Korruption und Kumpels überall

In „Cop Land“ wird Sylvester Stallone mit aller Macht zum Schauspieler. Unter anderem dank einer Gewichtszunahme von 41 amerikanischen Pfund, die ihn auf ein menschliches Maß vergrößern  ■ Von Thomas Winkler

Da wollte der gute Sylvester auf seine alten Tage endlich mal eine Rolle spielen, die mehr verlangt, als Muskelberge vorzuzeigen. Das war dann aber gar nicht so einfach, wie er dachte. Immerhin mußte Stallone erst den Agenten wechseln, um eine Rolle wie in „Cop Land“ zu bekommen. In einem Film, der mit 20 Millionen Dollar ungefähr soviel kostete, was sonst allein für seine Gage veranschlagt wird. Statt den Regisseur bei sich zu Hause antanzen zu lassen, damit er sich bei ihm vorstellt, wie es sonst üblich gewesen wäre, flog Stallone höchstselbst zu James Mangold nach New York. Zu einem Filmemacher, der nach nur drei Drehtagen seines ersten Regiejobs gefeuert wurde, weil er bereits drei Tage hinter dem Zeitplan lag, und dessen bisher einziger Film, „Heavy“ von 1996, auf Festivals zwar ausgezeichnet und gelobt wurde, es aber in kaum ein reguläres Kino schaffte.

Dann verzichtete Stallone noch ein halbes Jahr lang auf die Einheiten in seinem Fitneßstudio, das er vorher als seine Kirche bezeichnet hatte, und fraß sich auf Anweisung von Mangold 41 zusätzliche amerikanische Pfund an. Was nicht geschah, um ihn lächerlich zu machen, wie Mangold in Interviews nicht müde wurde zu betonen, sondern damit Stallone endlich einmal „den Körper eines Durchschnittstypen“ mit sich herumzutragen hat. Und tatsächlich sieht der inzwischen 51jährige zum ersten Mal nicht mehr aus wie einem Comic entsprungen. Die unnatürlich markante Linie des Unterkiefers ist weicher geworden, die Augen sagen etwas und stechen nicht mehr nur, kurz: Seine Erscheinung ist wieder eine menschliche. Zumindest diesen einen Film lang – ein neuer „Rambo“ soll schon in Arbeit sein, wenn auch angeblich diesmal ganz p.c. Neonazis aufgemischt werden.

Auf diesem völlig ummodellierten Körper ruht nun ein großer Teil der Verantwortung für „Cop Land“. Nicht nur, daß dieser Körper plötzlich schauspielerische Qualitäten an den Tag legt, die man ihm nicht zugetraut hätte. Es fällt einem daher auch plötzlich wieder ein, daß Stallone einmal Hollywoods Hoffnungsträger und Wunderkind war und daß der erste „Rocky“ drei Oscars kassierte.

Ein Ereignis von „Cop Land“ ist das bloße Vorhandensein dieses Körpers. Folgerichtig ruht die Kamera des öfteren genüßlich auf dem gemütlichen kleinen Bierbauch. Die Tatsache, daß Stallone, der Erfinder der Schauspielerei als reine Körperpräsenz, sich ausgerechnet im Angesicht von Robert De Niro zum Method Actor wandelt, wird so zum Treppenwitz der Filmgeschichte. Und all das zum tariflich vorgeschriebenen Mindestlohn. Aber auch der Rest der beeindruckenden Besetzung wurde kaum besser bezahlt.

Die zerfurchte, italo-amerikanische Darstellergarde trifft sich in der fiktiven Kleinstadt Garrison, die nur eine Brücke über den Hudson River entfernt liegt vom Moloch. Nach New York City ziehen die männlichen Einwohner von Garrison jeden Tag wie in den Krieg, sind sie doch allesamt Cops des NYPD, des New York Police Department. Ihre Kinder und Frauen übergeben sie in der Zwischenzeit dem von Stallone gespielten Sheriff, der dafür zuständig ist, Kuscheltiere zurückzubringen und den Streit zwischen Ehefrau und Geliebter zu schlichten, der aber ganz bestimmt „kein richtiger Cop“ ist, wie es Harvey Keitel als eine Art oberster Ordensbruder dieser Law-and-order-Glaubensgemeinschaft formuliert.

Tatsächlich ist Sheriff der überflüssigste Job, den Garrison zu bieten hat, und Stallone daher eher der Dorftrottel. Dann aber bekommt das friedliche Zusammenleben in dieser Stadt, die in ihrer waffenstarrenden Justizlosigkeit an eine Grenzstadt, an eine Frontier City des alten Western-Westens erinnern soll, Risse. Wegen eines Zwischenfalls beginnt eine von De Niro geleitete polizeiinterne Untersuchung. Es könnte also aufgedeckt werden, daß Garrison auf Korruption und Mafiageld erbaut wurde. Auch Ray Liotta, Annabella Sciorra, Peter Berg oder Michael Rappaport spielen nicht unwichtige Rollen, um Stallone herum wird ein regelrechter Mikrokosmos des Buddyismus entworfen.

Kumpels überall: neue Kumpels, alte Kumpels, gute Kumpels, schlechte Kumpels, verräterische Kumpels und solidarische Kumpels. Jeder bilaterale Teilaspekt dieses Geflechts, jeder einzelne Charakter hätte einen eigenen Film füllen und der Plot von „Cop Land“ noch einer Serie wie „Twin Peaks“ taugen können. Genau das ist möglicherweise auch das Problem des Films, der zwar demonstrativ nahezu jede Möglichkeit, Action vorzuführen, ungenutzt verstreichen läßt, aber aufgrund schierer Drehbuchmasse den Figuren auch kaum Raum zur Entfaltung läßt. Was besonders bei De Niro auffällt, der eigentlich nur drei größere Auftritte hat, die kaum mehr als Katalysatoreffekte abgeben.

Aber natürlich ist es ziemlich grandios, diesen Schauspielern zuzusehen. Und die Verwirrung zu genießen, wenn Sylvester Stallone in den meisten Szenen ganz programmatisch in den Hintergrund gedrängt wird und plötzlich seine Augenbrauen benutzen muß statt seiner Unterarme.

Andererseits: Im Prinzip hat Stallone schon in „Rambo“ oder „Cliffhanger“ ähnliche Typen gespielt, am Boden liegende, ausrangierte Helden, die wieder aufstehen und doch noch gewinnen. Der wesentliche Unterschied diesmal: Am Set trug Stallone eine Schildkröte aus Elfenbein in der Tasche, die ihn immerzu an die Schwerfälligkeit seines Charakters erinnern sollte. Aber irgendwie atmet man dann doch auf während des verteufelt an „High Noon“ erinnernden Showdowns, daß der alte Stallone zumindest in Ansätzen wiederkehrt. Alte Männer allüberall lieben diesen Film. Manchmal haben alte Männer auch recht.

„Cop Land“. Regie und Buch: James Mangold. Mit Sylvester Stallone, Harvey Keitel, Ray Liotta, Robert De Niro. USA 1997, 104 Min.