■ Der Widerstand gegen das Klonen speist sich aus diffusen Gefühlen und einer widersprüchlichen Moral. Dabei hat er einen rationalen Kern: Wann ist der Mensch ein Mensch?
Wann ist der Mensch ein Mensch? Bislang richtete sich die Frage auf den Anfang und das Ende seiner Existenz und fand schon dort keine eindeutige Antwort. Nun scheint das Dasein selbst seiner Einmaligkeit entkleidet, und nicht wenige sehen sich bereits in ihrem Sosein bedroht. Es mag eine Ironie des Zufalls sein, daß diese neueste Bedrohung des Menschen ausgerechnet im Gewande der tierischen Inkarnation der Unschuld einherkommt. Ein Schaf namens Dolly brachte es als erstes zu zwiespältiger Berühmtheit. Ihm folgten nun zwei Kälber, und mittlerweile hat der amerikansiche Forscher Richard Seed angekündigt, geklonte Babys produzieren zu wollen. Das rief zwar den erwartbaren Sturm der Entrüstung hervor, hinterließ jedoch sogleich auch die erfahrungsgetränkte Gewißheit, daß in dieser Welt das Machbare auch möglich wird, sobald die Welle der Empörung in den breiten Fluß der Gewohnheit ausläuft.
Was in der Literatur des 19. Jahrhunderts als Traum des Menschen und Versuchung Gottes beschrieben wurde, der Humunkulus des Dr. Faustus, das Monster des Dr. Frankenstein, sie werden greifbar. Eine beängstigende Aussicht, die archaische Phantasien weckt. Diktatoren-Dubletten geistern durch die Gazetten, Einstein-Duplikate beflügeln elterliche Wunschvorstellungen.
Der Mensch als komplexes soziales Wesen gerinnt so unversehens zum DNS-Strang, ein längst überwunden geglaubter Biologismus feiert wieder fröhliche Urständ. Auch die Abwehr folgt archaischen Mustern. Sie speist sich aus Furcht. Denn die Potenzierung des Identischen wird vom Menschen nicht als Bereicherung der Gattung, sondern als ein Verlust wahrgenommen.
Die Allmachtsphantasie speist sich nicht aus der Reproduktion des Mächtigen, denn der Starke ist am mächtigsten allein. Er wird allerdings mächtiger durch die Reproduktion des anderen, durch die sich darin manifestierende beliebige Verfügbarkeit. Darin liegt die provokante „Qualität“ des Klonens. Die Vorstellung von der Disposition über das Leben anderer ist der eigentliche Quell, aus dem sich Phantasie und Politik speisen, die eine in der Annahme, die andere in der Abwehr.
Das Ebenbild Gottes schafft sich sein eigenes Ebenbild. Eine abstruse Vorstellung, bei der sich der christliche Magen umdreht. Nicht von ungefähr kommt der klarste und heftigste Widerstand gegen die neue Technik aus den Kirchen. Um die Bewahrung der Schöpfung schart sich allerdings auch so mancher Kämpfer, der sich in seinem Alltag als wackerer Agnostiker entpuppt. Auch linke Zeitgenossen heben das Schild der Schöpfungsgeschichte, um sich dieser neuzeitlichen Geißel zu erwehren. Und so wandelt sich der Postmoderne wohl oder übel zum Verfechter einer religiösen Dogmatik, gegen die die Moderne einst angetreten war. Allerdings ist es die gleiche Lehre, mit der er im erbitterten Widerstreit liegt, wenn es nicht um die Einmaligkeit, sondern um den Beginn des Lebens geht, wenn es gilt, die Rechte der Frauen gegen die Anmaßungen der Kirche zu verteidigen.
Dieser Widerspruch schmilzt anscheinend zur Quantité negigable angesichts des Unvermögens, aus eigener ethischer Potenz zu schöpfen. Um diesen Mangel zu kompensieren, wird der Unwert des Klonens an seinem ökonomischen Nutzen bestimmt. Denn das Kapitalinteresse ist hierzulande noch immer untrüglicher Ausweis der Verwerflichkeit. Doch macht man sich ein X für ein U vor. Zwar liegt ein Nutzen im Mehrwert, den die geklonten Lämmer oder Kälber erbringen. Und auch die geklonten Babys des Dr. Seed sollen schließlich gegen Bezahlung angeboten werden. Doch zur ethischen Bewertung taugt dieser Umstand allerdings kaum.
Wenn nicht aus dem christlichen Menschbild, wenn nicht aus der Verwerflichkeit wirtschaftlicher Interessen, woher soll sich dann diese Bewertung des Klonens herleiten?
Es ist die Würdelosigkeit, die einer solchen Existenz anhaftet. Sie ist nicht individuell, sie ist seriell. Sie ist entstanden aus der Verfügung eines Dritten über einen Wesenskern des Individuums. Aus der Produktion wird unmittelbar auf das Produkt geschlossen. Deshalb stünde am Anfang des geklonten Menschen nicht das Sorge-, sondern das Patentrecht. Nicht die Mutter- und Vaterschaft, sondern vielmehr die Erzeuger- und Besitzverhältnisse gälte es zu regeln.
Die Würdelosigkeit des Klonens, darauf hat Jürgen Habermas jüngst in einem Essay hingewiesen, ähnele jener der Sklaverei. Nach den gleichen moralischen Maßstäben und nicht allein aus religiösen Gründen sei das Kopieren der Erbsubstanz eines Menschen zu verurteilen. Der Klon könne wie der Sklave einen Teil der Verantwortung, die er sonst selbst tragen müsse, auf andere Personen abschieben. Denn für den Klon verstetige sich nämlich in der Definition eines unwideruflichen Kodes ein Urteil, das eine andere Person vor seiner Geburt über ihn verhängt hat.
Nun ist Sklave zu sein keine Wesenseigenschaft. Sklaverei ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Ihre Aufhebung ist historische Tat, die in einem gesetzlichen Akt des Verbots mündet. Der Kode der Gene hingegen ist wesentlich. Er unterliegt zudem auch jenseits der Klonierung mannigfacher Selektion und künftig wohl auch Manipulation. Eine Scheidelinie des ethisch Erlaubten zu ziehen, erfordet eine gesellschaftliche Definition.
Auch ein geklontes Wesen hätte Individualität, ist diese doch auch Resultat der vielfältigen äußeren Umstände seiner Existenz, den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen. Ihm wäre seine Würde nicht abzusprechen. Darin liegt nun eine gewisse Paradoxie. Nicht das Produkt ist menschenunwürdig, sondern der Produktionsprozeß. Und dieser ist dem Betroffenen nicht anheimgestellt.
Die amerikanische Verfassung zählt „Pursuit of Happiness“, die Verfolgung des Glücks eines jeden, zu ihren obersten Gütern. Dem entspricht die grundgesetzlich geschützte freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es stellt sich die Frage, ob diese Entfaltung nicht nur in den Lebensprozeß hinein gedacht werden kann, wie es die Verfassungsväter und -mütter taten, sondern sich künftig auch auf die Möglichkeiten seines Beginns beziehen muß. Dann läge das Glück eines jeden zudem darin, daß sich seine Individualität auch in der Zufälligkeit ausdrückt, mit der ein jeder ins Leben geworfen wird. Dieses zu wahren, wäre Aufgabe der Gesellschaft. Dieter Rulff
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