Prozeßgegner müssen nicht mehr anreisen

■ Der erste Videoprozeß in Deutschland begann gestern. Bildausfall nach einer Viertelstunde

Karlsruhe (taz) – Videokonferenzen gibt es schon lange. Jetzt will sich auch die Justiz die neue Technik zunutze machen. Ein zwölfmonatiger Modellversuch am Finanzgericht Karlsruhe soll zeigen, ob auch ohne körperliche Anwesenheit der streitenden Parteien vernünftige Gerichtsverhandlungen möglich sind. Gestern nun wurde der erste Videoprozeß in Deutschland durchgeführt.

Die Hauptrolle spielten drei Fernseher und drei Kameras. Das erste Video-Equipment stand im Finanzgericht Karlsruhe vor Gerichtspräsident Dieter Kopei. Auf dem Schirm waren abwechselnd die beiden zugeschalteten Streitparteien zu sehen, die ebenfalls Fernseher und Kamera vor sich hatten. Im Heidelberger Finanzamt saßen zwei Finanzbeamte und in der Heidelberger Steuerberaterkammer der Rechtsanwalt Gerhard Steinbrenner. Dank stimmgesteuerter Bildregie war jeweils die Person zu sehen, die gerade sprach. Reaktionen der gegnerischen Seite, etwa ein erschrecktes Einatmen oder ein erstauntes Stirnrunzeln, blieben allerdings verborgen.

Kein Wunder, daß der Versuch erst mal in der Finanzgerichtsbarkeit gestartet wurde, wo vor allem abstrakte Fragen des Steuerrechts zu klären sind. Auch im gestrigen Erörterungsverfahren war der Fall schnell gelöst, gestritten wurde bald nur noch über die Kosten des Rechtsstreits. Kein Beinbruch also, daß nach einer Viertelstunde das Bild von der Steuerberaterkammer ausfiel und quasi telefonisch weiterverhandelt werden mußte. Ein Jahr lang sollen nun alle Fälle des Karlsruher Finanzgerichts, an denen das Finanzamt Heidelberg beteiligt ist, mit der neuen Videotechnik abgewickelt werden. Anwälte und Steuerberater können entweder nach Karlsruhe kommen oder vor einer Billigvideoanlage am eigenen Computer oder in der Heidelberger Steuerberaterkammer Platz nehmen. Die Kosten der staatlichen Anlage bezifferte Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) auf 125.000 Mark. Hinzu kommen Leitungskosten von rund 50 Mark pro Viertelstunde.

Vorteile verspricht sich die Justizministerkonferenz, die den Versuch anregte, vor allem für die Prozeßbeteiligten, die Zeit und Reisekosten sparen. Ohne gesetzliche Änderung wären Videoprozesse nach Golls Ansicht heute nur bei den Finanzgerichten möglich sowie bei Zivilprozessen mit einem Streitwert bis 1.200 Mark. Im Strafverfahren könne auf die persönliche Anwesenheit der Beteiligten auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Allerdings können die teuren Videoanlagen künftig für die Vernehmung von Kindern in Mißbrauchsprozessen mitbenutzt werden. Christian Rath