Eine Anzeige will niemand riskieren

Arbeitlose bereiten ihren bundesweiten Protesttag am 5. Februar vor: Einige sehen im „Durchbrechen der Anonymität“ das Ziel – eine gemeinsame Linie bei Forderungen und praktischen Aktionen gibt es noch nicht  ■ Von Jeanette Goddard

Friedensbewegt zu sein ist nicht schwer – arbeitslos dagegen sehr. Eine Dame Mitte 40 mühte sich jedenfalls sichtlich, zu artikulieren, warum sie hier am Tisch sitzt: „Raus aus der Isolation!“ kam es ihr dann doch recht resolut über die Lippen. „Das ist doch das Motto, um das es eigentlich geht.“ Im Anschluß schlug sie dann auch gleich vor, sich mit einer Armbinde zu outen – um die Arbeitslosigkeit sichtbar zu machen. „Wir müssen das Stigma bekämpfen, daß wir alle als unterqualifiziert gelten.“ Eine andere, die „politisch aus der Frauen- und Friedensbewegung stammt“, wollte soweit nun doch nicht gehen. „Also, ehrlich, ich würde mir so eine Binde nicht umlegen. Das geht genau in die falsche Richtung. Wir sind doch ganz normale Menschen.“

Es war ein bunter Club, der am Montag nachmittag zum zweiten Mal im Haus der Demokratie zusammenkam, um zu beratschlagen, wie man in Berlin den bundesweiten Aktionstag der Arbeitslosen am 5. Februar begehen könne. Unter dem Motto „Arbeitslosenproteste in Frankreich – warum nicht in Berlin?“ hatte Politikprofessor Peter Grottian gemeinsam mit Arbeitslosen- und Obdachlosenvereinen eingeladen. Die, die kamen, hätten unterschiedlicher kaum sein können. Zumindest zur Hälfte hatten sich tatsächlich Betroffene auf den Weg gemacht, unter ihnen auffallend viele gutgekleidete Frauen. Gleich mehrere erzählten, „durch Frankreich Mut gefaßt zu haben“. Ihnen allen ging es in erster Linie um das Durchbrechen der Anonymität. „Es gibt sogar arbeitslose Akademiker“, sagte einer, „wir sind so viele, und immer noch traut sich keiner, den Mund aufzumachen.“ Als politische Unterstützer saßen Vertreter diverser Vereine in der Runde: von der IG Medien über das Proletarische Komitee bis zur InnenStadtAktion.

Deutlich wurde aber auch, wie klein der gemeinsame Nenner „Arbeitslosigkeit“ ist, wenn es um die Umsetzung von Forderungen geht: Soll man mehr Arbeit fordern, bei der Umverteilung ansetzen oder sich den Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung widmen?

Die meisten der angereisten Arbeitslosen wollten vor allem ihre GenossInnen mobilisieren: mit Flugblättern und persönlichen Gesprächen auf Berliner Arbeitsämtern um Unterstützung werben. Und mit Tee, „weil ich eigentlich lieber etwas zu trinken angeboten kriegen würde, als auf dem Arbeitsamt auch noch agitiert zu werden“, wie die Teilnehmerin aus der Friedensbewegung es formulierte. Viele forderten Besonnenheit statt „wildem Aktionismus“: Schließlich müsse man auf die unterschiedlichen sozialen Lagen der Menschen Rücksicht nehmen.

Den Vertretern politischer Gruppen sowie dem unermüdlichen Politaktivisten Peter Grottian ging das nicht weit genug: „Die Mobilisierung in Arbeitsämtern rührt doch in dieser Republik keinen Hund mehr“, erregte sich Peter Grottian, der viel lieber irgend etwas besetzen oder blockieren würde. „Wir brauchen doch auch Öffentlichkeit.“ Der einzige Franzose im Raum gab zu bedenken, die Öffentlichkeit werde nur aufgerüttelt, wenn eine Verbindung zwischen dem Aktionsort und -ziel bestehe: So sei mit der Besetzung der Pariser Elektrizitätswerke sehr effektiv darauf aufmerksam gemacht worden, wievielen Arbeitslosen Gas und Strom abgestellt würden, weil sie schlicht nicht mehr zahlen könnten.

Die Aktionisten in der 30köpfigen Runde konnten sich nicht durchsetzen. Die meisten waren schlicht nicht bereit, Anzeigen wegen Haus- oder Landfriedensbruchs zu riskieren. „Vielleicht“, mutmaßte eine grauhaarige Dame mittleren Alters, „liegt das auch daran, daß die materielle Not hier nicht so groß ist wie in Frankreich. Als arbeitslose Akademikerin habe ich immer noch etwas zu verlieren. Das will ich nicht gefährden.“ Am kommenden Montag wird die Diskussion fortgesetzt.

2. 2., 16 Uhr, Haus der Demokratie; die Gewerkschaftsinitiative für den Protesttag trifft sich am 2. 2., 18 Uhr, DGB-Haus Keithstr. 1–3