in Not, die einem im Gedächtnis bleiben: die Freilassung eines Regimekritikers, für den ich mich eingesetzt habe, oder die Hilfe für sexuell mißbrauchte Kinder.

Und was halten Sie für Ihren größten Fehler?

Auch das sollen andere beurteilen.

Wir würden da aber gerne Ihre Ansicht kennenlernen.

Ich weiß mich zu beherrschen.

Würden Sie aus Ihrer heutigen Sicht den kritischen Dialog mit dem Iran nochmals so anfangen, oder würden Sie im Rückblick nach heutigem Kenntnisstand Dinge anders angehen?

Es ist immer der Eindruck erweckt worden, der kritische Dialog sei Kinkels Kind. Ich bin nicht dafür verantwortlich. Er ist ein Beschluß der europäischen Regierungschefs gewesen. Ich war weder der Erfinder noch der Superverfechter des kritischen Dialogs, sondern das war europäische Haltung. Ich glaube, daß der kritische Dialog in seinem Grundansatz richtig war. Ich würde, weil der Begriff so negativ belegt ist, ihn heute nicht mehr wählen.

Warum nicht? Jetzt würde er vielleicht Sinn machen, seit Präsident Chatami gewählt worden ist.

Politik ist nun mal so, daß manchmal Begriffe so negativ belegt sind, daß man sie besser nicht mehr gebraucht, selbst wenn sie gut sind. Kontakte, Gespräche mit dem Iran, ein vorsichtiges Aufeinanderzugehen wäre heute meine Lageeinschätzung, nach einer langen Funkstille in Zusammenhang mit dem Mykonos-Urteil.

Wie sehen Sie denn die Balance zwischen dem Drängen deutscher Unternehmen nach Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und der Menschenrechtsfrage?

Wir wollen die ausgestreckte iranische Hand ergreifen und natürlich mit dem Iran die kritischen Probleme wie aggressiver Fundamentalismus, Menschenrechtsfragen, Staatsterrorismus und andere erörtern, aber wir wollen auch vorsichtig wieder eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Würden Sie der These widersprechen, daß die deutsche Diplomatie zum Beispiel gegenüber China eine andere wäre, wenn China in Schwarzafrika läge und nur über das wirtschaftliche Potential der meisten Länder dieses Kontinents verfügte?

China liegt nun mal nicht in Afrika. Sie müssen diese Frage praktisch angehen. Wir haben eben viele Länder, wo wir in der Tat ein großes politisches und wirtschaftliches Interesse haben und wo auf der anderen Seite Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Es muß möglich sein, beide Aspekte miteinander in Einklang zu bringen, und ich behaupte auch, daß das in den meisten Fällen geht. Wir müssen uns hüten, mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt zu laufen. Wir haben aber auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Einhaltung der Menschenrechte einzuklagen und ihre Verletzung überall dort anzusprechen, wo es notwendig ist, übrigens auch gerade wegen unserer Vergangenheit.

Auch Algerien wirft die Frage auf, wie weit mit einer Regierung zusammengearbeitet werden darf, die selbst in das terroristische Geflecht verwickelt ist.

Ich habe angeregt, daß eine Troika-Mission der EU ins Land reist. Die war nun dort. Ich glaube schon, daß wir als Europäer die Verpflichtung haben, mit der algerischen Regierung über rechtsstaatliche Terrorismusbekämpfung zu sprechen, Ratschläge zu geben, mitzuhelfen, so wie wir auch die Verpflichtung haben, im humanitären Bereich mitzuhelfen, wenn sich denn die Algerier helfen lassen. Der Erwartungshorizont wurde bewußt niedrig angesetzt, weil das eine erste Begegnung war. Die Frage kann ja nur so gestellt werden: Hätte man das lassen sollen? Die Antwort muß sein: nein, weil Politik oft das Bohren von dicken Brettern ist und zugleich eben oft auch ein Wagnis. Die Völkergemeinschaft, die Europäer, konnten diesem schrecklichen Massakrieren nicht einfach zusehen.

Haben Sie Indizien dafür, daß die algerische Regierung versucht, den Konflikt dadurch etwas abzufedern, daß Gespräche mit unterschiedlichen Gruppen wieder zustande kommen?

