Winterschlußverkauf bei Netscape

Bill Gates schließt einen Kompromiß mit dem Bundesgericht in Washington – den Browserkrieg hat er schon gewonnen

Staatsanwalt Joel Klein sprach von einem Sieg der Regierung. Letzten Donnerstag hatte sich Bill Gates endlich damit einverstanden erklärt, einer Anordnung des Bundesrichters Thomas P. Jackson vom 11. Dezember 1997 nachzukommen. Windows 95 müsse auch ohne Microsofts Internet Explorer Version 4.x verkauft werden können, beschied das Gericht. Gates lief Gefahr, tatsächlich die eine Million Dollar Strafe pro Tag zahlen zu müssen, die ihm das Justizministerium wegen Verletzung amerikanischer Kartellgesetze immer noch androht. Windows 95 ist auf gut 90 Prozent aller Heimcomputer installiert – das Technomagazin Wired überschrieb den Gerichtsfall in seinem Onlinedienst (www.wired.com/news/) schlicht mit „Microsoft vs. World“.

Der angedrohte Tagessatz war selbst Bill Gates zuviel. Computerhändler dürfen ab sofort auf ihren PCs nagelneue Windows-Versionen so installieren, daß schlechtinformierte Kunden vom Internet Explorer nichts merken. Mit dabei ist er trotzdem – nur das blaue „e“ in Form eines Globus fehlt auf dem Desktop. Es kann jederzeit aktiviert werden, doch das Bundesgericht in Washington stimmte dem Kompromiß trotzdem zu. Das Verfahren selbst geht allerdings weiter. Die nächste Anhörung ist für den 21. April anberaumt. Die Sitzungen der letzten Wochen lassen den Schluß zu, daß dann auch über die zur zweiten Jahreshälfte angekündigte Nachfolgerversion von Windows 95 verhandelt wird: Windows 98 baut die Funktionen eines Webbrowsers von vornherein in die Benutzeroberfläche ein.

Von Anwälten läßt sich Microsofts Vizepräsident William H. Neukom jedoch nicht beeindrucken. Er kann sich die besten leisten. Seine Firma werde weiterhin ihr Recht verteidigen, ihre Produkte nachzubessern, ohne daß die Regierung dagegen einschreite, sagte er, als er das Einlenken seines Chefs der Presse bekanntgab. Und ein anderer Manager ergänzte, die Einigung mit dem Gericht habe, wenn überhaupt, nur einen „sehr, sehr geringen Einfluß auf das Geschäft“.

Das war nun schon eher eine Untertreibung. Der Kurs der Microsoft-Aktie stieg am selben Tag um 1,63 Dollar. Tapfer meinte Staatsanwalt Klein gleichwohl, nun habe jener freie Wettbewerb gewonnen, den das amerikanische Justizministerium verteidigen will. Die Softwarefirmen, sagte Klein, sollten nun „die Gelegenheit ergreifen, bei der Vorinstallation von Browsern in einem bedeutungsvollen Sinne miteinander zu konkurrieren“.

Klein dachte an Marc Andreessen, der mit seinem „Navigtor“ das World Wide Web überhaupt erst populär gemacht hat. Tatsächlich hatte seine Firma Netscape letzten Sommer das Justizministerium um Unterstützung gegen Microsoft gebeten, aber die Hilfe kommt zu spät. Beobachter der Wall Street vermuten, Gates habe nur deshalb eingelenkt, weil er sein Ziel, Netscape zu vernichten, bereits erreicht glaube. Für den Konkurrenten endete das Geschäftsjahr mit einem satten Verlust von 115,5 Millionen Dollar. 13 Prozent der Mitarbeiter sind schon entlassen. Bald werden noch weniger gebraucht. Das Management glaubt nicht mehr daran, den Durchmarsch von Microsoft aus eigener Kraft aufhalten zu können. Zwar stieg der Firmenumsatz seit der Gründung 1994 stetig auf etwa 150 Millionen Dollar im letzten Quartal an, und immer noch gut 60 Prozent der Surfer benutzen am liebsten Netscapes Navigator. Aber es waren einmal über 85 Prozent, und eine Trendwende ist nicht erkennbar. Vielmehr hat der Ausverkauf begonnen: Kaum hatte sich Bill Gates mit dem Bundesgericht geeinigt, gab Netscape bekannt, daß nun auch kommerzielle Anwender den Navigator mit allen Zutaten des „Communicator“-Paktes kostenlos einsetzen dürfen – Privatnutzer konnten sich diese Programme schon immer umsonst aus dem Netz holen.

Noch spektakulärer war die zweite Botschaft aus Mountain View, dem kalifornischen Stammsitz: Ab sofort stellt Netscape den Quellcode für seine allerneuste Software, den Communicator 5.0, kostenlos zur Verfügung. Wer mag, kann das Programm, das heute noch nicht zur Beta-Reife gediehen ist, auf eigene Faust zu Ende schreiben oder, folgenreicher: von Anfang an für spezielle Zwecke zuschneiden.

„Wir werden einen gewaltigen Schub an Neuerungen erleben“, freut sich Andreessen, auch wenn er davon nicht mehr selbst profitieren kann. Sein Angebot wird niemanden zurückgewinnen, der mit Gates' eingebautem Browser zu Hause surft. Aber der selbstmörderische Befreiungsschlag wird Microsoft im Bereich der kommerziellen Kunden zu schaffen machen.

