Die Sicht der Täter

■ Das Stadtmuseum Oldenburg zeigt einen Bilderzyklus von Cristoph Krämer mit dem Titel „Standort Auschwitz“

Mit dem Streit um die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin wird die Frage nach der Darstellbarkeit des Grauens der nationalsozialistischen Auslöschung neu entfacht. Der Hamburger Künstler Christoph Krämer versucht sich seit zehn Jahren in einer Auseinandersetzung mit dem Ort, der der Tötungsmaschine der Nazis einen Namen gab: dem „Standort Auschwitz“. Unter gleichnamigem Titel zeigt das Oldenburger Stadtmuseum in Kooperation mit dem Kunsthaus Hamburg Krämers Bilderzyklus: Großformatige Arbeiten auf Papier und Leinwand, außerdem Skizzen und Gouachen, die als „Work in Progress“in Momentaufnahmen Themen der Ölbilder vertiefend untersuchen.

Nur zufällig fällt die Ausstellung mit dem dreiundfünfzigsten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zusammen. Auch Krämer muß sich dem Dilemma stellen: Darstellbarkeit des Nicht-Darstellbaren, soll denn erfahrbar werden, was sich dem Erleben derer entzieht, die nicht Opfer wurden. Zugleich ist eine Annäherung an die Erlebnisse nur derjenigen Opfer möglich, die den Nazis entkommen konnten. Der Tod bleibt also eine Leerstelle, die in künstlerischer Annäherung nur als ein leises Schwingen erahnbar ist.

In den Bildern des Hamburger Künstlers ist dieses das Grau der Asche, die in den Bildern allgegenwärtig ist. Doch es bleibt ein Zwiespalt. Denn eine Grenze zum altjüdischen Bilderverbot wurde mit der Auslöschung der Juden auf absurde Weise neu gestreift. Ist es in der jüdischen Ikonographie Gott, der nicht benennbar ist, so betrifft dieses Diktum nun den Tod, die Achtung vor der Nacktheit der Opfer, wobei das Unfaßbare doch irgendwie benannt werden muß, um sich nicht in der Spur des Vergessens zu verlieren. Krämer löst dieses Dilemma auf, indem er sich in die Täterperspektive begibt, und die Logik des Vernichtungssystems konsequent nachzuvollziehen versucht. Seine großformatigen und nicht zufällig monumentalen Ölbilder gewähren einen Blick auf eine kalte Welt der Vernichtung. Starke schwarze Umrandungen der Formen und Figuren lassen Farben auflodern, die in Dixscher Giftigkeit kontrastieren und in der kompositorischen Stimmigkeit des schönen Bildes die Absurdität der Vorgänge kommentieren. Im „Krematorium“und anderen großformatigen Arbeiten des Zyklus sind Selektion, Tötung und die Verarbeitung von Menschenleibern Gegenstand eines durchrationalisierten Prozesses. Es scheint zufällig, daß da schematisierte Tote auf den Förderbändern in die Öfen transportiert werden, also „Menschenmaterial“.

Anonym bleibt der Inhalt der Loren, die auf blauschwarz glänzenden Gleisen ins Nirgendwo rollen. Krämers Blick auf die Tötungsmaschine entlarvt das Grauen in seiner Kälte als die offenbar folgerichtige Konsequenz der arbeitsteiligen Moderne, in der das Individuum gesichtslos an Prozessen teil hat, die in ihrer mechanischen Eigendynamik die gerade erst gewonnene Individualität des Einzelnen aufheben, und ihn als Teil des Ganzen der Eigenverantwortlichkeit entfremden. „Standort Auschwitz“ist nicht lediglich Aufarbeitung einer historischen „Entgleisung“, sondern eine Analyse der währenden Gegenwart, in der das kollektive Handeln sich unter anderem Namen fortsetzt.

Eine Gegenwart, in der Selektion und Rationalisierung lediglich einen anderen Gegenstand haben als zur Zeit des Nationalsozialis-mus. Eine Gegenwart, die die Entsinnlichung fortschreibt, der die JüdInnen und ihre Kultur in Deutschland und weiten Teilen Europas zum Opfer fielen. Marijke Gerwin

Die Ausstellung ist bis zum 22. Februar im Stadtmuseum Oldenburg zu sehen