Das ist mein großer Wunsch. Bisher hat sie es nicht getan. Ich glaube schon, daß das von außen beeinflußt werden kann, durch dauerndes Drängen. Die algerische Regierung will offensichtlich nicht, daß darüber gesprochen wird. Aber ich spreche darüber.

Stichwort Kurden. Die kurdische PKK wird vom Generalbundesanwalt nicht mehr als terroristische Organisation betrachtet, wie man hört, sehr zum Ärger von Bundeskanzler Kohl. Was sagen Sie dazu?

Der Generalbundesanwalt hat eine rechtstechnische Bewertung vorgenommen, die nichts damit zu tun hat, daß der PKK auch aus der Sicht der Bundesanwaltschaft nach wie vor schwerste Vergehen vorgeworfen werden. Im übrigen bleibt die PKK in Deutschland verboten.

Wäre es nicht sinnvoll, mit der PKK das Gespräch zu suchen, um vielleicht zu versuchen, in dem Konflikt zu vermitteln?

Kontakte mit einer terroristischen Organisation, um die es sich nach wie vor in der Türkei handelt, sollte man sich sehr genau überlegen. Normalerweise geht das nicht. Im übrigen muß das die türkische Regierung beurteilen.

Bleiben wir bei der Türkei. Die EU ist sich einig, daß ein Beitritt der Türkei auf absehbare Zeit nicht ansteht. Aber hätte man ihr nicht doch mehr anbieten müssen als eine unverbindliche Europakonferenz?

Die Türkei hat viele ungelöste Probleme, die im Augenblick ihre Vollmitgliedschaft in der EU verhindern – das Kurdenproblem, Menschenrechtsfragen, das Verhältnis zu Griechenland, zum Teil die wirtschaftliche Lage. Die Türkei würde gerne gleichberechtigt behandelt werden mit der zweiten Gruppe der fünf neuen Anwärter. Das ist derzeit nicht möglich.

Warum nicht?

Weil die Europäische Union eine Wertegemeinschaft ist, die mit Sicherheit nur Länder aufnehmen kann und wird, die dieser Werteordnung entsprechen. Ich glaube, das Angebot, das wir gemacht haben, war fair: einmal die Europakonferenz, zum anderen eine ganz spezielle, auf die Türkei zugeschnittene Heranführungsstrategie. Ich habe die Hoffnung, daß die Türkei doch noch auf beide Angebote eingeht.

In der Türkei scheint jetzt die Einschätzung vorzuherrschen, die Sache sei gelaufen. Gibt es noch eine realistische Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind? Diese Perspektive gibt es.

Wie sieht denn die Heranführungsstrategie konkret aus?

Fünf Elemente: Die Basis ist das bestehende Assoziierungsabkommen, dessen Möglichkeiten voll entfaltet werden müssen. Die Zollunion muß ausgebaut werden. Wir brauchen außerdem die Freigabe der bisher blockierten Finanzhilfe der EU, eine Annäherung der Rechtsvorschriften der Türkei an den gemeinschaftlichen Besitzstand der Union sowie eine Beteiligung der Türkei an bestimmten Gemeinschaftsprogrammen, zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Forschung und Umweltschutz.

Die Frage, ob eine realistische Perspektive für die Erfüllung von Wünschen besteht, müssen Sie sich in anderem Zusammenhang ja auch selbst stellen. Warum wiederholen Sie immer wieder den deutschen Wunsch nach einem Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, obwohl doch dafür kaum eine Chance besteht?

Irrtum. Es muß und wird zur Erweiterung des Weltsicherheitsrates kommen. Dann werden wir dabeisein. Die Zweidrittelmehrheit in der UNO werden wir bekommen. Wir sind ja gar nicht das Problem. Das Problem sind die drei großen Kontinente Lateinamerika, Asien und Afrika, die nicht wissen, wen sie als ihre zusätzlichen Mitglieder benennen sollen. Warum wollen wir da hinein? Wir sind der drittgrößte Beitragszahler, von uns wird mehr Mitwirkung verlangt. Dann wollen wir auch mehr Mitsprache, zum Beispiel auch bei den entscheidenden Beschlüssen über unser Geld. Interview: Bettina Gaus,

Jürgen Gottschlich,

Michael Rediske