„Interessant“, war so ziemlich der längste Kommentar, der dem sonst gewiß nicht maulfaulen Management von Microsoft zu entlocken war. Sein mühsam aufgebautes Geschäft mit Großkunden steht vor einer neuen Belastungsprobe. Die Oberpriester der EDV- Abteilungen hielten noch nie viel von Microsoft, und jetzt winken neue Jobs. Mit Netscapes Erblast dürfen sie genau das programmieren, was sie brauchen, wenn sie die Terminals ihrer Hausnetze für das Internet umrüsten müssen. Auf dem Bürocomputer der Angestellten muß nicht alles im Web erreichbar sein, das aber, was nötig ist, kann mit maßgestrickter Software besser und leichter bedienbar dargestellt werden als mit Gates' Allerweltsprogrammen.

Selbst Unternehmen, die sich dazu überreden ließen, auf Microsofts Netzbetriebssystem Windows NT umzusteigen, werden unter diesen Voraussetzungen leicht auf Microsofts Browser verzichten. Und so wird sich Bill Gates' größte Angstvision doch noch erfüllen: Nicht in den privaten vier Wänden, wohl aber im Büro verschwindet sein Windows hinter einer Benutzeroberfläche für das Netz, auf der in eine Ecke verkrümelt das große „N“ über dem nächtlichen Globus zeigt, wer hier den Browserkrieg wenigstens moralisch gewonnen hat.

Die Firma Netscape jedoch wird ihn höchstens in einer Marktnische überleben. Andreessen hofft auf eine Szene freier Programmierer nach dem Vorbild des GNU-Projekts, das seinerzeit das Unix-Betriebssystem frei verfügbar gemacht hat – wenn auch als Dauerbaustelle. Ihnen wolle Netscape „alle Unterstützung“ zukommen lassen, sagte ein Firmensprecher. An Programmen hat Andreessen jedoch kaum mehr anzubieten als seinen berühmten Browser. Geld verdiente seine Firma nur mit Dienstleistungen für die Werbebranche, und so war kaum noch jemand überrascht, als Netscape am Montag einen weiteren Rückzieher ankündigte: Man werde nun auch noch darauf verzichten, eine eigene Umgebung für Java-Programme zu entwickeln. Die sogenannten virtuellen Javamaschinen – Voraussetzung dafür, daß Java- Programme aus dem Netz im Browser laufen – könnten die Hersteller der jeweiligen Betriebssysteme besser programmieren, ließ Andreessens Sprecher verlauten.

Dabei hatte Netscape noch im letzten Herbst einigen Ehrgeiz entwickelt, in das Java-Entwicklungszentrum von IBM und Sun aufgenommen zu werden. Immerhin versprach diese ziemlich unheilige Allianz, die plattformübergreifende Programmiersprache als Alternative gegen Microsofts Windows-Standard durchzusetzen. Aus Rücksicht auf die IBM-Tochter Lotus mußte Netscape dafür seine eigenen Pläne für kommerzielle Netzwerkanwendungen zurückstellen – auf dem engen Markt der sogenannten Groupware duldet IBM keine Konkurrenz aus dem eigenen Lager.

Ein vergebliches Opfer. Unter Fachleuten ist das Javafieber inzwischen abgeflaut. Die Großanwendungen des Konzepts, die IBM und Sun ausbrüten, lösen lediglich Kompatibilitätsprobleme völlig veralteter Firmennetze. Auf Bill Gates' Konsumentenmarkt werden sie keine Rolle spielen, ganz anders übrigens als Javascript, die auch für Laien leicht erlernbare Programmiermethode für Websites, mit der Netscape den Java- Erfinder Sun schwer verärgert hatte. Javascripts leisten fast soviel wie die Java-Beans, mit denen Sun bei den ambitionierteren Webdesignern hausieren geht. Nur sind sie schneller – wenn sie unter Netscapes Browser ablaufen. Ein Sprecher von Sun nahm Andreessens Abschied dankend zur Kenntnis: Es sei wohl besser, sagte er, wenn sich Netscape auf „seinen Kernbereich“ konzentriere.

Zu spät kommt auch dieser gute Rat. Windows 98 wird den Browserkrieg entscheiden: Microsoft für die breite Masse der Webkonsumenten, Netscape in irgendeiner selbstkonfigurierten Form für Spezialisten. Und wieder wird Gates mit dem schlechteren Programm das bessere Geld verdienen. Voller Stolz gab am Dienstag der Verlag Gruner + Jahr einen Vertrag mit Microsoft bekannt, wonach die Suchmaschine „Fireball“ nunmehr fest in den Internet Explorer eingebaut sei. Diese Entwicklung solle „noch weiter vorangetrieben werden“, versprach der Fireball-Projektleiter Kalb. Wie recht er hat: Fireball ist eine müde Kopie von Altavista, der Suchmaschine, die Maßstäbe gesetzt hat. Und der mit zahllosen Zusatzfunktionen überladene Explorer von Gates geht auf das schlaue kleine Programm zurück, das Andreessen einmal für das Web schrieb. Niklaus Hablützel

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