Fahlheit und Expression

■ Eine der großen Sängerinnen unserer Zeit in der Glocke: Margaret Price ganz ohne Altersschwächen

Gustav Mahler und Arnold Schönberg, das geht nicht zusammen. Möchte man meinen. Nostalgisch im Umgang mit dem Material und gebrochen bis zur Katastrophe der eine, innovativ und erfinderisch der andere. Jedoch beschreibt Schönberg nach anfänglicher Skepsis Mahlers Musik für ihn als ein Saulus-Paulus-Erlebnis und führte seine Musik ab 1918 in seinem „Verein für musikalische Privataufführungen“auf. Dies freilich immer in Bearbeitungen, weil Schönberg nur über eine kleine Besetzung verfügte und das meiste ohnehin nur an zwei Klavieren vorführen konnte. Im ersten Konzert in diesem Jahr interpretierte nun die Deutsche Kammerphilharmonie Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“in Schönbergs Bearbeitung für Kammerensemble. Diesen Liedern bescheinigte Schönberg eine „unerhörte Einfachheit, Klarheit und Schönheit der Anordnung“.

Die englische Dirigentin Sian Edwards gestaltete mit den trefflich folgenden zehn Kammerphilharmonikern sorgfältigst, von leisen und fahlsten Klängen bis zu großer und trauernder Expression. Dies gewagte Auseinanderfallen der Musik war inhaltlich begründet. Diese Qualität der gesamten Interpretation fiel auf die Sängerin Margaret Price zurück. Daß die englische Sängerin 57 Jahre alt ist, soll hier nur deswegen gesagt werden, weil es Frauen äußerst selten gelingt, in diesem Alter noch über eine Stimme ohne jegliche Einbuße zu verfügen. In Price' Stimme, die gegenüber früher sehr tief geworden ist, wackelt nichts, kein Vibrato muß die Intonation kaschieren. Sozusagen aus dem Stand taucht sie mit ihrer Nuancierungsfähigkeit in wechselnde Befindlichkeiten des Textes: gewiß eine der ganz großen Sängerinnen dieses Jahrhunderts.

Es spricht für Sian Edwards, die inzwischen an allen Opernhäusern der Welt dirigiert, daß sie nicht einen pauschalen Schlagstil anwendet, sondern ihn jeweils strikt aus den Erfordernissen der Musik entwickelt. So kam sie für die Sinfonie B-Dur KV 319 mit einem solch zurückhaltenden Minimum an Gesten aus, daß man sich schon fragte, ob das Orchester das Werk nicht auch alleine hätten spielen können. So hatte die Wiedergabe durchaus etwas angemessen Spielerisches, blieb aber insgesamt ohne Geheimnisse und Überraschungen. Mozart scheint Sian Edwards kaum zu liegen.

Anders bei dem rabiaten Alla marcia des letzten Satzes der zweiten Sinfonie von Kurt Weill, den sie geradezu herausschlug, nicht von oben, sondern von innen heraus. Da unterschied sich die junge Frau wohltuend vom tyrannischen Maestro-Gehabe, das dieser Satz ansonsten provoziert – und nur zu gern auch so genutzt wird. Die politische Bedeutung dieses bedrohlichen Marsches – Weill schrieb das Werk Ende 1932 unmittelbar nach seiner Flucht vor den Nazis – wurde so beklemmend klar, daß es eine Weile brauchte, bis lang anhaltender Beifall ausbrach. Doch auch im ersten und zweiten Satz trafen die Dirigentin und das Orchester den typischen morbid-melancholischen Weill-Ton. Hervorzuheben sind vor allem die Bläser.

Ute Schalz-Laurenze